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Die jungen Theatermacher

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Roger Vontobel, 28 Jahre

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Er ist das Regiewunderkind: Roger Vontobel, aufgewachsen in der Schweiz und in Südafrika, hat seit gut einem Jahr sein Regiestudium abgeschlossen und ist bereits fester Regisseur in Hamburg (Schauspielhaus), am Schauspiel Essen und in München (Kammerspiele). Er wurde zum diesjährigen „Young Directors Projekt“ nach Salzburg eingeladen. Dabei sah es lange nicht danach aus, dass Roger Regisseur werden würde: nach dem Abitur begann er ein Physik-Studium, das er aber schnell abbrach, um in New York Schauspiel zu studieren. Nachdem er ein Jahr lang in einem Shakespeare-Theater bei L.A. jeden Nachmittag im gleichen Kostüm vor Rentnern auftreten musste, war ihm klar: er möchte nicht länger ausführendes Organ sein. Die Erfahrungen in L.A. haben ihn geprägt: „Zusammenarbeit ist im Theater für mich das Wichtigste. Dass man gemeinsam mit den Schauspielern danach sucht, wie man einen Stoff umsetzen kann und gemeinsam herausfindet, was man mit einer Figur erzählen will.“ Die Suche nach der Bedeutung eines Stückes, das sei die eigentliche Aufgabe von Theater sagt Roger. Das müsse auch in einer Aufführung sichtbar werden, nicht nur in der Vorarbeit, „die dann dazu führt, dass das Stück auf einem Baum spielt und die Zuschauer nicht mehr verstehen warum.“ Auch über die Umsetzung eines Stückes hinaus bestimmt die Suche sein Theater: nach Authentizität und Unmittelbarkeit, nach echten Gefühlen und Empfindungen. „Nur im Spiel ist wirkliche Freiheit möglich“, heißt es in „Spieltrieb“ der Autorin Juli Zeh, das Roger gerade in Hamburg inszeniert hat. „Das Geile am Theater ist doch gerade, dass man Fantasiewelten mit eigenen Regeln und Gesetzen erschaffen kann.“ Stücke von Roger Vontobel: "Spieltrieb" am Schauspielhaus Hamburg läuft am 28./29. April und am 18., 20. und 26. Mai, "Früchte des Nichts", Gastspiel beim Theaterfestival "Radikal jung" ist am 24. April im Münchner Volkstheater zu sehen, "Monsun" von anja Hilling läuft vom 3. bis 5. Mai in den Kammerspielen München und „Schlafengehn“ von Gerhild Steinbuch hat am 16. Mai am Schauspiel Essen Premiere. Nuran Calis, 29 Jahre

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

„Ich war mit 17 zum ersten Mal im Theater, weil ich in ein Mädel verknallt war. Das hat mich total umgehauen, das Theater.“ Nuran Calis ist in einem Stadtteil von Bielefeld aufgewachsen, den man einen „sozialen Brennpunkt“ nennt. Er fand Theater „schwul“, hatte nur Hiphop im Kopf und zog mit seinen Freunden um die Häuser. „Ich habe Glück gehabt, weil ich dieses Mädchen kennen gelernt habe, aber es darf nicht sein, dass ich ein Glücksfall bin." Deshalb macht Nuran Theater. „Die Gesellschaft möchte über Theater etwas über sich selbst rausfinden und erfahren, wo die Schwachstellen sind. Das ist mein Antrieb: zeigen, wo die Risse und die Wunden sind.“ Gleichzeitig findet er Theater oft zu hermetisch und zu elitär. Leute wie ihn früher, erreicht Theater nicht. Deshalb sucht Nuran immer wieder den direkten Kontakt zu jungen Menschen und zur ihrer Lebenswelt. Am Münchner Volkstheater hat er „Romeo und Julia“ mit Jugendlichen inszeniert, in Essen schrieb er mit Jugendlichen aus einem Problemstadtteil das Stück „Homestories“, in Hannover entstand „Urbanstories“ mit Jugendlichen, die eher behütet aufwachsen sind. „Die Räuber“, die er gerade am Volkstheater in Wien inszeniert, ist eines seiner ersten gewöhnlichen Stücke. Seinen Themen will Nuran aber dennoch treu bleiben: Als „mittendrin und doch außen vor“ beschreibt das, was ihn immer wieder umtreibt und was er auf die Bühne bringen will. Hier geboren und aufgewachsen, aber mit einem armenischen Vater und einer jüdischen Mutter, spürte er immer, dass er nie ganz dazu gehört. „Auch Jugend ist ein Zustand zwischen Dazugehören und Außenvorsein. Dieses Unentschiedene finde ich spannend.“ Stücke von Nuran Calis: "Die Räuber", Volkstheater Wien, Premiere am 19. Mai, „Homestories- Geschichten aus der Heimat“ läuft am Schauspielhaus Essen und ist fast immer ausverkauft. Am 4.Juli beginnt er Dreharbeiten für einen Spielfilm, der in der Reihe Debüt-Filme in der ARD laufen wird. Barbara Weber, 30 Jahre

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Dem Theater den Stecker ziehen – das ist der Leitgedanke, der sich durch die Arbeit von Barbara Weber zieht. Und das nicht nur, weil das Format, das sie entwickelt hat, „Unplugged“ heißt. „Mich interessiert das Aufbrechen des üblichen Theatertheaters. Ich möchte ein Theater machen, das mit dem zu tun hat, wie ich die Welt wahrnehme.“ Barbara Weber will mit ihren Stücken gerade keine Illusionen erzeugen, sondern die Welt, in der wir leben, hinterfragen und ihre Konstruktionsprinzipien offen legen. Dafür hat sie strenge, fast schon Dogma-artige Regeln aufgestellt: Die Proben dauern maximal 14 Tage, anhand von Biografien, Sachbüchern und Artikeln werden Figuren entwickelt und Dialoge geschrieben. Die Schauspieler müssen ihren Text nicht auswendig lernen, das Bühnenbild „muss in drei Türkentaschen passen“, ein Musiker muss live spielen. Nach diesem Baukastenprinzip sind in den letzten fünf Jahren sieben Abende entstanden, die sich alle einen modernen Mythos vorknöpfen und ihn auseinander nehmen. In „RAF Unplugged“ (für das sie ausgezeichnet wurde) hinterfragt sie unser Verhältnis zu den Ikonen der 68er, die wir heute als T-Shirt-Aufdrucke tragen. „Ich möchte Theater machen, zu dem junge Menschen so selbstverständlich hingehen wie sonst zu einem Konzert." Stücke von Barbara Weber: „Jacko Unplugged“ läuft am 27./28. April in Bern und vom 18.-21. Mai in Berlin im Theater „Hebbel am Ufer“, in München ist am12. und 13. Mai im Rahmen von Bunnyhill2 „Whity – eine Radikalisierungsgeisterbahn“ zu sehen. “Viktor! Happiness is a warm gun” nach Roger Vitrac, vom 30. Juli bis 1. August beim „Young Directors Project“ der Salzburger Festspiele Matthias von Hartz, 35 Jahre

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

„Ein Jahr nach dem Afghanistan-Krieg und kurz vor dem Ausbrechen des Irak-Kriegs hatte ich das Gefühl, man muss sich zur politischen Lage verhalten.“ Matthias von Hartz organisierte am Schauspielhaus Hamburg die Reihe „go create resistence“, Abende, an den Künstler, Aktivisten und Wissenschaftler Themen wie Globalisierung, Migration und die Veränderung von Arbeit inszenierten. „Volkshochschulen für Globalisierung“ nennt er das. In Frankfurt kuratierte er einen Volkshochschul-Abend zum Thema: Wie kann man die Welt retten? Matthias hatte selbst am Globalisierungsprotest teils beobachtend, teils aktiv teilgenommen und dort immer wieder neue Protestformen gefunden, die mit Kunst oder mit Kreativität zu tun hatten. „Mich hat die Frage interessiert, wie können heute in einer viel stärker mediatisierten Welt Protestformen aussehen, die wirklich jemand erreichen und auf die noch jemand Lust hat, der nicht auf irgend einer Demo rumlatschen möchte?“ Das Entscheidende an den von ihm inszenierten Abenden ist, dass, abgesehen von einem Einführungsvortrag, alles Kunst ist und die Zuschauer viel mitmachen können. Bei Radiointerventionen zum Beispiel. Eine Künstlergruppe nimmt dabei ein Hörspiel auf, am Theater bekommt man ein Radio und das Radio sagt dem Publikum dann, wie sie sich in der Innenstadt bewegen sollen. Ist das noch Theater? „Das ist sogar noch viel mehr. Diese Kongresse sind Kommunikation. So entsteht ein öffentlicher Raum im Theater, der sonst ganz oft nicht mehr entsteht. Politische Themen über Klassiker auf die Bühne zu bringen, daran glaube ich nicht. Das hat einfach nichts mit meinem Leben zu tun.“ Der nächste Kongress von Matthias v. Hartz findet am 19. und 20. Mai in Zürich am Schauspielhaus statt: RE / LOCATION I: SANATORIUM. Internationale Künstler, Theoretiker und Mediziner beschäftigen sich mit Zurüstung des Körpers, Ökonomisierung der Medizin und anderen Krankheiten unserer Gesellschaft. Fotos: Petra Winterer, Arno Declair, Caroline Minjolle, Schauspielhaus Frankfurt

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