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Der Mentor und die junge Münchner Literatur: Georg M. Oswald-Interview

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jetzt.muenchen: Ist München eine gute Stadt, um zu schreiben? Georg: Sicher, hier gibt es viele Verlage und ein reges literarisches Leben. In München gibt es eine erhöhte Aufmerksamkeit für Literatur, ein großes, überdurchschnittlich interessiertes Publikum, und das ist für Schriftsteller förderlich. Es birgt aber auch die Gefahr, den Betrieb für wichtiger zu halten als die Arbeit, das Schreiben. Trotzdem, alles in allem herrscht hier eine gute Atmosphäre, um zu schreiben. jetzt.muenchen: Kann man aktuell von einer Münchner Schule sprechen? Hat die Literatur aus München also in den letzten Jahren eine bestimmte Bedeutung bekommen? Georg: Die gleiche Frage wurde mir vor zehn Jahren auch schon gestellt. Vielleicht ist es so, dass alle zehn Jahre eine neue Autorengeneration sichtbar wird. jetzt.muenchen: Gab es denn vor zehn Jahren eine Münchner Schule? Georg: Was man damals auf jeden Fall sehen konnte: Es gab einen Kreis von Autoren, die aus München kamen und in Verbindung miteinander standen, ohne deshalb gleich als literarische Gruppe aufzutreten. Ich glaube, das ist heute auch so. Vielleicht sogar noch mehr, weil es im Unterschied zu damals unterdessen gut etablierte Institutionen gibt, aus denen neue Autoren hervorgehen. Zum Beispiel der Manuskriptum-Kurs der Universität München. Die Autoren, die solche Kurse besuchen, entwickeln natürlich Klassenbewusstsein. Sie kommen ja auch wirklich alle aus einer Klasse. AC/DC von den Jungen jetzt.muenchen: In der Schul-Metapher gesprochen, wäre das jetzt die Klasse unter dir. Die findet man ja als Älterer eigentlich immer doof . . . Georg: . . . überhaupt nicht. Als ich selber noch zur Schule ging, war ich Tutor . . . jetzt.muenchen: . . . also ein Gutmensch! Georg: Ja, und habe damals viel von den Jüngeren gelernt. Meine erste AC/DC-Platte habe ich zum Beispiel von meiner Tutorenklasse bekommen. Und dadurch bin ich zum AC/DC-Fan geworden. Man kann also von den Jungen durchaus etwas lernen. jetzt.muenchen: Gib noch ein Beispiel – vielleicht ein literarisches. Georg: „Kind oder Zwerg“ von Daniel Grohn und „Ostersonntag“ von Harriet Köhler sind interessante Debüts. Der junge Schriftsteller, von dem ich zuletzt am meisten gelernt habe, ist Kevin Vennemann. Es gelingt ihm, jenseits jeder Erinnerungsrethorik über den Holocaust zu schreiben. Ich hätte nicht gedacht, dass jemand, der 1977 geboren ist, so darüber schreiben kann.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

jetzt.muenchen: Was unterscheidet die Klasse von 2007 von der Klasse von vor zehn Jahren? Georg: Mir scheint, die Autoren heute bemühen sich noch weniger als wir damals um allgemeinverbindliche ästhetische Positionen. Vor zehn Jahren wurde noch darüber diskutiert, warum eine verbindliche Ästhetik nicht mehr möglich ist. Heute gilt es als selbstverständlich. Ich sehe übrigens nicht, dass damit etwas verloren wäre. jetzt.muenchen: Verbindet die Münchner Autoren von heute inhaltlich etwas in ihrem Schreiben? Georg: Ich weiß nicht, ob sich das belegen ließe, aber mein Gefühl ist, dass das „Ich“ eine noch größere Rolle spielt als vor zehn Jahren und dass man noch ungehemmter als damals um dieses „Ich“ kreist. Das betrifft übrigens nicht nur die jungen Münchener Autoren, sondern eine Tendenz in der Gegenwartsliteratur allgemein. jetzt.muenchen: Die Ich-Erzähler? Georg: Ja, diese Perspektive ist zum Synonym für Weltflucht und juvenile Selbstbezogenheit geworden. Das ist eigentlich schade, denn es lässt sich so viel Verblüffendes mit der Ich-Perspektive anstellen. Aber sie wird langweilig, wenn sie nur zur Nabelschau dient. Vielleicht hat diese starke Ich-Befangenheit aber auch damit zu tun, dass die vermittelte Realität der Medien heute so präsent ist. Vielleicht erscheint es da besonders aufschlussreich, sich mit dem einzig Wirklichen zu beschäftigen, was einem zur Verfügung steht – eben mit sich selbst. jetzt.muenchen: Haben es die jungen Autorinnen und Autoren heute schwerer, einen Verlag zu finden, als die Schreiber von vor zehn oder fünfzehn Jahren? Georg: Ich glaube nicht, im Gegenteil. Die Aufmerksamkeit und das Interesse für deutsche Literatur sind größer geworden. Vor zehn, fünfzehn Jahren brauchte man als Verleger einen sehr guten Grund, um sich für einen deutschen Autor zu entscheiden. Es war sehr wahrscheinlich, dass er sich nicht gut verkaufen würde. Diese Wahrnehmung hat sich doch verändert. Es gab noch nie so viele relativ junge deutschsprachige Bestseller-Autoren wie heute. Das hilft natürlich auch den jüngeren Schriftstellern, weil jeder Verleger das jetzt ernster nimmt und denkt: „Vielleicht ist das ein neuer Kehlmann?“


jetzt.muenchen: Welche Rolle hat München für dein Schreiben gespielt? Georg: Eine wichtige. Mein erstes Literaturstipendium habe ich 1993 von der Stadt München, meinen ersten Buchvertrag von einem Münchener Verlag angeboten bekommen, als ich gerade dreißig Seiten Manuskript in der Hand hatte. Und es gab diese Verbindungen zu anderen Autoren, zum Beispiel zu Andreas Neumeister und Thomas Meinecke. 1993 hat Andreas Neumeister eine Lesung in der Muffathalle veranstaltet, die hieß „Tanzverbot – Münchner Pop-Autoren lesen trotzdem“. jetzt.muenchen: Pop-Autoren? Georg: Unter einem Pop-Autor verstand man damals noch etwas ganz anderes als heute. Ich lernte bei der Lesung viele der damals jüngeren Münchner Autoren kennen: Michael Lentz, Helmut Krausser, Albert Ostermaier, Franz Dobler, Thomas Palzer, Friedrich Ani und etliche andere gehörten dazu. Lesen beim Tanzverbot jetzt.muenchen: Habt ihr denn damals einfach so die riesige Muffathalle für eine Lesung bekommen? Georg: Wie gesagt, die Veranstaltung hieß „Tanzverbot“. Am Totensonntag herrschte Tanzverbot, und genau für diesen Tag, an dem sowieso nichts anderes los sein durfte, hat man uns die Halle angeboten. Es kamen dann aber erstaunlich viele Leute, so um die 300. Das waren nicht die üblichen Lesungsbesucher sondern Leute, die uns aus dem Baader Café und dem Substanz kannten, also dem, was man zu jener Zeit das Münchner Nachtleben hätte nennen können. Ich glaube nicht, dass es damals in erster Linie darum ging, ein Literaturereignis zu erleben. Eher wollten wir versuchen, eine Lesung zu machen, die nicht so nach Lesung aussah, wie man sich das damals eben vorstellte: mit Wasserglas und Saxophonsolo. jetzt.muenchen: Es gibt jetzt seit zehn Jahren den Poetry Slam, es gibt einen Open Mike und kleinere Lesebühnen. Hat das die Münchner Literaturszene verändert? Bist du dort auch selbst schon aufgetreten? Georg: Für junge Autoren ist das sehr interessant. Wer schreiben will, kann sich einem Publikum stellen und ausprobieren, ob seine Texte ankommen oder nicht, und kann ein Gespür für deren Wirkung entfalten. Es haben sich da ganz eigene Formen entwickelt, die allerdings, so finde ich wenigstens, gemessen an den Möglichkeiten, die Literatur bietet, relativ eng begrenzt sind. Trotzdem habe ich, wie auch andere „konventionelle Schriftsteller“ immer mal wieder auf Slams gelesen. Wir schneiden dabei meist gar nicht so schlecht ab, weil auch dort eine gute erzählte Geschichte eine gut erzählte Geschichte bleibt. jetzt.muenchen: Ist die schriftstellerische Tradition einer Stadt wie München wichtig für dich? Georg: Na klar, obwohl ich es schade finde, dass die Ahnengalerie Karl Valentin, Oskar Maria Graf, Herbert Achternbusch so sehr unter ihrer folkloristischen Verhunzung leidet. Aber es gibt ja auch andere Beispiele, München bei Thomas Mann etwa, oder Feuchtwangers München-Roman „Erfolg“. Als literarischer Ort, also als Schauplatz in der Literatur, ist München ein für alle mal Provinz. Das mag einem als Münchner noch so bedauerlich erscheinen, aber das lässt sich gar nicht ändern. Muss ja auch nicht sein, man muss nur damit umzugehen wissen, und das bedeutet auch: Abstand halten. jetzt.muenchen: Gibt es ein Buch, das man gelesen haben sollte, wenn man in München Schriftsteller ist? Georg: Wo wir gerade davon reden: „Wir sind Gefangene!“ von Oskar Maria Graf zum Beispiel. Wer das liest, lernt viel darüber, was es bedeutet hat, Schriftsteller in München werden zu wollen, bevor es städtische Stipendien gab. Und noch ein anderer Roman übers Schriftstellersein in München: „Herbstlicht“ von Hermann Lenz. Interview: Caroline von Lowtzow, Dirk von Gehlen Foto: David Freudenthal

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