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Der schwarze Schatten

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Irgendwann muss die neue Zeit angebrochen sein im Glockenbachviertel: Wiener Schnitzel kosteten 17,80 Euro, bullige Porsche Cayennes fuhren in die Baader-, Klenze- und Jahnstraße ein, und deren Fahrer sahen aus, als seien sie gerade aus dem Wellness-Urlaub zurückgekehrt. Man weiß nicht genau, wann diese Zeit begann, aber vielleicht war es an dem Tag, als Andreas Hofer einen schwarzen Vogel über die Welt malte. Seitdem hängt das Bild namens „Epic Imperial – The Long Tomorrow“ im Baader Café.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Mary McLaughlin steht an einem Samstagnachmittag hinter der Theke und spült Gläser. Ganz sicher ist sie sich nicht, seit wann die Weltkarte hier ist, „aber auf jeden Fall schon ewig, also seit den Neunzigern oder so“. Ihr Mann und Partner Peter Nimmrichter sammelt Weltkarten, eine davon hing er an die Wand des Baader Cafés, das die beiden zusammen betreiben. Die Karte misst etwa zwei mal drei Meter.

1985 eröffnete das Café in der Baaderstraße 47. Mary ist seit den Anfangszeiten dabei, davor studierte sie Kunst. Damals, als es im Viertel nichts weiter als ein paar Spelunken und die Isar gab, kamen Künstler, Musiker und Verrückte ins Café, tranken, redeten und visionierten – taten eben all das, was die Menschen so tun, die nicht gerade für einen Porsche Cayenne und ein teures Schnitzel arbeiten. Im Internetlexikon für alternative Kultur in Bayern, sub-bavaria.de, heißt es über die Anfänge des Baader Cafés: „Schlicht und ergreifend gibt es niemand aus der Szene, besonders wenn sie sich für Subkultur hält, der sich in dieser Zeit nicht im Baader Café aufgehalten und restlos besoffen hat.“

Einer dieser Leute war Andreas Hofer, der damals in den Neunzigern noch an der Akademie der Bildenden Künste in München studierte. Mary sagt: „Es muss im April oder März gewesen sein, auf jeden Fall kurz nachdem George W. Bush 2003 in den Irak einmarschiert ist.“ Hofer saß mit dem Kunstsammler Tom Bieber an einem Tisch. Vielleicht sprachen sie über den neuen Krieg im Irak, vielleicht waren sie betrunken. Jedenfalls entschied sich Hofer, einen schwarzen Vogel auf die Welt zu malen. „Es ist kein Adler, aber auch kein Geier wie manche Leute schon meinten, sondern es ist ein Signet aus einem Pulp-Magazin“, sagt Andreas Hofer. „Es ist mehr eine Art Urvogel oder wie ein schwarzer Schatten davon oder ein Phantasiegeschöpf.“ Er erzählte Mary von seinem Vorhaben. Mary musste natürlich erst Peter, den Landkartenfan, um Erlaubnis fragen. Er war einverstanden. Schließlich kam Hofer spät nachts mit schwarzer Ölfarbe und pinselte den schwarzen Adler über die Welt – von Hawaii bis Japan, von Dänemark bis nach Südafrika. „Das Bild ist entstanden, weil ich Bilder und Worte gesucht habe für die apokalyptische Stimmung, die immer wieder durch die Öffentlichkeit zieht“, sagt Andreas Hofer heute. Seit dieser Nacht trinken Menschen im Baader Café unter diesem Bild ihren Milchkaffee oder ihr Bier. „Manche Leute sagen: Schade um die schöne Weltkarte“, erzählt Mary. Doch aus der Karte war Kunst geworden und hieß nun „Epic Imperial – The Long Tomorrow“.

Im Baader Café verging die Zeit langsamer als draußen im Viertel. Da eröffneten Cafés mit Rattan-Möbeln, auf denen Menschen saßen, die sich sehr große Autos und Schnitzel leisten konnten. Penthouses wurden auf Dächern der Häuser errichtet, und Immobilenmakler bewarben Wohnung mit Sprüchen wie „Haben statt Wollen“. Ein In-Viertel war rund um das Baader-Café entstanden. Ein paar Künstler, Musiker und Verrückte von damals kommen noch immer und treffen auf Jüngere, die hierher kommen, weil das Baader eben der „unpeinlichste Ort“ der Stadt ist, wie der Schriftsteller Thomas Meinecke einmal schrieb.

Und Andreas Hofer? Ist unter dem Pseudonym „Andy Hope 1930“ ein gefragter Künstler und längst nach Berlin gezogen.

Text: philipp-mattheis - Foto: juri-gottschall

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