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Der Beginn einer alternativen Karriere

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Die Leiter ist im Weg. Auf der einen Seite steht ein Sofa hochkant, auf der anderen ist ein Seil gespannt, damit man nicht versehentlich den frisch abgeschliffenen Boden betritt. Mühsam schlängelt sich Simon Schlereth mit einer schweren Kiste vorbei und hievt sie auf den Tresen. Dann nimmt er eine Rum-Flasche nach der anderen heraus und stellt sie in das Regal hinter der Bar. Seiner Bar. Simon hat Soziologie studiert – nur die Abschlussprüfungen fehlen ihm noch, dann darf er sich Diplom-Soziologe nennen. Doch statt einen gediegenen Beruf zu wählen, hat der 27-Jährige vor zwei Monaten beschlossen, sich am Café Kopfeck zu beteiligen – einem veganen Restaurant und einer gemütlichen Kneipe. Während andere Studenten, die in Kneipen kellnern, lediglich ihre Zeit investieren, hat Simon einen fünfstelligen Betrag eingezahlt. Das Geld hat er sich zum größten Teil geliehen, die kommenden Jahre wird er nun Schulden abbezahlen müssen. Gemeinsam mit seinen drei Partnern – alle Freunde von ihm – bereitet Simon gerade den Umzug der Kneipe von der Hauptfeuerwache am Sendlinger Tor in die Klenzestraße vor. Sie müssen noch die Tische montieren, die Küche putzen und der Papp-Tony-Iommi, Gitarrist von Black Sabbath, steht auch noch nicht auf seinem zugedachten Platz. Am 17. Januar soll das neue Kopfeck eröffnen. Mit rund 60 Sitzplätzen ist es fast doppelt so groß wie das alte. Damit die Kneipe voll wird, müssen viele alte Stammkunden mitziehen und neue Gäste angelockt werden. Für Simon geht es um viel: Bleiben die Plätze leer, wird auch sein Geldbeutel leer bleiben und er seine Entscheidung bald bereuen. Das Risiko liegt nicht mehr nur darin, bei einer Prüfung durchzufallen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Wirt nach zwölf Semestern Simon ist 1,90 Meter groß und ein gelassener Typ. Er spricht mit tiefer Stimme und seine Worte klingen überlegt. Eine Kneipe zu betreiben ist nicht gerade das, was er schon immer machen wollte. „Man kann nicht sagen, dass ich mir mit der Kneipe einen Traum erfüllt habe“, sagt Simon. „Es kam völlig überraschend, dass ich im Kopfeck eingestiegen bin.“ An einem Freitagabend haben die Betreiber des alten Kopfeck bei ihm angerufen und gefragt: „Willst du mitmachen? Du hast bis Montag Zeit, es dir zu überlegen.“ Ab und an hatte Simon im alten Kopfeck gekellnert, aber gleich finanziell mit einsteigen? Plötzlich war auch die Frage „Was will ich eigentlich nach dem Studium machen?“ wieder präsent. Bis Sonntagabend diskutierte Simon mit Freunden und seinen beiden Schwestern, dann sagte er zu. „Als ich am nächsten Morgen aufgewacht bin, dachte ich erst einmal: ‚Ach du Scheiße!'“ Doch von Aufregung, Nervosität oder gar Angst ist derzeit keine Spur mehr, Simon zeigt Tatendrang. Seit jenem Montagmorgen habe er die Entscheidung nicht mehr bereut, sagt Simon. „Ich habe auch gar keine Zeit, darüber nachzudenken.“ Mit den anderen drei Kneipenwirten hat er die Wände gestrichen, den Boden abgeschleift und die Einrichtung ausgewählt. Er muss Gläser spülen, Einkaufen gehen und in dem Büro über dem Lokal die Buchführung machen. Und zwischen all den Aktionen muss er noch sein Soziologie-Studium zu Ende bringen. Zwölf Semester hat er gebraucht – damit liegt er ganz gut im Durchschnitt. Simon ist nicht der Typ, der gerne im Vordergrund steht. Darin ähnelt er dem Namensgeber seiner Kneipe, Manni Kopfeck. Der beste Freund von Monaco Franze aus der gleichnamigen Fernsehserie aus den frühen 80ern ist wie Simon ruhig und bescheiden, jemand, auf den man sich verlassen kann. „Mehr so reingeraten“ Als Simon vor zwei Monaten seinen Freunden von dem Entschluss, sich an einer Kneipe zu beteiligen, erzählte, waren sie begeistert. Viele von ihnen treffen sich sowieso regelmäßig mit Simon im Kopfeck. Seine Eltern dagegen fanden die Idee nicht so prima. Sie hätten schon ein wenig kritisch reagiert, sagt Simon. „Aber sie haben nicht gemeint, dass ich völlig spinne.“ Sie liehen ihm schließlich sogar Geld für die Beteiligung, den Rest bezahlte er von seinem Ersparten und dem Erbe seiner Oma. Wenn Simon, der in Aubing aufgewachsen ist und nun in einer kleinen Wohnung am Hauptbahnhof lebt, noch einmal wählen könnte, würde er sich nach den Erfahrungen, die er gemacht hat, nicht wieder für ein Studium entscheiden. „Ich bin da mehr so rein geraten, wie ich auch schon in das Abi rein geraten war“, sagt er. „Irgendwann war es zu spät zum Abbrechen, dann dachte ich, jetzt ziehe ich es durch.“ Im Nachhinein hätte er viel lieber etwas Praktisches gelernt: eine Schreinerlehre oder eine Ausbildung im Messe- oder Bühnenbau hätte er sich vorstellen können. Mit soziologischen Theorien konnte er sich nicht anfreunden – schon während des Studiums hat er lieber gearbeitet. Simon hat Nachhilfe gegeben, als wissenschaftliche Hilfskraft gearbeitet und immer wieder in der Gastronomie gejobbt. Den Uni-Abschluss will er jetzt auf jeden Fall noch machen. Wer wisse schließlich schon, was in zwei oder drei Jahren sei. „Vielleicht habe ich dann keine Lust mehr auf die Arbeit in der Kneipe“, sagt Simon. „Womöglich kann ich das Soziologie-Diplom dann doch noch für etwas gebrauchen.“ Für Punker und Veganer Die Diplomarbeit schrieb Simon über die Genauigkeit von Wahlprognosen. Seine eigene Zukunftsprognose fällt jedoch eher ungenau aus. „Mal sehen was kommt“, sagt er. Wer nicht weiß, was er wird, wird Wirt? Die Vorstellung von ihm als Kneipenmogul, der bald zahlreiche Kneipen in München betreibt, hält er für nicht so wahrscheinlich. Er lacht, so dass man seine Grübchen sieht. Mit einer Pleite rechnet er allerdings auch nicht. „So groß ist das finanzielle Risiko eigentlich gar nicht“, sagt er. Das Schlimmste, was passieren könne, sei, dass man zehn Jahre lang jeden Monat 100 bis 200 Euro Schulden zurückzahlen muss. In den kommenden Monaten heißt es für Simon zurückstecken. Das macht ihm jedoch nichts aus: „Ich muss kein Auto haben, brauche keine große Wohnung und in den Urlaub muss ich auch nicht fahren.“ Die Zeit, die er in der Kneipe verbringt, sei für ihn sowieso keine Schufterei, sondern eher Freizeit. Er arbeitet mit Partnern zusammen, die er mag, es kommen die Leute, die er gut kennt, es läuft meist Punk-Musik, die er gut findet, und das vegane Essen hält er als Vegetarier für besonders lecker. Manche Kellner antworten auf die Frage, was sie denn machen scherzhaft mit ’Soziologie studieren’. Schließlich würden sie ja während der Arbeit die Gäste beobachten. Ist die Arbeit im Kopfeck also doch gar nicht so fern vom Soziologie-Studium? Simons Antwort lautet: „Nein, gebracht hat mir das Studium für die Arbeit nichts.“ Aber vielleicht haben Punkmusik und Poststrukturalismus ja doch ein bisschen was gemeinsam.

Text: lisa-sonnabend - Fotos: Lisa Sonnabend

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