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Der Kameltreiber

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Man fährt südlich von München von der Autobahn runter, hinein ins sogenannte Oberland. Da ist es schön, guter Alpenblick. Dann Richtung Grub und gleich rechts, vor einer Steigung, an der Straße, da ist die Weide. Dort sitzt Konstantin Klages, 24, auf einer Holzbank und telefoniert. Weiter vorne, da sitzen die Kamele, strecken ihre Höcker in den Himmel und kauen mit ihren flexiblen Unterkiefern das Gras. Konstantin kommt in kurzen Hosen und barfuß zum Gatter, schiebt zwei metallene Riegel auf und drückt einem fest die Hand. Er muss sehr viel Zeit draußen verbracht haben: Sein Gesicht ist so sommerbraun, dass seine Zähne zu leuchten scheinen. Konstantin erzählt ganz ohne Frage, was hier los ist. „Also wir haben zwölf Kamele, drei Esel und sechs Lamas. Angefangen hat alles vor 21 Jahren, da sind meine Eltern aufs Land gezogen und haben sich im Mangfalltal einen Bauernhof gekauft . . .“ Er erzählt die Geschichte wie den Beginn einer Legende, wahrscheinlich muss er sie mehrmals am Tag vorsagen, die Sätze kommen gut geformt. Er krault den Kopf von Kamel Suleika, das am Boden sitzt. Dann lässt sich Suleika, wumms, zur Seite fallen und dreht sich auf den Rücken. Bisschen wälzen in einer Sandkuhle. Sieht aus, als würde es gut tun.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Konstantin auf Kamel Attila und mit Hund Die ersten drei Tiere kaufte der Vater, der in München lange Zeit Kalender verlegte, einem Zirkus in Grünwald ab. Es ging darum, so Konstantin, einen lebendigen „Rasenmäher“ für das Grün um den Hof herum zu haben. Dann, Jahre später, nahm sich Konstantin der Tiere auf eine andere Weise an. Er war gerade 14 Jahre alt und besuchte in jener Zeit das Gymnasium in Bad Aibling. An den Nachmittagen organisierte er die ersten kleinen Ausritte auf den Kamelen. Den Leuten gefiel das sanfte Gewackel, sie kamen gern wieder. Nach dem Abitur überlegte Konstantin, wie sein Leben weitergehen könnte. „Meine Einstellung hat mir ein Studium nicht erlaubt“, sagt er und geht wieder hinüber zur Holzbank am Rande der Weide. Zwei Esel schauen zu und machen sich auf denselben Weg. „Ich habe mir alles angeschaut, aber nix hat gepasst.“ Er überlegte, ob Tiermedizin etwas wäre, ließ es aber, weil Tierärzte nur mit kranken Tieren zu tun haben. So landete er bei einer für ihn nahe liegenden Berufsidee, die viele Menschen noch heute verwundert. „Jetzt bin ich vollberuflicher Kameltreiber“, sagt er und freut sich über das Understatement, das in dem Satz mitklingt. Die Herde ist in den vergangenen Jahren gewachsen, so dass jetzt Kindergruppen oder Betriebsausflügler vorbeikommen können. Dann wackeln die Kamele mit den Gästen auf dem Rücken eineinhalb Stunden durchs Mangfalltal, unter einem Aquädukt hindurch und hoch auf einen Hügel, damit man wieder die Alpen sieht. „Die Leute lieben dieses Kitschig-Bayerische“, sagt Konstantin. Im Sommer gehen die Tiere manchmal fünf Touren am Tag. Im Winter stehen sie häufig irgendwo in Bayern in lebenden Krippen Pose oder tragen bei Prozessionen um den 6. Januar herum die jeweiligen Heiligen Drei Könige durch eine Ortschaft. Die Menschen haben Spaß am Exotischen, sagt Konstantin. „Sie verbinden Orient und Wüste mit den Kamelen“, sagt er und fügt trotzdem ein „leider“ dazu. Immer wieder hört er den Vorwurf, er sei ein Tierquäler, weil er die Tiere winters durch den Schnee reiten lasse. „Viele wissen nicht, dass Kamele ursprünglich aus Zentralasien kommen“, sagt Konstantin. „Die halten 60 Grad minus aus.“ In der Zwischenzeit haben die beiden Esel die Holzbank erreicht und fangen an zu schlecken. Wahrscheinlich gibt es keinen Landkreis in Deutschland, in dem nicht ein Mensch wie Konstantin oder ein Landwirt auf einem Hof eine für Deutschland eher ungewöhnliche Tierart hält. Kühe und Schweine kennen die Menschen zur Genüge. Vielleicht ist es da nur natürlich, dass schon aus Neugier immer wieder ganz andere Tiere ins Land geholt werden. Oft können Landwirte aber wegen der niedrigen Fleischpreise nicht mehr von der Rinder- oder Schweinehaltung leben und suchen eine alternative Einkommensquelle. Seit einiger Zeit, nur ein Beispiel, gibt es Straußenfarmen in Deutschland, weil die Menschen gerne mal andere Sachen kauen möchten. Es gibt Betriebe, die Wasserbüffel halten, um Milch für einen echten Mozzarella zu gewinnen. Und es gibt Höfe, auf denen Tiere zur Attraktion gehalten werden. Bei Fulda etwa kann man auf einem Hof mit Lamas wandern gehen. Im Allgäu gibt es einen weiteren Hof, auf dem man auch auf Kamele steigen kann. Und wer über die Grenze ins Schweizer Wallis fährt, der kann auf die Alm von Daniel Wismer wandern. Der Schweizer erfüllte sich nach einer Himalayareise dort seinen Wunsch: Er ließ sich nieder und brachte Yaks auf die Hochweiden, die nun das Gepäck von Wanderern durch die Hochalpen tragen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Konstantin Zwischen Daniel Wismer und Konstantin Klages gibt es Ähnlichkeiten. Beide haben sich ein bisschen vom normalen Leben verabschiedet. Sie haben sich ein Stück Natur erobert, auf dem sie nun leben und arbeiten. Nicht wenige Besucher werden dabei neidisch. Der Wunsch nach einem solchen Arbeits- und Lebensort keimt bei vielen, wenn das Leben zwischen Computer und Kaffeeautomat fad wird. Daniel Wismer hat sich den Ort und das neue Leben im Wallis bewusst gesucht. Konstantin hingegen konnte sich gar nicht wehren. Seine Eltern zogen aus der Stadt hinaus und er wurde zwangsläufig anders als andere groß. „Ich bin eher isoliert aufgewachsen“, behauptet er. Der nächste Hof ist mehr als drei Kilometer entfernt. Konstantin sagt, dass er Zeit seines Lebens mehr im Wald als in der Stadt war. Er winkt jetzt seiner Freundin Bianca, die gerade das Gatter öffnet und auf die Weide kommt. Sie stellt eine Plastikschüssel mit Pfirsichen auf den Tisch. Sie macht nächstes Jahr ihr Abitur, Bianca wuchs auf dem Nachbarhof der Familie Klages auf, der ein paar Kilometer entfernt liegt. Nun sind die beiden schon ein paar Jahre zusammen und sorgen oft gemeinsam für die Kamele. Sobald Bianca neben Konstantin sitzt, werden die beiden in Konstantins kräftiger Sprache zum „Wir“. „Wir sind hier keine Hillbillies“, sagt er. „Es gibt viele, die so sind wie wir, die so leben wie wir. Wir wollen ein Leben für und mit den Tieren. Wir sind vielleicht so etwas wie Außenseiter, fühlen uns aber nicht so.“ Die Esel kommen wieder an den Tisch und schnappen jetzt nach den Pfirsichen. Konstantin nimmt die Schüssel weg und drückt die Eselsköpfe zur Seite. Er sagt: „Ich habe mir das Leben genau so vorgestellt, wie es jetzt ist.“ Schaut man den Kamelen beim Abhängen zu, kann man sich ganz gut vorstellen, dass sich ihre Gelassenheit auch auf Menschen überträgt. Konstantin glaubt, dass das bei ihm schon geschehen ist. „Ich bin impulsiv, teils richtig hyperaktiv“, sagt er von sich selbst. „Kamele sind dagegen ruhige und ausgeglichene Tiere.“ Er überlegt. „Ich glaube, sie bringen mich tatsächlich wieder runter.“ Auf den ersten Blick nehmen die Menschen Konstantin sein Angekommensein und seine augenscheinliche innere Ruhe immer gerne ab. Aber nach dem zweiten Blick stellen sie trotzdem Fragen, erzählt Konstantin. Ob er denn nicht studieren wolle? Ob er nicht wenigstens eine Ausbildung machen wolle – er habe doch nichts gelernt! An der Stelle ist es dann ein bisschen vorbei mit dem Kokettieren, dann sagt Konstantin, was ein „Kameltreiber“, wie er sich anfangs so bescheiden genannt hat, in Wahrheit alles machen muss. „Ich habe in den vergangenen zehn Jahren wahnsinnig viel gelernt.“ Er redet vom Umgang mit den Tieren und den Mitarbeitern und Kunden. Er erzählt von Tagen, die um sieben Uhr morgens mit dem Füttern der Tiere beginnen und um 23 Uhr am Schreibtisch vor der Abrechnung oder der Steuererklärung enden. Er erzählt von den Kritikern, denen man entgegenkommen müsse: Die einen beschweren sich, die Kamele würden die Wege dreckig machen, die anderen maulen über die Autos der Besucher. Konstantin erzählt von der schwierigen Akquise in den ersten Jahren. Manchmal stellte er den Chefs von Unternehmen ein echtes Kamel vor die Tür, um zu verdeutlichen, dass man auf einem Betriebsausflug darauf sitzen könne. Er wurde zum Self Made-Landwirt, baute einen Stall, kaufte einen Traktor, lernte mähen. („Du musst erst mal die richtigen Schnitthöhen rausfinden . . . “) Er erzählt, wie er entlang der Bedürfnisse der Kamele erwachsen wurde. Als er fertig ist, schaut er einen fragend an, als wolle er sagen: ,Ist das alles denn keine Ausbildung?‘ Und das wäre wahrscheinlich eine gute Frage.

Text: peter-wagner - Fotos: Jürgen Stein

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