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Das ist meine Schulklasse

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Der Sitzenbleiber

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Im besten Fall umgeben ihn Wildheit und erwachsene Dinge. Dann ist es so, als würde man zu Beginn des neuen Schuljahres einen Wolf in den kreuzbraven Hühnerhaufen versetzen. Natürlich schlurft er fünf Minuten zu spät in die letzte Bank, natürlich hat sein Army-Rucksack nur noch einen Träger und die Lederjacke sieht aus, als wäre darin schon Che Guevara sitzengeblieben. Er macht nichts im Unterricht, stört nicht, meldet sich nie, das hat er alles hinter sich. Er sitzt einfach da, rollt Zigaretten und wartet, bis die Neugierigsten der neuen Klasse antraben und ihm Freundschaft und Liebe antragen. Ist er cool, dann ist der Sitzenbleiber bald der Dreh- und Angelpunkt der Klasse. Er adelt mit seiner Anwesenheit Raucherrunden und Partys und verschwindet tagelang, ohne das jemand etwas Genaues über seinen Verbleib weiß. Natürlich hat er auch als Erster ein Auto und fast immer einen interessanten Musikgeschmack. Der Umstand, dass er ein ganzes Jahr den gleichen Stoff noch mal durchnehmen wird, erfüllt ihn mit unvergleichlicher Gelassenheit. Nur seine Noten ändern sich marginal. Im schlechtesten Fall ist der Sitzenbleiber das menschgewordene Versagen und wird auch in der neuen Klasse nur zum Marketender der Faulen, Doofen, Störer und zu dem, was die Eltern der anderen ziemlich bald als „schlechten Einfluss“ ausmachen werden. Dann wird er nach unten durchgereicht bzw. verschwindet irgendwann ganz – und nimmt dabei noch ein paar Unvorsichtige mit.


Die Überfliegerin

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Der Witz ist ja immer, dass sie nicht nur schon immer 1,0 hat, nein, irgendwie hält sich in der Kollegstufe das Gerücht, sie wäre sogar noch drunter, also eigentlich 0,7. Alle, die schon das mathematisch nicht verstehen, fürchten sich natürlich doppelt vor dieser Maschine, die doch so harmlos und seit der siebten Klasse gleich aussieht: einfarbige Strickjacke, Mädchenfrisur, Geigen-Abdruck am Hals. Sie ist freundlich, in der gleichen Art wie ihre saubere Pausenbrot-Box freundlich ist, unsexuell und pflegt mit der Klassengemeinschaft einen soliden Nichtangriffs-Pakt. Abschreiben lässt sie nicht so gerne, aber kurz vor der Schulaufgabe erklärt sie auf dem Gang bereitwillig das ein oder andere, wenn auch in ihrer Sprache, was dann zu tumultartigen Verwirrungen führt. Nicht selten gibt es in ihrer Schullaufbahn ein Ereignis, bei dem für ein paar Stunden die Sicherungen durchgebrannt sind – entweder ein hysterischer Anfall beim Ausfragen, eine Prosecco-Ohnmacht beim Facharbeitsfest oder, und das ist am häufigsten, eine verzweifelt-offene Hasstirade auf die Sportlehrerein. Die Übergabe der Abiturzeugnisse ist der letzte Zeitpunkt, an dem sie gesehen wurde.


Der Theater-Geck

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Sein Anderssein dümpelt bis etwa zur siebten Klasse unscheinbar vor sich hin. Dann gibt es einen Sketch-Workshop oder die Aktionstage „Dramatisch Gestalten“ und dabei hat er sein Erweckungserlebnis. Er verzaubert Mitschüler, Lehrer und den Kulturredakteur der Lokalzeitung mit seinem überengagierten Spiel, gibt sich selbst in undankbarsten Rollen bis zur Selbstaufgabe hin und wird von allen anderen beneidet, weil er seinen Beruf vermeintlich schon gefunden hat. Beflügelt von diesem Publikum spielt er diverse Rollen auch außerhalb des Schultheaters, trägt als erster Junge leuchtende Schals und spielt mit den Geschlechterklischees und Wimperntusche, was ihm die Bewunderung der Mädchen und die Häme der Jungs einträgt. Die Gerüchte, dass er schwul sei, dass er bei August Everding als Liftboy angestellt wäre und dass er eine sehr schöne Singstimme habe, hat er selbst gestreut. Das Problem ist, dass ihn nun jahrelang Lob von Menschen umgibt, die sich nicht mal trauen ein Gedicht aufzusagen. Nur deswegen erkennen sie in seiner strapazierenden Romeo-Darstellung große Kunst. Die Juroren an der Schauspielschule sehen das anders. Deswegen wird aus ihm auch nie der große Kinoschauspieler, sondern er bleibt der lokalen Theatertruppe als divenhafter Impressario treu oder taucht mal im Vorabendprogramm als Nebenrolle auf.


Die Schulsprecherin

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Das ist so eine, mit der alle Eltern schon in der 4. Klasse wie mit einer richtigen Erwachsenen gesprochen haben, weil sie so „ein resolutes Persönchen“ war. Später ist aus ihr eine Art Bürgermeisterin der Schule geworden, deren Regiment sich durchaus auch auf einige Lehrer ausweitet. Zwar wird jedes Jahr neu gewählt, aber es ist klar, dass keiner gegen sie ankommt. Sie ist immer Inhaberin einer strahlenden und umsichtigen Art, mit der sie SMV-Problemsitzungen moderiert oder Schülerfeste eröffnet. Von ihr sind Bilder in der Zeitung und sie war schon mal beim Direktor zu Hause. Ihre Noten sind nie die besten, aber sie ist auch nie ernsthaft gefährdet – genauso hält sie es mit Exzessen. Entweder ist sie ewig mit dem anderen Schülersprecher zusammen oder aber sie hat keinen Freund an der Schule, sondern einen in Berlin, der schon länger studiert. Was sie dafür immer hat, ist eine leicht linksradikale Einstellung, eine mütterliche Neigung für die Schwachen, Kleinen und Benachteiligten und jede Menge Ärger mit der Versicherung, weil bei den letzten Aktionstagen doch das Mischpult kaputt gegangen ist. Alle sagen ihr immer eine politische Karriere voraus, aber dann wird sie bei der Wahl zur Bezirksschülersprecherin nur Zweite. Nach der Schule ist es, als wäre ihr ganzer Atem verbraucht und sie wird irgendwas in einer Personalabteilung.


Die Schulband

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Meistens gibt es trotz mehrerer Projekte nur eine Band, die wirklich als die Schulband gilt. Klar: Schulband ist die, die beim Schulfest als Headliner spielt. Sie entsteht fast immer aus der Initiative eines rührigen Musiklehrers, gemeinsam mit dem langhaarigen Gitarren-Streber, der sich natürlich auch zum Bandleader auserkoren hat. Dabei kann er zwar wirklich gut Gitarre spielen, hat aber keine Ahnung von Rock’n’Roll und hält immer die schlimmsten Mucker-Bands für Vorbilder. Das führt auch dazu, dass die Schulband als Stil meist eine Mischung aus Rock-Blues-Funk plus Coverversionen spielt, wobei eben vor allem bei den Coverversionen alle „abgehen“. Das übrige Personal besteht aus dem Bassisten, der bisher meist unauffällig war und durch die exponierte Anstellung auf Schulruhm hofft, was nie recht funktioniert (weil er aber auch in Bassisten-Manier immer nur so introvertiert mitwippt). Eigentlicher Star der Schulband ist entweder ein Sänger, der nur singt und die Lieder schreibt oder der zweite Gitarrist, der sich zwar unter den Musik-Streber unterordnen musste, aber eindeutig die lässigeren Akkorde spielt. Höhepunkt der Schulband-Karriere sind Auftritte außerhalb, Bandwettbewerbe in der nächsten Kreisstadt, bei der sie den zweiten Platz belegt und das Gerücht, dass ein Label echt interessiert wäre. Meist machen sich aber trotzdem schon im letzten Schuljahr massive Auflösungserscheinungen breit. Und gegen alle guten Vorsätze: Das Ende der Schulzeit ist auch immer das Ende der Schulband. Was natürlich keinen der Beteiligten davon abhält, noch dreißig Jahre lang ein Revival vorzuschlagen, weil das doch wirklich „Pflicht“ wäre.

Text: max-scharnigg - Illustrationen: Katharina Bitzl

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