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„Boom! Du bist tot!“
Heute zieht Robert Shipp in den Krieg. Robert, 19 Jahre alt, ist Soldat bei den US-Marines und fährt an diesem Dienstag auf einem Schiff über den Pazifik nach Afghanistan. Er hat noch keine Ahnung, was dort in den nächsten zwölf Monaten sein Job sein wird und ob sich sein Einsatzort nicht doch noch ändert. Robert ist Lance Corporal, ein Gefreiter, und einem Gefreiten wird bei den Marines nicht besonders viel erzählt. Alles was Robert weiß, ist, wie man mit einem Maschinengewehr namens M-249 schießt und wie man verdächtige Päckchen am Straßenrand identifiziert. „Ich bin nicht nervös“, sagte mir Robert vor zwei Wochen, da besuchte er noch einmal seine Familie in der kleinen Stadt in Idaho, in den Bergen der Rocky Mountains. „Wir wollten es ja so“, sagte er. „Wir“. Roberts Zwillingsbruder ist auch im Krieg. Lance Corporal Matthew Shipp bewacht seit zwei Wochen im Irak das Munitionslager einer kleinen US-Militärbasis östlich von Bagdad. Die Basis war nach seiner Ankunft schon das Ziel von Raketenangriffen, doch Matthew blieb unverletzt. Es geht ihm sogar ganz gut, sieht man davon ab, dass er nachts nicht schlafen kann. Die Nächte in der irakischen Wüste sind gerade sehr lang und sehr kalt. Vergangene Woche schickte ihm seine Mutter Leslee ein Päckchen mit Wollsocken; die Marines geben ihren Soldaten im Irak keine Wollsocken.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Matt Shipp (links) und Robert Shipp bei der High-School-Abschlussfeier. In den Vereinigten Staaten von Amerika wird niemand zum Militärdienst verpflichtet. Deshalb beschäftigen die Army, die Navy, die Air Force und die Marines speziell ausgebildete Recruiter, die vor allem an High Schools um die Gunst der Schüler buhlen. Das ist gerade kein besonders leichter Job: Ein Großteil der US-Bevölkerung hält nicht mehr besonders viel von den Kriegen im Irak und in Afghanistan. Neue Umfragen zeigen, dass zwei von drei US-Bürgern die Truppen lieber wieder zu Hause wüssten. Trotzdem melden sich immer noch Jugendliche freiwillig zum Militärdienst, Robert und Matthew Shipp zum Beispiel. Sie sind zwei von etwa 180.000 Rekruten, die im Lauf des vergangenen Jahres neu zum US-Militär kamen. Gemeinsam mit einem Fotografen habe ich Robert und Matthew während der vergangenen 18 Monate begleitet. Wir waren bei Ihnen, als sie die High School abschlossen und während ihrer ersten Tage bei den Marines. Wir waren auch bei ihnen, als sie in den Irak und nach Afghanistan geschickt wurden. Wir haben die beiden bei ihrer Reise aus der Kindheit in den Krieg beobachtet, weil wir ihre Entscheidung verstehen wollen. Wahrscheinlich ist Matthew schuld. Die Zwillinge waren gerade mal 14 Jahre alt, als die Invasion der Amerikaner im Irak begann. Matthew und Robert kamen jeden Tag von der Schule nach Hause und verfolgten den Krieg. Live. Im Fernsehen. Zu dieser Zeit begann Matthew, von einer Karriere beim Militär zu träumen. Sein Bruder hatte da noch andere Sorgen. Robert plagte sich mit der Schule und warf schließlich mit 17 alles hin. Er wollte von Idaho nach Wyoming ziehen, er wollte dort die Berufsschule besuchen und LKW-Mechaniker werden. Aber es kam doch anders. Der Gedanke, von seinem Zwillingsbruder getrennt zu leben setzte Robert mehr zu, als er es sich zunächst hatte eingestehen wollen. Er verwarf seine Pläne und ging wieder auf die High School. Er wollte nun doch mit aller Kraft seinen Abschluss machen, vor allem aber wollte er bei seinem Bruder Matthew bleiben. Und Matthew wollte zu den Marines.
Anfangs versuchten die Eltern Dennis und Leslee noch, den beiden ihre Idee auszureden. Aber vergeblich. „Die hätten das so oder so gemacht“, sagte Vater Dennis, als seine Söhne kurz vor dem High School-Abschluss stehen. „Ich hoffe nur, dass sie nicht gleich in den Irak müssen.“ Matthew und Robert Shipp sind 17 Jahre alt, als sie bei den Marines einen Vier-Jahresvertrag unterschreiben. Die Marines sind die kleinste Einheit im US-Militär, unter allen US-Soldaten im Irak machen sie gerade einmal 15 Prozent aus. Dafür werden Marines gern in die heikelsten Gefechte geschickt, was ein Grund für Matthews und Roberts Entscheidung ist. „Ich will mitten rein“, sagte mir Matt voller Euphorie, da hatte er seinen Schulabschluss noch nicht in der Tasche. Matthew will unbedingt kämpfen, auch wenn er weiß, dass Marines gefährlich leben. 25 Prozent aller US-Soldaten, die bisher im Irak ums Leben kamen, waren Marines. Noch ehe es am 18. Juni 2006 dunkel wird, ist die Kindheit von Matt und Robert zu Ende. Ein Marine-Sergeant biegt mit seinem Auto in die Hofeinfahrt der Shipps, die von der Ragged Ridge Road abzweigt. Der Abschlussball an der High School ist gerade zwei Wochen her, als der Sergeant seine neuen Jungs abholt und sie in ein Hotel im 50 Kilometer entfernten Spokane im Bundesstaat Washington bringt, von wo es weiter nach San Diego geht. Jetzt beginnt für die Brüder der Militärdienst und weil die Marines wissen, dass mancher Rekrut kurz vor knapp kalte Füße bekommt, gibt es diesen „Abholservice“. In der ersten Nacht im Marine Corps in San Diego sollen die Neuankömmlinge psychisch und physisch an ihre Grenzen gelangen. Genauer gesagt: Sie sollen „gebrochen“ werden. Andauernd schreien die Ausbilder, die sogenannten drill instructors, Matt und Robert an. Ob es dafür auch einen Grund gibt, interessiert nicht. Die Köpfe aller Rekruten werden bis auf die Haut geschoren und jeder muss seine persönlichen Dinge abgeben. Auf den Tischen und vor den Augen der Ausbilder sammeln sich Klamotten, Schmuck (Eheringe ausgenommen), Handys, iPods, Zigaretten, Bücher, Geldbeutel und Teddybären.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Matt (links) und Robert bei der Ankunft im Boot Camp. Sie lernen, wie ein Marine steht: Die Füsse müssen einen Winkel von 45 Grad beschreiben. „Hier ist nichts. Nur Beton.“ 500 junge Männer fangen in dieser Nacht mit ihrem Training im Marine Corps in San Diego an. Sie marschieren zig Kilometer durch die Wüste, sie lernen, wie man in dunkelster Nacht ein Dorf angreift, sie lernen, wie man auf verschiedenste Art einen Menschen um sein Leben bringen kann. An manchen Tagen brennen ihre Augen vom Tränengas, das ihre Ausbilder versprühen, während ihre Hände weiter so lange mit der M-16 hantieren, bis sie mit dem Gewehr zu verschmelzen scheinen. Dazu wiederholen die jungen Männer mantra-artig ein Credo der Marines, und das geht so: „Das ist mein Gewehr. Es gibt viele Gewehre wie dieses, aber dieses Gewehr ist meines. Ich muss es so beherrschen wie ich mein Leben beherrsche.“ Niemand ruft Matt und Robert noch beim Namen, jeder hier heißt jetzt „Rekrut“. Die beiden schlafen in brütend heißen Kasernengebäuden, in einem Raum mit Dutzenden ihrer Kollegen. Sie verlieren nach und nach ihre Persönlichkeit, sie verlieren ihre Privatsphäre. Aber Matt und Robert schert das nicht. In einem Brief an seine Mutter schreibt Matt nur von dem „großartigen Gefühl“, endlich eine M-16 in der Hand halten zu dürfen. Er schreibt von einem Feuerwerk, das über San Diego leuchtete und er schreibt, dass er zum ersten Mal am Pazifik war: „Mutter, der Pazifik ist … so endlos!“ Robert schreibt auch. Er vermisst die kühlen Wälder und die Seen der Rocky Mountains. „Hier ist nichts. Nur Beton und Sand.“
Gegen Ende des 13-wöchigen Boot Camps verbringen die Rekruten 54 Stunden in der Wüste. Dabei sollen sie ihre Grenzen überwinden, sie zumindest hinausschieben. Die Männer sollen eine Ahnung davon bekommen, was sie im Irak erwarten könnte. Jeder darf nur vier Stunden schlafen, zu Essen gibt es nur einmal am Tag. Gewaschen wird sich mit einem verpackten, feuchten Handtuch, ein Regenponcho dient als Decke und Dach für die Nacht. „Es macht Spaß“, sagt mir Matt, als er einen Moment mit mir reden darf. Vier Minuten, mehr gibt uns der Ausbilder nicht.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Pause während der 54-Stunden-Tortur: Matthew isst hastig aus seinem Fressbeutel. Matt trägt seine M-16 am Körper. Auf dem Griff des Gewehrs steht seine Blutgruppe. Vom Schießplatz ist ein andauerndes Donnern zu hören, markerschütternd. Eine Meile Richtung Westen, gleich auf der anderen Seite der Interstate 5, fahren Luftkissenboote durch den Nebel und bringen Marines von einem Schiff ans Ufer; über unseren Köpfen schweben Hubschrauber, Matt muss wieder zurück, in den Hindernisparcours. „Deswegen sind wir hergekommen“, sagt er noch. Der Sergeant, der während unseres Gesprächs die ganze Zeit neben ihm stand, geht mit.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
An den Griffen der Gewehre ist die Blutgruppe auf einem Aufkleber verzeichnet. Auch wenn die Ausbilder behaupten, dass sich am Lehrplan in den Boot Camps in den vergangenen Jahren kaum etwas geändert habe – ein paar Neuerungen gibt es doch, mit denen die Soldaten besser auf ihren Einsatz im Irak vorbereitet werden sollen. Während einer kurzen Essenspause hebt einer der Rekruten einen bemalten Stein auf, der etwa die Größe eines Baseballs hat. Er dreht den Stein und liest auf der Unterseite die Buchstaben „I.E.D.“ „BOOM! Du bist tot!“ brüllt ihm sofort einer der Ausbilder ins Gesicht. „Weißt Du, wofür I.E.D. steht?“ „Nein“, sagt der Junge. „Improvised explosive device. Das ist das Zeug, das uns dort drüben umbringt“ kommt die Antwort aus dem Mund von Sergeant Brennan Kriner. Er war dabei, als die Amerikaner 2003 in den Irak einfielen. Die anderen Rekruten trauen sich jetzt kaum von ihren Fressbeuteln aufschauen. Meals Ready to Eat, kurz MRE. In diesen Plastikpackungen ist alles drin, sei es Boeuf Stroganoff oder Rührei oder kleine Tuben mit Erdnussbutter. Robert kaut gerade noch auf einem Keks, als wir endlich reden dürfen. Er sagt einen seltsamen Satz: „Das Lieblings-MRE dieses Rekruten ist Hackbraten“. Er spricht nicht mehr von sich, er verwendet nicht mehr das Wort “Ich“. Robert wird gerade zum Marine. Da sind meine Babies! Das kurze Essen ist vorüber, jetzt Piss-Pause. Eine mobile Toilette für alle, nur ein paar Sekunden Zeit für jeden, die Ausbilder machen Druck, die Schlange ist lang. Eigentlich ist das Plastik-Klo auf eine Person ausgelegt, aber weil die Rekruten unter Zeitdruck stehen, gehen sie zu zweit in das Häuschen. Wer in der Schlange steht, hat den Reißverschluss seiner Hose schon runtergezogen und wartet auf seinen Einsatz. Zehn Minuten Zeit. Für alle. Die Ausbilder hämmern an die dünnen Wände des Plastikklos und schreien: „Piss and go! Piss and go!“ Robert und Matthew Shipp werden am 15. September 2006 offiziell zu Marines ernannt. Die Shipps fliegen von Idaho nach San Diego, um gemeinsam mit den anderen Familien bei der Boot Camp Graduation Ceremony dabei zu sein. Wie die Shipps sind die meisten Angehörigen einfache Arbeiter. Manche haben die tief-dunkle Sonnenbräune von Menschen auf ihrer Haut, die ihr Geld als Erntehelfer oder Feldarbeiter verdienen. Es sind auch viele Immigrantenfamilien da – der schnellste Weg zur US-Staatsbürgerschaft führt über die Verpflichtung fürs Militär. Während die Familien auf den Beginn der Feier warten, versammeln sich die Jung-Marines auf der anderen Seite des asphaltierten Platzes. Ungeduldig halten die Freundinnen der Rekruten Ausschau, kauen Kaugummi und drehen mit den Fingern Locken in ihre gefärbten Haare. Als die jungen Männer in Zweierreihen vor ihren Angehörigen aufmarschieren, schluchzt eine Großmutter laut auf und fällt fast in Ohnmacht. Eine trockene Brise weht über den Aufmarschplatz und trägt den Geruch von Schweiss herüber. Ein Mädchen flüstert: „Wie gut die riechen!“ Leslee Shipp hat sofort Matthew und Robert entdeckt. „Da sind meine Babies!“ entfährt es ihr.
Die Zwillinge haben jetzt zwei Wochen frei, ehe die eigentliche Ausbildung beginnt. Robert geht nach Camp Pendleton, Kalifornien, in eine Heeresschule. Matthew geht nach Oklahoma und lernt, wie man Geschütze bedient. Mutter Leslee mag nicht an die Zukunft denken. „Ich will nicht, dass sie fort gehen“, sagt sie, da sind ihre Jungs gerade einmal eine Stunde lang echte Marines. Sie weint. „Das sind meine Babies!“
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
"Proud Father of two Marines": Papa Shipp zeigt seinen Söhnen das Tattoo, das er sich bereits zwei Wochen vor der Aufnahme seiner Söhne bei den Marines hat stechen lassen. Robert legt seinen Arm um die Schulter seiner Mutter und sagt, dass jetzt erst einmal Urlaub sei. Familie Shipp steigt ins Auto. Sie wollen den Zoo in San Diego besuchen und vielleicht Sea World. Robert und Matt können es kaum erwarten, ihre gestärkten Uniformen auszuziehen: Zum ersten Mal in ihrem Leben schwimmen sie im Meer. An Heiligabend 2006 fragt Matthew seine Freundin Jessica – er hat das vorher mit Robert durchgesprochen – ob sie seine Frau werden will. Jessica ist 21 Jahre alt und fast drei Jahre mit Matt zusammen. An eine Heirat hatte sie eigentlich noch nicht gedacht. Aber die Trennung von Matt fällt ihr jetzt schon schwer und wenn sie nicht mit ihm verheiratet ist, darf sie Matt während der Ausbildung im kommenden Jahr noch weniger sehen. „Eigentlich hätten wir noch ein paar Jahre warten wollen, aber wenn du nicht verheiratet bist, bist du den Marines genaugenommen scheißegal“, sagt Jessica. Im Mai 2007 lassen sich Jessica und Matthew trauen. Unter den Gästen der Feier sind viele Marines, Matthews neue Freunde. Einer von ihnen kommt gerade aus dem Irak zurück: Auf seinen Unterarmen haben die Splitter einer Explosion mehrere Narben hinterlassen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Heirat am See: Jessica und Matthew auf der Tanzfläche. Braut und Bräutigam tanzen, es gibt Spanferkel und eine Hochzeitstorte und jeder versucht, diesen kühlen Frühlingsabend so gut zu genießen wie eben möglich. Dann aber kippt die Stimmung doch. Der DJ legt eine neue CD ein und Louis Armstrong singt „What a Wonderful World“. Eine seltsame Stille legt sich über die Feier und es gibt einen Grund dafür. Kurz vor der Hochzeit klingelte Jessicas Telefon. Matthew war dran und sagte, dass er sich freiwillig für einen frühzeitigen Einsatz im Irak gemeldet habe. „Ich hab geheult“, erinnert sich Jessica. „Natürlich! Eine ganze Stunde lang – der Anruf kam drei Tage vor unserer Hochzeit!“ Wir reden nicht darüber Jessica wusste, dass Matthew irgendwann in den Krieg gehen würde. Sie hatte nur nicht damit gerechnet, dass es schon so bald der Fall sein würde. Schon ehe die beiden überhaupt zusammen kamen, machte ihr Matt klar, dass er eines Tages zu den Marines gehen werde und dass er außerdem bereit sei, alles für sein Land zu tun. Aber auch wenn Jessica ihren Mann über alles liebt, heißt das nicht, dass sie die Gründe für den Irak-Krieg nachvollziehen kann. Die Kriegs-Diskussion ist für die beiden ein rotes Tuch. Matthew ist in Sachen Politik sowieso konservativ und bleibt nach wie vor bei der Überzeugung, dass dieser Krieg geführt werden muss, wenn die Amerikaner ihn nicht irgendwann zu Hause führen wollen. Jessica ist hin- und hergerissen, sie weiß nicht, was sie von dem Irak-Einsatz halten soll. „Wir reden da nicht besonders viel drüber“, sagt Jessica im Oktober 2007, wenige Tage bevor Matthew in den Irak aufbricht. „Das Ganze ist ziemlich emotionsgeladen.“ Jessica hat bei der letzten Wahl nicht für George W. Bush gestimmt. Matthew wird auf der Militärbasis von Twentynine Palms, Kalifornien, ausgebildet. Jessica darf gleich neben der Kaserne wohnen und sieht, wie sich auf der Basis ständig Marines fertig für ihren Einsatz machen, wie ständig Einheiten aus dem Krieg zurück kommen. Jessica hat sich mit Frauen von Soldaten angefreundet, deren Ehemänner schon im Irak waren. Sie erzählen ihr von Männern, die mit dem Leben davon kamen, als neben ihnen am Straßenrand wieder eine Bombe in die Luft ging. Sie erzählen ihr von den Verletzungen an Körper und Psyche. Einer der Ehemänner wurde schon ein paar Mal „in die Luft gejagt“, erzählt Jessica. Ein anderer traute sich nach seiner Rückkehr kaum mehr Auto fahren, weil er Panik bekam, wenn er am Rande einer Straße auch nur einen Müllhaufen sah, unter dem er eine Bombe vermutete. „Ich verlange nicht viel“, sagt Jessica. „Es soll nur ein okayer Trip sein. Er soll mit allem dran zurückkommen und noch klar im Kopf sein. Mehr will ich nicht.“ Im Gegensatz zu vielen anderen US-Soldaten im Irak wird Matthew wohl keinen Zugang zum Internet oder zu Satellitentelefonen haben. Er hat Nachrichten auf Jessicas Handy gesprochen, so dass sie zumindest seine Stimme hören kann, wenn er nicht da ist. Sie will ihm schreiben. Jeden Tag. Wie im Boot Camp.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Matthew und Robert Shipp.
Am Morgen, an dem Matt in den Krieg zieht, steht er Hand in Hand mit Jessica auf einem Parkplatz. Kurz nach elf Uhr biegen drei Busse auf den Platz, ein Pfarrer spricht ein Gebet. Jessica hält sich an Matts Arm. Neben den beiden wiegt ein Sergeant ein Baby in seinen Armen, während seine Frau versucht, das erste Kind der beiden zu beruhigen.
„Ich bin schon nervös“, sagt Matt, kurz angebunden. Er macht eine Pause. „Ich gehe in den Irak!“
Kurz nach halb zwölf Uhr, ein Sergeant schreit „Fünf Minuten noch!“. Jessica drückt ihr Gesicht in Matts Uniform. Die Busfahrer starten die Motoren. Matthew küsst seine Frau und drückt sie für Sekunden an sich. Er sagt, dass er sie liebe. Dann greift er nach seinem Gewehr, nach seinem Helm und nach seiner kugelsicheren Weste und steigt in den Bus.
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Fotograf Brian Plonka und Autor James Hagengruber arbeiten als Reporter für die Tageszeitung "The Spokesman-Review" in Spokane, Bundesstaat Washington, USA. Für ihre Heimatzeitung und für jetzt.de begleiten beide das Leben von Matthew und Robert Shipp.
Übersetzung: peter-wagner
Text: james-hagengruber - Fotos: Brian Plonka