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Das Leiden der Kriegsheimkehrer - ein Film über deutsche Soldaten in Afghanistan

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Wie bist Du auf die Idee gekommen, ein Drehbuch über einen jungen Bundeswehr-Heimkehrer aus Afghanistan zu schreiben? Anlass war die Rückkehr eines Bekannten aus dem Kosovo. Das war im Jahr 2000. Er hatte 15 Kilo abgenommen, war plötzlich so ernst und still und erzählte einfach nichts. Erst Jahre später erfuhr ich, dass er Massengräber ausheben musste. Die Soldaten mussten dafür auch auf Leichen rumtrampeln und mit ihren Stiefeln Köpfe von Skeletten zertreten. Er war dabei, als sie eine Frau aus einem Keller befreien sollten, die um ihr Leben schrie, die nackt auf einem Stuhl gefesselt und an Granaten gebunden war, die explodiert wären, wenn sie sich bewegt hätte. Außerdem sind zwei aus seinem Lager ums Leben gekommen, ein Freund von ihm ist durchgedreht. Er selber wurde zwar nicht zum Täter, aber dafür dass es ein Friedenseinsatz war, hat er doch sehr viel Krieg mitbekommen. Mir ging es deswegen vor allem erst einmal um die Frage: Warum geht ein junger Bundeswehrsoldat freiwillig in so eine Region?

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Drehbuchautorin: Johanna Stuttmann, Foto: Maria Dorner Hast Du darauf eine Antwort gefunden? Ich habe sehr viele Interviews mit Soldaten geführt und dabei kam heraus: Die wissen oft gar nicht, was sie da unten erwartet. Sie denken nur daran, welches Auto sie sich von dem Geld kaufen können, dass sie braungebrannt zurückkommen, dass sie eine Zeit lang in schicken Uniformen rumrennen. Alles sehr oberflächliche Gründe, die so einen Einsatz anscheinend attraktiv machen. Wie bist Du bei der Recherche für das Buch vorgegangen? Meine Grundidee war es, ein Einzelschicksal zu porträtieren. Danach habe ich angefangen, im Internet zu recherchieren, habe Filme gesehen und Bücher von Kriegsheimkehrern gelesen. Dann habe ich allen meinen Freunden gesagt, was ich suche und sie um Hilfe gebeten. Schließlich habe ich viel mit der Bundeswehr telefoniert. So kamen sehr viele Interviews zustande: mit vielen Soldaten, die in Afghanistan waren, mit deren Angehörigen, mit Psychologen, die sich auf PTBS spezialisiert haben. Ich habe so viele Gespräche geführt, um alles möglichst realistisch darstellen zu. Ich wollte nicht dafür kritisiert werden, dass all das nichts mit der Realität zu tun hat. Authentizität war mir dabei sehr wichtig. Trotzdem ist Deine Geschichte aber fiktiv. Darin erschießt ein junger Soldat bei einem Einsatz aus Panik einen unschuldigen kleinen Jungen. Die Bundeswehr kehrt das Ganze unter den Teppich, damit der vermeintliche deutsche „Friedenseinsatz“ nicht insgesamt in Frage gestellt wird. Stattdessen entlässt man ihn heldenhaft mit einer Ehrenuhrkunde aus dem Heer. Ist es nicht gefährlich so etwas über die Bundeswehr zu behaupten? Ich erzähle eine fiktive Geschichte. All das ist nicht wirklich passiert. Aber ich bin im Laufe meiner Recherchen auf Informationen gestoßen, die besagen, dass es ähnliche Fälle gegeben hat. Zum Beispiel soll es innerhalb der Lager immer wieder zu Amokläufen kommen. Davon erfährt die Öffentlichkeit nichts. Dass die Bundeswehr solche Sachen verschweigt, ist nicht verwunderlich – nicht zuletzt, weil sie ihre Soldaten vor der Presse schützen möchte. Allerdings habe ich auch von noch sehr viel schlimmeren Fälle gehört – ich weiß von einem, bei dem sechs Soldaten ihr Leben verloren. Deswegen habe ich es auch gewagt in meinem Film so etwas zu erzählen. Wie hat denn die Bundeswehr auf Deine Recherchen reagiert? Sehr unterschiedlich. In einer Kaserne waren alle sehr hilfsbereit und nett. Als es aber ans Eingemachte ging und ich erzählt habe, dass in der Geschichte der Soldat ein Kind erschossen haben soll, bin ich oft gegen Wände gerannt. Wollte man nicht mit Dir sprechen? Ich hatte ein sehr seltsames Telefonat, ich glaube, mit jemandem vom Außenministerium. Als ich da kurz meine Filmgeschichte erzählt habe, hat derjenige am anderen Ende der Leitung wohl nicht richtig zugehört und ganz entsetzt gefragt, woher ich das denn wüsste, woher ich diese Informationen hätte. Das andere merkwürdige Erlebnis war bei einem Anwalt. Dort kam raus, dass es ähnliche Fälle wohl tatsächlich gegeben hat. Er konnte mir natürlich keine Details nennen, aber er war sehr überrascht, wie eine erfundene Geschichte plötzlich so sehr der Realität entspricht. Die politische Tragweite war dir gar nicht bewusst? Als ich 2005 anfing zu recherchieren, hat sich noch kein Mensch für die Soldaten in Afghanistan interessiert. Ich wurde ganz oft gefragt: Ja, warum schreibst du das denn? Die bauen da doch nur Krankenhäuser, stellen Schulbänke auf, warum soll denn da einer so verstört zurückkommen? Mir ging es ja zuallererst darum, etwas über die Motive eines Soldaten zu erzählen, der sich zum Friedenseinsatz meldet. Erst danach wurde mir klar, wie fragwürdig es eigentlich ist, die Einsätze der Bundeswehr in Kriegsregionen „Friedenseinsätze“ zu nennen. Wenn es wirklich nur darum ginge, Schulbänke aufzustellen und Krankenhäuser zu bauen, könnte man da doch auch andere Hilfsorganisationen hinschicken. Mir hat sich bis heute nicht der Sinn solcher Einsätze erschlossen und auch bei der Bundeswehr hieß es auf meine Nachfrage immer nur: „Dazu können wir nichts sagen.“ Wolltest Du mit Deinem Drehbuch eigentlich irgendetwas bewirken? Ich wollte den Krieg ganz allgemein in Frage stellen und zeigen, was er für Spuren hinterlassen kann, auch in einem Friedensgebiet, nämlich in Deutschland. Ich wollte zeigen, wie der Krieg aus Afghanistan in ein kleines Dorf in den Schwarzwald getragen werden kann, allein durch die Erlebnisse des Soldaten. Außerdem ging mir es darum, zur Diskussion zu stellen, was Soldaten der Bundeswehr in Afghanistan leisten und leisten müssen – im positiven wie im negativen Sinn. Es geht mir nicht um eine grundsätzliche Kritik an der Bundeswehr. Es wäre viel zu idealistisch zu glauben, dass ein so wirtschaftlich hochgestelltes Land wie die Bundesrepublik kein Militär braucht. Und ich kenne natürlich auch die Argumente der Bündnisverpflichtung und der der Terrorbekämpfung. Aber vielleicht muss auch einmal das NATO-Bündnis hinterfragt werden. Wer sagt denn, dass die angebliche Bekämpfung des Terrors in Afghanistan diesen nicht vielmehr schürt und hier demnächst nicht auch eine Bombe hochgeht? Dieses Drehbuch zu schreiben, war nicht einfach. Und das Schwierigste daran ist für mich immer noch, dass ich Fragen aufwerfe, auf die ich selbst keine Antworten habe.

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