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Das Ende vom Lied

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Der Moment, in dem es gar kein bisschen mehr weh tut, wird vermutlich nie kommen. Wahrscheinlich nicht mal in zehn Jahren, wenn ich meinen Kindern die Geschichte von meiner Band erzähle. Irgendwann werden sie nämlich das Ende der Geschichte hören wollen. Und dieses Ende war kein sonderlich schönes.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Wir waren keine wahnsinnig erfolgreiche Band. Wir probten ein- bis zweimal pro Woche, hatten ein paar Lieder aufgenommen und hatten eine einwöchige Deutschland-Tour mit Konzerten in kleinen Clubs und Bars gespielt. Mal kamen 15 Leute, mal 150. Ich war Realist genug, um zu wissen, dass wir wahrscheinlich nie berühmt werden würden, auch wenn ein paar Leute an uns glaubten, allen voran unser Sänger und Bandgründer. Das mit dem Berühmtwerden war aber auch egal. Was zählte, war die Musik und das Gefühl, das wir hatten, wenn wir sie spielten. Egal ob auf der Bühne oder im Proberaum – dieses Gefühl war ziemlich großartig.

Dann gab es Streit. Der Stellenwert, den die Band für jeden von uns hatte, war nicht derselbe. Da war der Sänger, der die Band gegründet hatte und sehr viel Zeit und Energie investierte. Da war der Schlagzeuger, der vom Musikmachen lebte und deshalb oft gezwungen war, anderen, lukrativeren Bands Priorität einzuräumen. Der Bassist, der zu studieren begann und weniger Zeit für Proben hatte. Irgendwann wurde geschrien, Türen knallten. Schlagzeuger und Bassist stiegen aus. Wir drei übrigen verordneten uns eine Pause, aber es war klar, dass wir weitermachen würden. Ein neuer Bassist und ein neuer Drummer würden sich schon finden.

Ein paar Monate zogen ins Land, bis ein Freund von mir im Abschiedssatz einer Email schrieb: „Wir sehen uns ja dann auf eurem Konzert.“

Unser Konzert?

Es gab dieses Konzert wirklich. Unser Sänger hatte nicht nur einen neuen Drummer und einen neuen Bassisten gefunden, sondern auch noch einen neuen Gitarristen. Und ich war raus.

Es fühlte sich an, als hätte meine Freundin mich verlassen. Und es gibt ja nur eine Sache, die schlimmer ist als verlassen zu werden: Wegen eines anderen Typen verlassen zu werden. Dann ist nicht nur die Freundin weg, sondern es gibt auch noch jemand anderen, der jetzt das hat, was man selbst noch vor kurzem exklusiv besaß. Der Gedanke daran, dass dieser andere sie küsst, ihre Hand hält und in ihrem Bett liegt, ist unerträglich, die Frage, warum sie den Neuen besser findet, quälend. Deshalb möchte man dem neuen Paar niemals zufällig über den Weg laufen, wenn es turtelnd durch die Stadt spaziert. Und gleichzeitig ist da diese Neugier, dieser Drang zu wissen, wer der Typ ist, der für den ganzen Kummer verantwortlich ist.

In meinem Fall siegte die Neugier. Ich lernte diesen Typen kennen – nach ein paar Monaten, auf einem Konzert meiner alten Band. Da stand er auf der Bühne, seine Finger zupften die Töne, die meine waren. Das tat weh: Zu sehen, wie er die Musik spielte, die ich im Proberaum mit den anderen geschaffen hatte. Aber es tat auch gut, weil mein Anteil an dieser Musik ja noch vorhanden war. Er spielte viele der Riffs und Melodien so oder so ähnlich, wie ich sie gespielt hatte. Andere Stellen interpretierte er ganz anders. Ich musste zugeben: Vieles davon klang besser.

Die Bands des Autors hießen: Boetles (Beatles-Coverband!), Seltop, King Lunacy, Flow und Stark

Text: christian-helten - Foto: Kai Müller

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