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Der Berufsstart in der teuren Stadt

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Nach einem Jahr mit der Wirtschafts- und Finanzkrise jammern viele Menschen über leere Taschen und den neuen Sparzwang. Azubis können darüber oft nur lachen: Auszubildende müssen schließlich bis zu drei Jahre lang mit sehr wenig Geld auskommen – obwohl sie oft schon voll im Arbeitsleben stehen. Wie das in München funktioniert, haben sie uns in drei Protokollen erzählt:

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Sofia*, 25, drittes Lehrjahr, Auszubildende zur Speditionskauffrau Ich verdiene 520 Euro netto im Monat. Plus Ausbildungsbeihilfe. Obwohl ich meinen Job mag, finde ich, dass es zu wenig ist. An manchen Tagen arbeite ich sogar noch mehr als meine Vollzeit-Kolleginnen. Statt eines höheren Gehalts kriege ich aber höchstens eine auf den Deckel, wenn mir mal ein Fehler passiert. Das frustriert mich vor allem deswegen, weil ich in meiner russischen Heimat bereits als fest angestellte Buchhalterin gearbeitet habe. Dass mein Mann, mit dem ich zusammenlebe, im Moment keine Arbeit hat, macht die Situation nicht leichter. Wenn ich mein Gehalt und sein Arbeitslosengeld zusammenrechne, kommen wir auf knapp 1200 Euro. Das reicht zum Leben, aber viel mehr ist nicht drin. Ich wäre zum Beispiel gerne auf die Wiesn gegangen, hatte aber ein schlechtes Gewissen, mein schwer verdientes Geld dort einfach so in den Wind zu blasen. Um mir etwas dazu zu verdienen, habe ich es auch mal mit einem Nebenjob als Reinigungskraft versucht: Acht Stunden Arbeit und danach direkt zum Putzen. Das war einfach zu viel. Mittlerweile trauen mir meine Kolleginnen viel mehr zu als am Anfang meiner Ausbildung. Das entschädigt mich ein bisschen für das niedrige Gehalt. Trotzdem freue ich mich darauf, wenn ich mit meiner Ausbildung fertig bin. Dann verdiene ich mehr und kann öfter nach Russland fahren, um meine Familie zu besuchen. Und wir kriegen bald ein Baby – das ist sowieso das Allerschönste. * Name geändert *** Murat*, 26, zweites Lehrjahr, Auszubildender IT-Systemelektronik Ich verdiene 390 Euro netto im Monat, und von der Arbeitsagentur bekomme ich zusätzlich noch 290 Euro Berufsausbildungsbeihilfe. Das ist nicht viel Geld, aber als Azubi muss man eben damit rechnen und leben, dass man viel arbeitet und wenig verdient. Wenn ich alle meine Fixkosten abziehe – Miete, Handyrechnung etc. – dann bleiben mir am Ende des Monats noch etwa 100 Euro übrig, die ich insgesamt zur freien Verfügung habe. Dass man davon nicht richtig gut leben kann, ist klar und ich muss sehr aufpassen, dass ich nicht verschwenderisch mit meinem Geld umgehe. Wenn ich mehr Geld zur Verfügung hätte, würde ich mir eine größere Wohnung in der Innenstadt mieten. Im Moment reicht es nur für ein Ein-Zimmer-Appartement am Stadtrand. Beim Weggehen merke ich es am schnellsten, dass mein Geldbeutel immer kleiner und kleiner wird. Die meisten meiner Mitschüler auf der Berufsschule haben es besser: Sie arbeiten in größeren Firmen und verdienen dort schon deutlich mehr als ich, meistens so 800 bis 900 Euro im Monat. Ich finde es wirklich ungerecht, dass die Löhne in einem kleinen Ausbildungsbetrieb oft sehr viel niedriger sind. Ich träume davon, mich nach Ende meiner Ausbildung selbständig zu machen. Diesen Schritt traue ich mir auf jeden Fall zu. Als IT-Systemelektroniker braucht man dafür auch nicht unbedingt viel Startkapital, solange man nur gute Beziehungen hat. Viel wichtiger ist ein Auto. Deswegen mache ich zurzeit endlich meinen Führerschein, was auch ganz schön teuer ist. Und bei meinem niedrigen Gehalt dauert es natürlich noch mal doppelt so lange, weil ich auf jede einzelne Fahrstunde sparen muss. Wenn Azubis stärker nach Leistung bezahlt werden würden, wäre das alles viel einfacher. * Name geändert *** Christoph, 22, zweites Lehrjahr, Auszubildender zum Medienkaufmann Ich verdiene 790 Euro brutto im Monat, netto bleiben mir davon ungefähr 600 Euro übrig. Das ist natürlich nicht viel Geld, aber im Vergleich zu meinen Mitschülern, die ich in der Berufschule treffe, stehe ich mit der Vergütung noch ganz gut da und das Wichtigste ist: die Ausbildung macht mir auch wirklich großen Spaß. Und auch wenn ich mich jederzeit wieder für diesen Schritt zum Azubi-Leben entscheiden würde, ich muss schon zugeben: Es wird zum Monatsende hin auf meinem Konto meistens sehr knapp und ich warte dann immer sehnsüchtig auf den Zahltag. Da ich noch Zuhause wohne, habe ich es bestimmt leichter als andere Azubis, die für die Ausbildung in die Stadt ziehen müssen. Allerdings muss ich auch meiner Mutter noch jeden Monat 100 Euro für Unterhalt bezahlen. Eine eigene Wohnung in München zu mieten ist im Moment einfach nicht drin. Dafür habe ich ja immerhin auch noch ein Auto, das mich ziemlich viel Geld kostet. Um ehrlich zu sein, glaube ich aber, dass es bei mir ganz egal wäre, ob ich nun 500 oder 1000 Euro im Monat verdiene. Denn: Wenn ich jetzt mehr Geld zur Verfügung hätte, würde ich wohl auch schlicht mehr ausgeben und es wäre dann am Monatsende wieder nicht genug. Ich versuche schon während der Ausbildung jeden Monat etwas Geld wegzusparen. Das gelingt mir zwar nicht immer, aber dafür zahle ich schon regelmäßig in einen Bausparvertrag ein. Hätte ich einmal genug Geld gespart, würde ich es wahrscheinlich in ein neues Notebook oder in ein neues und vor allem sparsameres Auto investieren. Bis dahin wird es aber wohl noch ein bisschen dauern. Wie wenig ich eigentlich verdiene, ist mir bewusst geworden, als ich vor Kurzem einmal meinen Stundenlohn ausgerechnet habe. Bei 40 Stunden Arbeit pro Woche bekomme ich in der Stunde gerade mal 3,75 Euro netto.

Text: andreas-glas - Foto: Jack Simanzik/photocase.de

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