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„Brave Studenten wünscht sich niemand“

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Er studierte in Hamburg und Shanghai Sinologie, Philosophie und Turkologie und habilitierte sich mit einer Arbeit zum Neokonfuzianismus des 11. Jahrhunderts: Professor Dr. Hans van Ess, 47, ist einer von vier Vizepräsidenten der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU). Seit 1998 ist er Professor für Sinologie an der LMU und bereitet gerade für die Geisteswissenschaften die Umstellung auf die Bachelor- und Masterabschlüsse vor. Ein Gespräch über renitente Studierende, Orientierungslosigkeit und das Ende der Uni, wie wir sie kannten. jetzt.muenchen: Herr van Ess, was verwundert Sie an Ihren Studenten? van Ess: Dass sie „verschultes Lernen“ stärker nachfragen, als wir es gemacht hätten. „Ich möchte eine richtige Bewertung meines Tuns haben“ höre ich dann. Ich hatte auch schon häufiger Besuch von Studenten, die es nicht gerecht fanden, was Einzelne sich in den Kursen rausnehmen würden – um dann trotzdem gute Noten zu bekommen. Was heißt „rausnehmen“? Dass sie das ganze Semester nix tun und doch durch die Prüfung kommen. Ist das der Neid der Fleißigen auf die Hasardeure, die kurz vor knapp doch noch lernen? Vielleicht. Ich kann die Kritik aber verstehen. In dem Beispiel handelt es sich um den Kurs „Klassisches Chinesisch“, in dem viele Studenten waren und damit das Gefälle groß war. Vorne machten welche mit und hinten spielten welche den Kasper . . . Was haben Sie selbst vom Studium erwartet, als Sie Anfang der 80er in Hamburg anfingen? Ganz ehrlich? Natürlich ging es mir um eine fremde Kultur, von der man viel lernen kann. Mir ging es aber auch um nette Leute und ein nettes Umfeld. Und Spaß wollte ich haben. Hatten sie den? Kein Zweifel, den hatte ich. Ich will aber nichts beschönigen: Der Anfang in einer Großstadt ist nicht besonders leicht. Viele Einheimische stecken immer noch in ihren festen Cliquen . . . Das ist in München nicht anders. Ja, man kann als Erstsemester sehr einsam sein und manche bleiben das. Das ist ein Unterschied zu China, wo die Leute gezwungenermaßen nicht unter Einsamkeit leiden, weil sie in Acht-Bett-Zimmern auf dem Campus schlafen. In München beobachte ich, dass sich manche schwer tun, Kontakte zu finden. Man kann das zwar mit Tutorien einfangen, aber es ist wirklich ein ernstzunehmendes Problem!

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Heute wird von Studenten häufig eine sehr klare Vorstellung von dem erwartet, was sie werden möchten. Hatten Sie denn als Erstsemester eine ordentliche Berufsperspektive? Offengestanden habe ich bis 30 nicht an Geldverdienen gedacht. Dann hatte ich meinen Doktor und sonst nichts. Nun denkt man: „Doktor – feine Sache!“ Aber es gab keine Stellen. Erstmal habe ich den Rest eines Stipendiums aufgezehrt, das ging drei Monate. Ab Monat vier habe ich mich unwohl gefühlt. In den Monaten fünf, sechs und sieben wurde ich sehr nervös. In Monat neun fand ich eine Arbeit im Ostasiatischen Verein in Hamburg als Referent für China, die Mongolei und Korea. Die haben mich erstaunt angeguckt. Ich konnte ja nicht mal mit einem Praktikum dienen. Aber die haben sich gedacht: „Er macht einen offenen Eindruck. Probieren wir es.“ Haben Sie den Eindruck, dass Ihre Studierenden mehr Leistungsdruck spüren als Sie selbst früher? Druck hat es früher genauso gegeben. Mit Einführung der Studiengebühren ist der Anspruch vieler Studenten an die Hochschule gewachsen. Sind Ihre Studierenden fordernder – vielleicht sogar „frecher“ geworden? Eigentlich braver. Als ich hierher kam, war ich 36 Jahre alt und erstaunt, wie häufig ich mit „Professor van Ess“ angeredet wurde. Wir haben in Hamburg nur eine Professorin so angeredet, die darauf bestanden hatte.


Wen haben Sie lieber: den renitenten Feuerkopf oder den braven Lerner? Brave wünscht sich niemand. Wirklich? Wenn jemand „Nein“ sagt, kann man besser diskutieren. Aber die Renitenz kostet halt auch Zeit. Und dann machen noch die Mails den Zugang zu Professoren leichter. Wieviele bekommen Sie am Tag? Wenn ich eine Woche weg bin, habe ich nachher etwa 400. Aber viele davon sind Fachlisten, da drücke ich auf delete. Trotzdem sind es noch viele, die ich beantworten muss um als „guter Prof“ dazustehen. Nervig? Hin und wieder. Das Schreiben zieht Energien ab. Verfluchen Sie den Computer und vor allem das Internet? Immerhin macht es auch das Erstellen von Magisterarbeiten um einiges leichter . . . Wikipedia mag auch seine guten Seiten haben, aber es gibt Bibliotheken, die man trotzdem benutzen muss, weil dort andere Sachen zu finden sind. Wenn ich sehe, dass eine Arbeit von verschiedenen Homepages zusammengeschrieben ist, schreibe ich drunter: „Finde ich wunderbar. Aber hättest du dieses Buch gelesen, hättest du noch mehr gewusst“ Sind die Arbeiten also schlechter? Wenn ich einzelne Dissertationen aus den 60er Jahren beobachte – die sind nicht besser. Bei Magisterarbeiten gehen heute Dinge durch, die früher nicht durchgegangen wären. Der Wissenschaftsrat bemängelt immer wieder, dass zu gute Noten vergeben würden. Haben Sie auch den Eindruck? Naja, man muss überlegen, was man anrichtet. Die Leute sollen ja einen Job finden. In den Hausarbeiten reize ich das Spektrum aber aus, weil ich Signale geben will. Allerdings: In der Sinologie ist die Abbrecherquote relativ hoch. Wer es also bis zum Ende schafft, gehört zu denen, bei denen man nicht zu den schlechten Noten greifen muss. Spüren Sie den Druck, mehr Leute durchbringen zu müssen? Wenn wir die Latte zu hoch legen, laufen Leute davon und wir werden durch ein Verteilungssystem mit einem kleineren Etat bestraft. Das Signal ist klar: Wir sollen Absolventen produzieren. Im Herbst kommt auch für die Geisteswissenschaften der Bachelorabschluss. Haben Sie Bammel? Durchaus. Ich bin mit für die Einführung zuständig und sehe die Hürden. Wie führen wir die Nebenfächer in die Bachelorstruktur? Wie garantieren wir, dass man überschneidungsfrei studieren kann? Es wird Reibungsverluste geben. Wie lange soll der Bachelor dauern? Drei Jahre. Aber der Bachelor soll nicht den Magister ersetzen. Ich habe gesehen, wie Kollegen alles in den Bachelor packen. Das ist meines Erachtens keine gute Idee. Die größte Gefahr ist, dass wir zu hohe Ansprüche setzen, weil man denkt, jetzt können wir reformieren, was uns schon lange auf der Seele liegt. Da bremse ich. Die Hochschulrektorenkonferenz sagt, die Universitäten könnten den Bachelor doch auch auf acht Semester anlegen. Richtig. Es soll aber noch ein Master drauf kommen. Der ist das Gegenstück zum Magister, nicht der Bachelor. Und wenn der Bachelor vier Jahre hat – dauert dann der Master nur ein Jahr? Ist das sinnvoll? Kann es nicht sein, dass das Studium eben irgendwann länger dauert, als es früher der Fall war? Sie sprechen große Worte gelassen aus. Insgeheim habe ich diese Befürchtung auch. An vielen Unis funktioniert es tatsächlich nicht, weil sich zu viele Kurse überschneiden und Sie plötzlich vier statt drei Jahre studieren. Sie bereiten die Umstellung vor und sehen richtige Stundenpläne entstehen, wie an der Schule. Fühlen Sie sich als Totengräber des alten Unisystems, das sie zu dem gemacht hat, der Sie sind? Die Massenuni ist bei dem alten System nicht mitgedacht worden. Man sieht es an den Abbrecherquoten: Viele packen es nicht. Das musste man angreifen. Es gibt in vielen Fächern zu viele Leute, die orientierungslos bleiben. Was mich stört, ist, wie jetzt Studiengänge fabriziert werden, die sich nicht mehr von dem Lehrangebot an der Fachhochschule unterscheiden. Das halte ich für völlig verkehrt. Deshalb müssen wir innerhalb des Bachelors viele Wahlmöglichkeiten schaffen, damit nicht alle das Gleiche machen. Das wäre fad. Das wäre eine Horrorvorstellung!

Text: peter-wagner - Foto: Maria Dorner

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