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Der Kandidat

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Plopp macht es aus der ersten Reihe des Hörsaals. Und dann noch mal. Plopp, plopp, plopp – so wie es halt klingt, wenn Studenten Bier trinken, während sich vorne Kandidaten für das Amt ihres Hochschulpräsidenten bei ihnen vorstellen. Oder eher: Wie es klingen müsste, wenn Präsidentschaftskandidaten sich den Studenten vorstellen. Das tun sie sonst nämlich nicht. Weil die Studenten bei dieser Entscheidung eigentlich nichts mitzubestimmen haben. Deshalb steht da vorne auf der Bühne auch nur eine Person: Götz.
 
Götz Hermann „Teamarbeit“ Greiner ist 27, steht kurz vor seinem Masterabschluss und möchte Präsident der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) werden. Sein Mittelname ist sein Wahlversprechen.
 
Formal erfüllt er die Anforderungen des bayerischen Hochschulgesetzes. Dem zufolge muss ein Unipräsident nämlich einen akademischen Abschluss vorweisen können (in Götz’ Fall ein Bachelor) und mehrere Jahre Erfahrung in einer „verantwortlichen beruflichen Tätigkeit, insbesondere in Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Verwaltung oder Rechtspflege“ vorweisen können. Götz hat ein paar Jahre ein Theaterfestival geleitet. Das muss reichen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

 Götz Greiner, 27, hat einen Bachelor-Abschluss und will Präsident der Uni Erlangen werden.

Heute steht er deshalb in rotem Hemd und Anzugshose vor den rund 20 Studenten und drei Univertretern im Hörsaal und erläutert seine Visionen für die Zukunft der FAU. Götz ist der einzige Bewerber, der seine Kandidatur für den Job öffentlich gemacht hat. Die anderen Anwärter hatte die Pressestelle der Uni noch kurzfristig über den Termin informiert. Gekommen ist keiner. Also spricht Götz allein.
 
Er erzählt etwas von einem Fünf-Punkte-Plan und einem soliden finanziellen Fundament für die Uni – gerne mithilfe von Spielbanken auf dem Campus. Auch für die Verlegung der Uni ins Ausland sei er offen, sollte das kostengünstiger werden. Und dann sei da noch diese Sache mit den Geisteswissenschaften, die ja noch nie einen Kranken geheilt hätten und deshalb noch mal überdacht werden sollten. In den hinteren Reihen Geflüster. „Ein bisschen“, raunt jemand, „erinnert er mich an Martin Sonneborn.“ Sonneborn ist Vorsitzender der Satire-Partei „Die Partei“, der seit kurzem im Europa-Parlament sitzt. Das trifft es ganz gut. Denn was Götz macht, ist Realsatire. Mit dem Unterschied, dass Götz’ mehr will, als nur den Politikbetrieb entblößen.
 
Einige Stunden zuvor: Götz führt über den Campus der Universität Erlangen. Hier, in das große Schloss, da will er rein, sagt er und muss das Lachen unterdrücken. Neulich hat er das Schloss bereits medienwirksam inspiziert, bis in sein „zukünftiges Büro“ kam er allerdings nicht. Da sitzt momentan nämlich noch der aktuelle Präsident Karl-Dieter Grüske, der als Verfechter, wenn nicht gar Erfinder der Studiengebühren gilt. Und das ist aus Götz’ Sicht typisch für die FAU – eine Uni, die sich hauptsächlich um ihre Rentabilität und Kontakte zur Wirtschaft kümmert, während den Studenten in manchen Gebäuden der Putz von der Decke entgegenrieselt. https://www.youtube.com/watch?v=rrzXtjQU9so Götz' Wahlwerbespot   
Dass bei der Wahl des Unipräsidenten laut bayerischem Hochschulgesetz nur zwei der 20 Wahlberechtigten Studenten sind? Dass weder Kandidaten noch die Wahlempfehlung der „Findungskommission“ transparent sind? Passt für Götz gut ins Bild. An der Bibliothek hält ihn ein Student mit Pudelmütze auf: „Ey, ich hab gehört, du kandidierst?“ Götz drückt ihm Sticker mit seinem Konterfei in die Hand. Auf die Frage, wie man ihn wählen kann, muss er allerdings immer antworten: Gar nicht.
 
Um das Problem mit der studentischen Mitbestimmung anschaulicher zu machen, hat Götz zusammen mit seinem dreiköpfigen Team ein Schaubild entworfen. Es zeigt, wie sich der Universitätsrat, der in einer geheimen Wahl den Präsidenten wählt, zusammensetzt: Von den 20 Mitgliedern kommen sechs aus der Wirtschaft, darunter Manager von Siemens und Continental. Der Rest sind Professoren der FAU und anderer Hochschulen sowie zwei Verwaltungskräfte. Die rund 40 000 Studenten der FAU haben genau zwei Stimmen. Die Wahlberechtigten bekommen eine Liste, auf der nur die Kandidaten stehen, die die zuvor eingeschaltete Findungskommission akzeptiert hat. Gerüchten zufolge steht darauf nur ein Name. 

Einige fordern, er solle "erst mal der Gesellschaft was zurückgeben".
 
„In jedem Dorf wird der Bürgermeister demokratisch gewählt“, sagt Götz. „Wir Studenten sind zahlenmäßig ein ziemlich großes Dorf, trotzdem dürfen wir das nicht.“ Für eine demokratische, transparente Wahl des Unipräsidenten müsste man allerdings das bayerische Hochschulgesetz ändern – das müsste das bayerische Parlament durchwinken. Dazu wird es in absehbarer Zeit allerdings nicht kommen.
 
Also will Götz zumindest ein bisschen „frischen Wind in die Uni bringen.“ Die Leute ein wenig zum Nachdenken bringen. Dass das funktioniert, haben die vergangenen Wochen gezeigt. Nach seiner Kandidatur kamen Medienanfragen, das Netz diskutierte über ihn. Die meisten finden seine Idee lustig. Andere sehen darin eine Verhöhnung des Uni-Apparats und fordern, er solle erst mal „der Gesellschaft zurückgeben, was sie in sein Studium investiert“ habe. Und die Uni selbst? Hält sich bedeckt. Eine Pressesprecherin sagt: „Wir können uns zu dem derzeit laufenden Wahlverfahren, auch im Hinblick auf die anderen Kandidaten, nicht äußern.“ Man würde Götz’ Kandidatur allerdings „zur Kenntnis nehmen und interessiert verfolgen.“
 
Die Theologin und Professorin Johanna Haberer, bei der Götz demnächst auch seine Masterarbeit schreiben soll, spricht da offener: „So lange er mit der Kandidatur ein klares Ziel verfolgt, zum Beispiel indem er studentische Themen auf die Agenda setzt, finde ich das in Ordnung. Allerdings muss er dann auch eine gesunde Distanz dazu wahren und darf das ganze nicht nachträglich verhöhnen, zum Beispiel in dem er später seine Masterarbeit darüber schreibt.“ Die Kampagne allein für seine Abschlussarbeit zu inszenieren? Das streitet Götz ab. Ein Thema für seine Masterarbeit hat er aber noch nicht angemeldet.
 
Im Hörsaal ist Götz mit seiner Präsentation fertig. Zeit für ein paar Fragen aus dem Publikum. Wie er sich dies oder jenes denn genau vorstelle? Darauf hat Götz eine Standard-Reaktion: Erst eine lange Denkpause. Dann der Satz: „Das ist eine gute Frage.“ Dann: „Schließen Sie sich doch meinem Team an. Hier vorne liegen meine Visitenkarten.“ Alle hier wissen, dass er kommenden Freitag nicht Präsident wird, es geht nur um die Show. Am Ende stehen alle zusammen und diskutieren beim Bier, wie es nun weitergeht. Auch ein Vertreter der Uni ist da, er trägt als einziger außer Götz Sakko. Wie er das ganze fände, fragt ein Student. Antwort: „Wir haben viel darüber gelacht.“ Es klingt nicht ganz so, als würde das Problem dort ankommen, wo es soll.



Text: charlotte-haunhorst - Fotos: Charlotte Haunhorst

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