Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Das Konsonanten-Mädchen

Teile diesen Beitrag mit Anderen:



Das Foto ist einer dieser Schnappschüsse um drei Uhr morgens. Fünf gut gelaunte Menschen auf einer Party, die Backen glänzen wie polierte Äpfel. Ich stehe links, den Mund halb offen, und starre unter einem Helm aus zerrupftem Haar an der Kamera vorbei. Es gibt ziemlich viele solcher Fotos von mir, aber jedes Mal, wenn ich dieses eine sehe, muss ich grinsen.

Ein Bekannter schoss es vergangenen Sommer und lud es in ein Facebook-Album. Am Abend sah ich: Jemand hatte das Bild kommentiert. Unter dem Foto stand ein weiblicher Name mit auffallend vielen Konsonanten und der Satz: „Could u introduce me to this boy on the left, please?“

Was dann passierte, finden meine Freunde noch ein Jahr danach so kurios, dass sie kichern, den Kopf schütteln oder sagen, ich solle die Geschichte aufschreiben. Es passierte folgendes: Ich fuhr für ein Wochenende von München nach Prag, um das Mädchen kennenzulernen, das mein Foto kommentiert hatte.

Ihr Profilbild zeigte ein Mädchen mit Sommersprossen auf einem Segelboot, ich fühlte mich geschmeichelt. Deshalb, und wegen einer Prise Abenteuerlust, hatte ich ihr eine Nachricht geschickt: „Hallo, ich bin der, der auf dem Foto links steht.“ Wir schrieben hin und her und stellten fest, dass wir nur einen gemeinsamen Bekannten hatten, aber etwas ähnliches studierten, sie in Prag, ich in München, und italienische Discomusik aus den Achtzigern mochten. Dann schrieb sie: „Ich würde dich gern auf ein Bier einladen. Du musst es dir aber hier abholen.“

Also sagte ich einem alten Freund in Prag, dass ich ihn übers Wochenende besuchen würde und packte eine Tasche. Sowohl dieser Freund als auch alle anderen Menschen, denen ich von meinem Plan erzählte, erklärten mich für naiv-romantisch bis komplett verrückt, mit Tendenz zu letzterem. Dabei war die Sache bis hierhin nicht mehr als die Online-Version eines Flirts, der sich auf jeder guten WG-Party so abspielt: Ein fremdes Mädchen guckt auffallend oft in deine Richtung und lächelt. Du nimmst einen tiefen Schluck aus deinem Glas, gehst auf sie zu und sagst irgendwas. Wenn sie nach einer halben Stunde immer noch lächelt, triffst du sie vielleicht eine Woche später alleine auf ein Bier.

Was das Kennenlernen angeht, ist Facebook das Destillat einer guten WG-Party in hundertfacher Vergrößerung: Der Kreis flüchtiger Bekannter ist riesig. Das Ansprechen kostet kaum Überwindung. Du kannst jede Antwort vor dem Abschicken auf Charme und Schlagfertigkeit überprüfen. Und dein betrunkener Mitbewohner platzt nicht ins Gespräch. Für zurückhaltende Singles ist Facebook wie Schwimmflügel für ängstliche Vierjährige am Beckenrand: die beste Erfindung der Welt.

Das Mädchen saß, wie auf Facebook verabredet, abends auf einer Bank unter dem Prager Fernsehturm. Als sie mich sah, bohrten sich Lachgrübchen in ihr Gesicht, die ich schon von ihren Profilfotos kannte. Wir setzten uns auf eine Wiese mit Blick über die Stadt und tranken Pils. Meinen Prager Freund sah ich nur kurz an diesem Wochenende, dafür war ich umso länger auf der Dachterrasse des Mädchens mit den vielen Konsonanten im Namen, die nicht nur Sommersprossen und einen guten Musikgeschmack hatte, sondern auch sonst ziemlich bezaubernd war. Den Rest des Sommers verbrachten wir abwechselnd auf der Prager Dachterrasse und auf der Wiese vor der Münchner Pinakothek. Partyfotos lösche ich seitdem nur noch selten.

Text: jan-stremmel - Foto: cathi-fischer / photocase.com

  • teilen
  • schließen