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Das Geschäft mit dem Risiko

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Martin kann nicht erklären, was er tut. Es ist das dritte Mal, dass er es versucht. Er spricht von "Gamma", "Vega" und "Volatilität", er spricht schnell und deutet dabei auf einen der Bildschirme vor ihm. Nur soviel: Der 29-Jährige schiebt jeden Tag mehrere hunderttausende Euros durch die Gegend. Wenn ihm ein Fehler passiert, ist die Bank um einen sechsstelligen Betrag ärmer. Und Fehler kommen vor. "Zum Beispiel, wenn ich nicht konzentriert bin. Ich denke dann die ganze Zeit: Verkaufen, verkaufen, verkaufen. Und drücke dann doch auf "kaufen". Aber das passiert jedem." Knapp 300 Leute, fast nur Männer, sitzen in dem Großraumbüro der HSBC Trinkaus in Düsseldorf. Jeder von ihnen hat 1,80 Meter Schreibtisch und sechs Monitore, auf denen Kurse flimmern. Ein paar persönliche Dinge liegen auf den Tischplatten, eine Deutschlandfahne von der WM oder ein Schwarzweiß-Foto von einer jungen Frau. Das Durchschnittsalter hier liegt bei 31 Jahren. Bis 65, meint Martin, könne man den Job eh nicht machen. Zu viel Stress. "Manche können gar nicht abschalten und beobachten auch nach Feierabend noch Kurse." Im Stundentakt kommt eine kleine ältere Dame mit Rollwagen vorbei und krächzt: "Kaffee? Jemand Kaffee?" Wenn aus Zahlen Geld wird Martin Mrosek ist Börsenhändler, ein Eigengewächs der HSBC. Wirtschaftsgymnasium, dann eine Banklehre, 2004 fängt er in der Handelsabteilung der Bank an und arbeitet täglich von 8 bis 18 Uhr, einmal die Woche hat er Spätdienst bis 22 Uhr. Im selben Jahr beginnt er ein VWL-Studium. Dreimal die Woche studiert er nach der Arbeit von 18 bis 21 Uhr und jede zweite Woche auch am Samstag. Etwas anderes hat ihn nie interessiert. Dafür bekommt er ein durchschnittliches Grundgehalt und am Ende des Jahres eine Bonus-Zahlung. "Die Arbeit ist schon sehr abstrakt", sagt er. "Meine Eltern verstehen es nicht." Nur wenige Menschen verstehen, was Martin in seiner Arbeit tut, und noch weniger können es erklären. Von Menschen wie Martin hört man erst, wenn etwas schief gelaufen ist. Dann ist plötzlich aus den abstrakten Zahlenkolonnen wieder richtiges Geld geworden. Geld, das erst der Börse, dann der Wirtschaft und schließlich auch den Menschen fehlt. Dann fordern ein paar Politiker - meist von ganz links oder ganz rechts - eine Begrenzung der Bankenmacht oder sogar eine Änderung des Systems. Weil das System zu mächtig, undurchschaubar und unkontrollierbar geworden sei. Am 21. Januar sackten die Weltbörsen um mehrere Prozent ab. In den Schlagzeilen war von einem "Schwarzen Montag" zu lesen. Schuld daran war ein junger Mann von 31 Jahren: Jérôme Kerviel. Er vernichtete 4,9 Milliarden Euro und brachte seinen Arbeitgeber, die Société Générale, fast um ihren gesamten Jahresgewinn.


Kerviel war Eigenhändler, das heißt, die Bank hatte ihn mit viel Geld und Freiheit ausgestattet. Seine einzige Vorgabe war es, Geld für die Bank zu erwirtschaften. Darin unterscheidet er sich von Martin; dessen Aufgabe ist es in erster Linie, Risiken flach zu halten. Sein Ermessensspielraum ist begrenzt. Nur in seltenen Fällen geht auch er eigene Positionen ein. Sehr angespannt sei man am 21. Januar hier gewesen, sagt Martin. Denn bei starken Kursschwankungen können die Positionen nur mit Verlust gedeckt werden. Seit dem Börsencrash um die Jahrtausendwende wuchs die Nachfrage nach Instrumenten, die - anders als Aktien - auch Gewinne an den Finanzmärkte ermöglichen, wenn die Kurse fallen oder auf der Stelle treten. Wer das genauer verstehen möchte, muss eintauchen in die komplexe Welt der Finanzmathematik. Die HSBC konstruiert, wie fast jede Großbank, Finanzprodukte, mit denen Privatanleger aber auch Firmen oder Investmentfonds an der Börse spekulieren können. Derivate ist der Oberbegriff für solche Konstruktionen. Derivate sind immer an die Kursentwicklung eines tatsächlichen Wertes, zum Beispiel einer Aktie, gekoppelt. Nur sind die Kursschwankungen des Derivats stärker oder schwächer ausgeprägt als die der Aktie. Mit manchen lassen sich so Risken begrenzen, andere erhöhen das Risiko. Im Extremfall können Spekulanten damit innerhalb weniger Minuten ein kleines Vermögen gewinnen oder verlieren. Wenn irgendjemand tausend solcher Zertifikate auf die Aktie von VW ordert, muss Martin in möglichst kurzer Zeit VW-Aktien kaufen - im Wert von ungefähr 150 000 Euro. Damit ist die Bank gegen Kursschwankungen nahezu abgesichert. "Hedging" nennt man das im Fachjargon. Was ist "besonders risikoreich"? Martin erledigt seine Arbeit lautlos mit ein paar Mausklicks. Seit ein paar Jahren ist der Börsenhandel vollkommen digitalisiert worden. Nur in den Medien wird noch das Parkett in Frankfurt gezeigt, auf dem früher hemdsärmelige Banker sich quer durch den Saal Aufträge zuriefen. Weil das Parkett das einzige Bild ist, das noch Kraft hat, diese sonst so stille, komplizierte Welt der Hochfinanz zu illustrieren. Neben Martin sitzt heute Heiko Weyand. Er blickt jedes Mal aufmerksam zu Martin, wenn der etwas sagt. Der 34-Jährige ist zuständig für die Pressearbeit. Den ganzen Tag weicht er nicht von Martins Seite. Hin und wieder korrigiert er ihn, fügt etwas hinzu oder schlägt vor, von welcher Seite Martin fotografiert werden soll. Nicht von unten zum Beispiel. Das würde so ein Macho-Banker-Image vermitteln. Genau das kann man nach den Skandal um Kerviel nicht brauchen. "Mit dem, was Jérôme Kerviel tat, hat Martins Arbeit ja nur bedingt etwas zu tun", sagt Heiko, und Martin pflichtet ihm bei: "Wir haben hier ja immer eine doppelte Sicherung. Wir haben uns alle gefragt, wie Kerviel das tun konnte." Viele vermuten, dass er einen Komplizen hatte. Denn normalerweise werden alle Käufe und Verkäufe aufgezeichnet, gespeichert und regelmäßig überprüft. "Besonders risikoreicher Derivathandel, der hauptsächlich spekulative Absichten verfolgt, soll verboten werden", heißt es in einem Statement der globalisierungskritischen Gruppe Attac. Das klingt logisch, weil niemand möchte, dass die Wirtschaft von Zockern abhängig ist. Aber was "besonders risikoreich", was "hauptsächlich spekulativ" ist, und vor allem wie ein solches Verbot umgesetzt werden soll, darauf hat niemand eine Antwort. Irgendwo hier verläuft eine Grenze, an der sich Zahlen und Weltanschauung treffen. "Wir bedienen nur die Nachfrage. Mit Derivaten können Kunden, Risiken verringern", sagt Heiko. Doch das versteht außerhalb eines Handelsraums niemand mehr.

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