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„Das Internet ist für euch wie die Luft zum Atmen“

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Der Kanadier Don Tapscott, Jahrgang 1947, ist wahrscheinlich einer dieser Männer, die man Internetguru nennen darf. Der Professor aus Montreal schrieb ein vielbeachtetes Buch darüber, wie das Wissen der Massen die Wirtschaft ändern kann. Dann erschien (bisher nur auf Englisch) Grown Up Digital – How the Net Generation is Changing Your World. Für das Buch hat er mehr als 11.000 Jugendliche und ihren Umgang mit neuen Medien beobachtet. Seine Schlüsse kommen all den Pessimisten in die Quere, die glauben, dass Jugendliche vor lauter SMS und Twitter und Sozialen Netzwerken nichts auf die Beine bringen. "Quatsch", schreibt Tapscott in seinem Buch und sagt im jetzt.de-Gespräch, dass sich die „Digital Natives“ zur besten Generation aller Zeiten formen könnten. jetzt.de: Mister Tapscott, wenn ich, seit ich sieben Jahre alt bin, im Internet surfe, ein Weblog habe, twittere und in mehreren sozialen Netzwerken angemeldet bin – macht mich das zu einem Digital Native, also einem Eingeborenen des Web? Tapscott: Ein Digital Native sind Sie, weil Sie mit dem Internet aufgewachsen sind. Dann ist das Internet für Sie wie die Luft zum Atmen. Digital Natives sitzen vor dem Computer und haben drei Programme geöffnet. Sie lesen drei verschiedene Blogs, telefonieren, hören gleichzeitig Musik und machen ihre Hausaufgaben. jetzt.de: Viele Eltern sind im Multitasking nicht so super und glauben, dass einen dieses Hin- und Herspringen kirre machen muss. Tapscott: Ich kann es ja auch nicht! Aber die Gehirne der jungen Generation sind ganz anders entwickelt als unsere. Ich bin Teil der Baby Boomer-Generation. Als ich ein Kind war, lief 24 Stunden am Tag der Fernseher. Heute sind die Jugendlichen stattdessen online. Sie sitzen nicht passiv vor dem Bildschirm, sondern lesen, recherchieren, verarbeiten Informationen, erzählen ihre Geschichten. Digital Natives sind auch keine Multitasker, sie können aber schneller zwischen Tätigkeiten hin und her schalten. jetzt.de: Macht uns diese Fähigkeit schon zu Menschen, in die man ganz viel Hoffnung stecken kann? Tapscott: Junge Leute können heute Informationen besser hinterfragen, sie sind gut darin, sie zu überprüfen und die verschiedenen Quellen zu verwalten. Sie sehen viel schneller, wo etwas nicht stimmt – zum Beispiel, wenn ein Foto bearbeitet wurde. Sie gehen ganz anders an Informationen heran. Ein Beispiel: Ich habe einen jungen Studenten kennengelernt, über den ich auch in meinem Buch schreibe. Er ist sehr engagiert und studiert inzwischen in Oxford. Er sagt, dass er niemals Bücher liest. Trotzdem weiß er, was drin steht – durch das Internet. Darüber regen sich viele ältere Leute auf . . .

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Don Tapscott jetzt.de: Ist doch auch schade, wenn jemand gar keine Bücher mehr liest, oder? Tapscott: In 50 Jahren wird niemand mehr Bücher lesen. Bücher sind lächerlich. jetzt.de: Sie schreiben selbst Bücher . . . Tapscott: . . . und es ist lächerlich! Dieses Konzept ist völlig veraltet. Es wäre viel besser, wenn sie lauter Links und Multimedia-Inhalte hätten, die ständig aktualisiert würden. Aber: Was ich sage, gilt nur für Sachbücher. Mit Romanen ist das etwas anderes. jetzt.de: Ist unsere Generation Internet-süchtig? Tapscott: Sie haben sich an die vielen Vorteile, die das Internet bietet, gewöhnt und nutzen sie entsprechend häufig. Ohne das Netz können Sie nicht mit Freunden kommunizieren, nicht produktiv sein, nicht auf Informationen zugreifen. Deshalb ist es auch so gefährlich, wenn man es aus der Schule und vom Arbeitsplatz verbannt. Sie haben die besten Werkzeuge, die jemals existierten. Sie kennen eine ganz neue Kultur der Innovation, der Vernetzung und der Geschwindigkeit. Und wir? Wir haben diesen Abwehrreflex. Wir versuchen, Sie zu kontrollieren und nehmen Ihnen ihre Werkzeuge weg! Es ist heute ganz normal, soziale Netzwerke auf Firmencomputern oder in Schulen zu sperren. jetzt.de: Das ist wohl der „digitale Graben“ zwischen jenen, die das Web natürlich nutzen und denen, die es noch kennenlernen müssen. Tapscott: Ich nenne das die „Firewall zwischen den Generationen“. jetzt.de: Warum haben zum Beispiel unsere Eltern solche Vorbehalte gegenüber dem Internet? Tapscott: Wir fürchten uns nun mal vor dem, was wir nicht kennen. Deshalb stellen wir den Computer eines 14jährigen ins Wohnzimmer, wo wir am besten auf ihn aufpassen können. Dabei hat er doch auch noch einen Computer in der Hosentasche! Und in der Schule! In Portugal bekommt jedes 12jährige Kind einen Laptop mit High-Speed-Internetzugang im Klassenraum. jetzt.de: Wir wissen, dass Sie für eine Bildungsreform sind. Aber mal ehrlich: Nur, weil man die Schulen mit modernster Technik ausstattet, lernen die Schüler doch nicht besser? Tapscott: Es geht dabei nicht bloß um die Technologie. Es geht darum, interaktiv und in Gruppen zu arbeiten, wie es Jugendliche von klein auf gewohnt sind. Frontalunterricht soll angeblich zu jedem Schüler gleichermaßen passen, der Lehrer soll im Fokus stehen. Das mag in meiner Jugend funktioniert haben. Ich war immer nur der Empfänger – als Fernsehzuschauer, in der Schule, Zuhause, in der Kirche. Heute brauchen wir ein Modell, in dem beide Seiten voneinander lernen. jetzt.de: Was müssen wir machen, um die „Firewall“ zu überwinden? Tapscott: In der kleinsten Institution, der Familie, müssen die Eltern anfangen, sich mit der digitalen Welt zu beschäftigen. Sie sollten sich in sozialen Netzwerken anmelden, Twitter und iPhones nutzen, um die Familie zusammenzubringen. In der Arbeitswelt war es bisher üblich, dass die Jungen von den Älteren lernten. Heute sollte das gleichberechtigt sein, denn die Älteren können auch viel von den Jungen lernen. jetzt.de: Sie wollen das Mentoren-Prinzip umkehren? Tapscott: Hab’ ich schon. Ich habe drei Mitarbeiter, die alle Mitte 20 sind und mich auf dem neuesten Stand halten. Sie haben mich dazu gedrängt, einen Twitter-Account anzulegen. Ich wollte das erst nicht, weil ich es lächerlich fand . . . jetzt.de: Sie haben sich wahrscheinlich erstmal gefragt, was Ihnen das Twittern bringt, oder? Tapscott: Genau! Meine Generation will erstmal eine Kosten-Nutzen-Analyse sehen. Die Jungen dagegen sind Digital Natives. Sie benutzen es einfach. Es ist wie Luft für sie. jetzt.de: Sie haben einmal gesagt, mit Barack Obama hätten die Digital Natives ihren ersten Präsidenten gewählt. Haben demnach die Digital Natives nun auch den Friedensnobelpreis bekommen? Seine „Graswurzelkampagne“ wäre ohne diese Generation ja nicht denkbar gewesen. Tapscott: Barack Obama ist das erste Staatsoberhaupt weltweit, das verstanden hat, wie mächtig diese junge Generation ist. Also gab er ihnen das, was sie wollten: eine Plattform, auf der sie sich vernetzen konnten. Noch immer bekomme ich regelmäßig E-Mails von ihm, in denen er mich auffordert: „Spende! Beteilige dich! Veranstalte ein Treffen!“ Er verändert die Beziehung zwischen Volk und Regierung.

Text: eva-schulz - und Peter Wagner; Foto: pw

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