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Die Supermarktkasse wird zur Wahlkabine

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Der Vertrag sieht aus wie eine bunte Werbeanzeige: Eine blühende Baumwollpflanze, ein asiatisches Mädchen, das sich lächelnd über eine Nähmaschine beugt und im Regal liegt ein Stapel mit T-Shirts. Die Bilder, die den globalisierten Produktionsprozess zusammenfassen, illustrieren den "Code of Conduct" (COC), die Selbstverpflichtung der Schweizer Modefirma Switcher. Achtzehn Paragraphen und ein paar bunte Bilder sollen garantieren, dass bei der Herstellung der Sportswear arbeitsrechtliche Standards eingehalten und so das Image der Marke gehoben wird. In dem Papier verpflichtet Switcher sich - und alle seine Lieferanten und Subunternehmer - auf Umwelt- und Arbeitsrichtlinien. Außerdem werden den Arbeitern grundlegende Menschenrechte wie die Versammlungsfreiheit zugarantiert, Kinderarbeit und Zwangsarbeitsverhältnisse werden geächtet. Switcher ist nur ein Beispiel für einen Trend in der Modeindustrie, der nichts mit Schnitten, Mustern oder Farben zu tun hat: Kleidung soll sauber sein, frei von dunklen Flecken, die auf der Stoffoberfläche nicht zu sehen sind, die aber tief drin stecken, in der Vergangenheit, im Herstellungsprozess des Gewebes - und die man auch nicht raus waschen kann. Viele Firmen wie etwa Nike, GAP oder Adidas haben sich einem Code of Conduct unterworfen, verfassen Sozial- und Umweltberichte und -listen auf ihrer Webseite alle ihre Zulieferer und Geschäftspartner auf, um den Produktionsprozess transparent zu machen. Diese Offenheit und die - lautstark verkaufte - neue soziale Verantwortung entspringt natürlich nicht einem diffusen Firmen-Gewissen , sondern der Angst vor Sätzen, wie sie Naomi Klein schon 2000 in ihr Buch "No Logo" geschrieben hatte: "Wenn immer mehr Leute die dunklen Geheimnisse des globalen Markennetzes entdecken, wird ihre Empörung der Antrieb für eine gewaltige Welle des Widerstandes sein." Der englische Wirtschaftsethiker Andrew Crane sagt: "Jede Firma wird in Zukunft auf die ethischen Bedürfnisse ihrer Kunden Rücksicht nehmen müssen." Bandshirts aus fairer Baumwolle Begriffe wie "ethischer Kunde" oder "fair gehandelt" hatten lange Zeit keinen guten Klang. Der verantwortungsbewusste Kunde existierte nur noch als Karikatur: als langhaariger Gutmensch auf ewig in einer verlausten WG. Aber Fairtrade ist nicht mehr Retro, es ist zum Lifestyle geworden. Das bekannteste Beispiel für den Trend ist der T-Shirt-Hersteller American Apparel, der seine Hemden zu guten Bedingungen in den USA produziert. Die englische Firma Ethical Thread produziert mit Fairtrade-Baumwolle Bandshirts. Auf MTV laufen Spots gegen Sweatshops und am Kiosk gibt es Magazine wie Bulb, die neben Interviews mit bekannten Bands auch über die Produktionsbedingungen in chinesischen HiFi-Fabriken und über "moralische Karriere-Tipps" berichten. "Für 40 bis 70 Prozent der Kunden spielen ethische Bedenken eine Rolle bei der Kaufentscheidung", erklärt Mary Rayner vom Londoner Magazin Ethical Consumer. Die ethischen Konsumenten sind keine homogene Bewegung, sondern ein Mix aus Weltladen-Kunden, liberalen Hedonisten, die für die weiche Wolle des Naturalpaka schwärmen und Hardcore-Konsumverweigerern, die aus Klimaschutzgründen nicht ins Flugzeug steigen. Man hat sich daran gewöhnt, dass Produkte mehr darstellen als ihre Gebrauchsfunktion, dass Autos Leidenschaft und MP3-Player Liebe vermitteln sollen. Der französische Designer Phillipe Starck bezeichnet das als die "Dematerialisierung des Produkts". "Der Kunde fragt nicht mehr nach Form, Materie oder Funktion, sondern nach dem Sinn eines Produkts", meint er. Da sei es kein Wunder, dass die Kunden irgendwann die Frage nach der moralischen Integrität einer derart emotionalisierten Warenwelt stellt. Starck folgert: "Der Markt der Zukunft wird moralisch sein, oder er wird gar nicht sein." Shopping ist selten eine spontane Sache. Man sammelt Informationen, wägt ab, sucht nach Antworten auf Fragen wie: Was will ich? Was ist cool? Was ist billig? Und jetzt eben auch noch: Was ist gut? In einer Welt, die immer weiter zusammen wächst, in der man im Internet Lokalnachrichten aus Indien lesen kann (Coca-Cola pumpt Trinkwasser ab) und die gleiche Musik hört wie Altersgenossen in Südamerika wächst das Bewusstsein dafür, wie Ethical-Consumer-Redakteurin Rayner sagt, "dass jeder Cent, den man ausgibt, irgendwo auf der Welt eine Aktion auslöst." Die Kasse klingelt, der Stein gerät ins Rollen und nur die wenigsten können den Gedanken verdrängen, dass sie mit ihrem Geld einen zwielichtigen Fabrikanten unterstützen - ganz egal, wie laut der MP3-Player dröhnt. Das Magazin Ethical Consumer ist eine Art "Stiftung Ethiktest". In Tabellen erstellt das Magazin "ethische Profile" für einzelne Produkte und ganze Konzerne, beantwortet Fragen nach Umwelt- und Tierschutz, Arbeitnehmer- und Frauenrechten: Hat das Unternehmen einen CoC? Lässt es in Diktaturen produzieren? Gibt es Tierversuche? 10 000 Leser interessieren sich mittlerweile dafür. "Jeder kann sich aus den Tabellen die für ihn relevanten Informationen raussuchen", sagt Rayner. Denn was ein "ethisches Produkt" ist, ist schließlich abhängig vom subjektiven Moralverständnis jedes Einzelnen, und "wir wollen niemandem sagen, was er denken soll". In einem Münchner Kaufhaus liegt Sand im Schaufenster, ein paar vertrocknete Blätter, rote Steine, exotische Kleider und bunte Gewürze. Das Schaufenster wird zum Fenster zur Welt und erinnert den Passanten im Schneematsch davor daran, dass der Welthandel kein neues Phänomen ist und der Norden schon immer vom Süden profitiert hat. Früher konnte man es nur besser verdrängen. "Der Erfolg des ethischen Konsumismus ist stark verbunden mit der Globalisierung", sagt Rayner. "Man spürt dass man keinen Einfluss hat auf Regulierung der globalen Konzerne. Unseren Konsum auf ethischen Grundsätzen auszurichten, gibt uns ein bisschen Macht zurück." Wenn Regierungen in der globalen Wirtschaft Konzerne nicht effektiv kontrollieren können, sei eine Alternative die Abstimmung an der Supermarktkasse. Konzerne werden durch das Nichtkaufen ihrer Produkte "abgewählt". Lächelnde Starbucks-Bauern Wie die Parteien, erzählen auch die Firmen den Menschen das, was diese hören wollen. In Starbucks-Filialen lächeln zufriedene Bauern von der Wand und bewerben das Fairtrade-Angebot der Firma - obwohl es weniger als zwei Prozent des Umsatzes ausmacht. In einer neuen Plakat-Kampagne wirbt die Outdoor-Firma Patagonia mit dem Slogan "Don't destroy what you love" für die eigene Naturverbundenheit und die Mitgliedschaft in der Organisation "One Percent for the Planet", einer Initiative von mehreren Dutzend Firmen, die sich verpflichten ein Prozent ihres Verkaufs-Umsatzes an Umwelt-Organisationen zu spende. In der Charta heißt es: "Wir sind uns bewusst dass wir keine vollkommen nachhaltigen und harmlosen Geschäfte tätigen (. . .) und wollen den Schaden, den wir verursachen, auch heilen." Auf der Webseite sieht man viele schöne Bilder. Es ist der Job von Maik Pflaum, hinter die Plakate und Jpg-Dateien zu schauen. Der 36-Jährige arbeitet bei der Clean Clothes Campaign (CCC), einem Bündnis aus entwicklungspolitischen NGOs. Pflaum ist erst vor wenigen Wochen aus Mittelamerika zurückgekommen und hat dort gesehen, was die Werbefotos der Unternehmen nicht zeigen. Maik Pflaum ist kein verbohrter Aktivist und manchmal selbst erstaunt über die professionelle Kommunikationspolitik der Konzerne, die schönen Bilder und die jungen PR-Leute, die "wirklich sympathisch sind. Das Feindbild vom bösen Kapitalisten ist irgendwie auseinandergebrochen". Die CCC arbeitet sogar seit einigen Wochen mit Puma zusammen an einem Pilotprojekt, um zwei Subunternehmer der Sportartikelfirma in El Salvador auf die Einhaltung von Frauenrechten und die Umsetzung von Lohn- und Arbeitsstandards zu überprüfen. "Das heißt aber nicht, dass dort alles in Ordnung ist", sagt Pflaum, "in mehr als 90 Prozent der Fabriken wird gegen die CoC verstoßen. Der globale Konkurrenzkampf und damit der Druck auf die Arbeiter haben in den letzten Jahren eher zugenommen." Auch der Kunde in der Fußgängerzone kann das merken, er muss keine Magazine lesen oder Internet-Recherche betreiben. Ein Blick auf die Preisschilder der Geiz-ist-Geil-Discounter reicht völlig aus. Mary Rayner sagt: "Wenn die Produkte immer billiger hergestellt werden, dann muss dabei auch jemand verlieren." Illustration: daniela-pass.jetzt.de

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