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"Die verrückteste Sturmsaison, die ich je erlebt habe"

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Jedes Jahr zwischen April und Juli ist in den USA Tornadosaison. Vor allem im Mittleren Westen des Landes, in den Bundesstaaten Nebraska, Kansas oder Oklahoma, treffen warme und kalte Luftströmungen aufeinander und es entstehen Stürme. Dieses Jahr sind es besonders viele und sie sind besonders stark. Seit Januar haben Beobachter schon weit über 1100 Tornados in den USA gezählt. Das sind mehr als doppelt so viele wie zum selben Zeitpunkt des Vorjahres. Mehr als 500 Menschen sind 2011 schon ums Leben gekommen. Allein im Tornado, der die Stadt Joplin in Missouri verwüstete, starben mehr als 140.

  Jeden Tag berichten die Fernsehsender von neuen Stürmen und auch online sind so viele Tornadovideos wie noch nie zu sehen. Mehr und mehr Menschen haben das Sturmjagen zu ihrem Hobby gemacht. Sie fahren mit Kameras den Unwettern entgegen und eifern damit Leuten wie Tony Laubach nach. Der 30-Jährige aus Denver, Colorado, ist professioneller „Storm Chaser“. Vor 14 Jahren fuhr er zum ersten Mal mit seinem Vater in Ohio einem Tornado entgegen. Es muss ein prägendes Erlebnis gewesen sein: Tony studierte später Meteorologie und Multimedia und fährt heute bis zu 50 mal im Jahr von Denver aus Richtung Osten, hinein in die „Tornado Alley“, wie die sturmreiche Region in der Mitte der USA auch genannt wird. Tony filmt die Stürme und verkauft die Aufnahmen an Fernsehsender im ganzen Land. Immer wieder ist er auch mit Tornadoforschern unterwegs und seit einigen Jahren spielt er in der Reality-Fernsehserie „Storm Chasers“ mit, die in Deutschland wieder ab dieser Woche unter dem Titel „Verrückt nach Tornados“ läuft (Freitag, 21 Uhr, Discovery Channel).
 
  jetzt.de: Tony, wann spricht man von einem Tornado?
  Tony: Sehr einfach gesagt: Wenn sich in den Wolken und am Boden ein Wirbel bildet und zwischen den beiden Wirbeln eine Verbindung zu sehen ist.
 
  jetzt.de: Und wie entsteht er?
  Tony: In den USA ist es oft so, dass Luft aus dem Golf von Mexiko nach Norden ins Land strömt und die kältere Luft nach oben drückt. Das ist die Voraussetzung für einen Sturm: Es muss sich Luft nach oben bewegen. Wenn diese Luft in einer höheren Luftschicht zum Beispiel einer Strömung aus dem Westen begegnet, entstehen Wirbel, die wie ein Stift in der Luft liegen und rotieren. Durch die Luft, die von unten nachkommt, dreht sich der Stift in die Vertikale.
 
  jetzt.de: Dieses Jahr gab es bereits doppelt soviele Tornados wie im vergangenen Jahr ...
  Tony: Es ist die verrückteste Saison, die ich je erlebt habe.
  
  jetzt.de: Gibt es für diese Ausprägung Gründe? Liegt es am Klimawandel?
  Tony: Es gibt den Klimawandel, das steht fest. Das Problem ist aber, dass unsere Wetteraufzeichnungen nur 100 Jahre zurückreichen. Es kann deshalb auch sein, dass wir uns in einem normalen Hundertjahreszyklus befinden. Trotzdem ist dieses Jahr nicht normal. Warum? Ich weiß es nicht.
 
  jetzt.de: Der Tornado von Joplin hat fast ein Drittel der Stadt verwüstet. Hast du dort gefilmt?
  Tony: Nein, wir waren aber in der Nähe und haben südlich von Joplin vier Tornados gejagt.
 
  jetzt.de: Wie kommt es, dass trotz der Vorwarnungen noch soviele Menschen in den Stürmen sterben?
  Tony: Einerseits lagen in diesem Jahr einfach mehr Städte auf dem Weg der Stürme. Das ist also Zufall. Anderseits sagten viele Überlebende nachher, dass sie die Sirenen gehört hätten, dass sie aber nicht gedacht hätten, dass es eine große Sache sei.
 
  jetzt.de: Ist diese Arglosigkeit eines der Resultate deiner Arbeit – je mehr Tornados gefilmt werden, desto harmloser wirken sie?
  Tony: Viele in der Chaser-Community werfen uns vor, dass wir das Jagen glorifizieren würden – unter anderem durch Serien wie „Storm Chasers“. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Schlimm sind jene Jäger, die besonders mutig sein wollen und mit ihren Kameras mitten in den Sturm reinfahren.
 
Eines von Tonys Videos. Weitere Aufnahmen in seinem

. http://www.youtube.com/watch?v=YjQxyGb0eTo

  jetzt.de: Sprichst du von den Typen, die sich diese besonders gepanzerten Autos bauen lassen?
  Tony: Unter anderem. Deren Videos schauen alle gleich aus. Die fahren in den Tornado rein und filmen nur Staub und Regen. Was bringt das? Und trotz Panzerung ist es wahnsinnig gefährlich, die Kraft eines Tornados ist unglaublich. Vergangenes Jahr hatten wir einen Tornado in South Dakota, bei dem ein Auto über die Länge eines Footballfelds hinweg in die Kronen von zehn Metern hohen Bäumen gehoben wurde. Nach einem Tornado in Texas haben wir uns in einem Ort die Verwüstung angesehen – im Beton des Gehwegs steckte eine Gabel.
 
  jetzt.de: Aber geht es beim Storm Chasing nicht genau darum, diese Wucht der Natur zu zeigen? Was machst du anders als ein Gelegenheitsfilmer?
  Tony: Ich gehe nie so nah ran. Ich fahre nie neben ein Gebäude, das gleich in die Luft geht. Ich bin ruhig in meinen Videos. Ich schreie nicht. Ich will, dass die Leute denken: Das ist gefährlich, man muss mit Respekt damit umgehen.
 
  jetzt.de: Nach einigen Tornados in diesem Jahr hieß es, man habe noch 100 Meilen vom Sturm entfernt aufgewirbelte Bilder gefunden. Stimmt das?
  Tony: Oh ja! Im Mai hat eine Frau eine Facebookpage namens „Pictures and Documents found after April Tornados“ eingerichtet. Es gibt Menschen in Tennessee, die in ihrem Garten Fotos aus Alabama gefunden haben – 200 Meilen vom Ursprungsort entfernt. Auf Facebook posten sie die Fundstücke und schicken sie wieder zurück, wenn sich die Eigentümer melden.
 
  jetzt.de: Auf Youtube gibt es so viele Sturmvideos wie nie. Hat sich dadurch deine Arbeit verändert?
  Tony: Allerdings. Ich darf jetzt nicht mehr dorthin fahren, wo alle hinfahren.
 
jetzt.de: Wie sehen deine Jagdtage aus?
  Tony: Ich stehe um vier Uhr morgens auf und mache meine eigene Wetterprognose. Dann fahre ich Richtung Osten. 
 
jetzt.de: Das müssen ziemlich lange Fahrten sein, von Denver aus.
  Tony: Manchmal sitze ich an einem Tag 20 Stunden im Auto, nur um zwei Minuten Material einzusammeln.

Tony Laubach bei der Arbeit - alle Aufnahmen sind in den vergangenen drei Wochen entstanden:

Bildergalerie kann leider nicht angezeigt werden.


 
jetzt.de: Kommst du denn immer mit einem Tornadovideo heim?
  Tony: Nur bei jeder fünften Ausfahrt.
 
jetzt.de: Klingt nach einer mageren Ausbeute.
  Tony: Das macht mir gar nichts. Es müssen nicht immer Tornados sein. Ich freue mich auch über Überflutungen oder Hagel. 
 
jetzt.de: Hagel?
  Tony: Bei einem gutem Hagel sind mir alle Tornados egal. Verglichen mit allen anderen Jägern in Amerika habe ich zehn mal mehr Hagelvideos. Für die Kollegen bin ich der Hagelkönig.
 
  jetzt.de: Und die Dellen im Auto?
  Tony: Das sind meine Trophäen.
 
  jetzt.de: Ach, komm . . .
  Tony: Ich meine das ernst. Es ist was besonderes, Hagelkörner zu sehen, die größer sind als Pfefferstreuer. Die Dinger kommen aus dem Himmel. Aus dem Nichts!
 

  jetzt.de: Bist du mit der Wetterbegeisterung auf die Welt gekommen oder wurde die durch irgendetwas ausgelöst?
  Tony: Ich glaube, die begann, als ich sieben Jahre alt war. Ich saß ich mit meinem Bruder im Auto auf einem Parkplatz vor einem Supermarkt. Ein Sturm zog auf. Es wurde immer dunkler, der Wind wurde immer heftiger, der Strom fiel aus, es war furchteinflößend. Ich wollte eigentlich zu meiner Mutter in den Supermarkt, traute mich aber die Tür nicht aufzumachen, aus Sorge, der Sturm würde sie wegreißen. Mein Bruder schrie, wir hatten beide Angst. Aber diese Angst hatte für mich etwas Faszinierendes. Ich glaube, in dem Moment fing das an mit meiner Begeisterung. Danach habe ich begonnen, Wolken zu fotografieren.
 
  jetzt.de: Heute jagst du den Stürmen nach. Bist du vom Wolkenbewunderer zum Katastrophentourist geworden?
  Tony: Nein. Ich gehe ja nicht in eine Stadt, die gerade zerstört wurde. Ich komme nur wegen des Sturms.
 
  jetzt.de: Aber du stehst den Leuten im Weg, die aus dem Tornadogebiet flüchten wollen.
  Tony: Die Leute flüchten nicht, die suchen Unterschlupf. Und ich stehe niemandem im Weg. Ein Tornado passiert – ob ich hier bin oder nicht. Mein Job ist es, das zu dokumentieren.
 
  jetzt.de: Glaubst du an Gott?
  Tony: Ich glaube an Gott. Warum?
 
  jetzt.de: Viele Menschen raunen von den Naturgewalten und davon, dass sie dabei die Ahnung von etwas Göttlichem bekämen. Geht es dir genauso?
  Tony: Ich sage immer: Stürme jagen ist mein Kirchgang. Diese Erfahrungen machen mich demütig, weil die Kräfte, die ich sehe, außerhalb jeder Kontrolle sind.
 
  jetzt.de: Die Demut wandelt sich wahrscheinlich schnell in Wut, wenn mal das eigene Haus zerstört ist.
  Tony: Ich weiß nicht, warum Gott das zulässt. Die Leute fragen nach einer Katastrophe immer, was ihn so erzürnt hat? Ich habe keine Antwort. Ich weiß nicht, wo Wissenschaft aufhört und Religion anfängt. Ich glaube an Gott und ich weiß, dass ich einen Schutzengel habe. Das ist alles.
 
  jetzt.de: Wie lange geht der Tornadohype im Fernsehen und online noch weiter?
  Tony: Bei den ersten Fernsehsendern höre ich schon: Bitte keine Tornadovideos mehr. Die haben sich dieses Jahr sattgesehen.
 
  jetzt.de: Kannst du denn überhaupt vom Stürmejagen leben?
  Tony: Seit ich bei „Storm Chasers“ mitmache, kann ich davon leben. Ansonsten komme ich beim Jagen gerade so auf meine Kosten. Ich jobbe nebenbei als Producer beim Fernsehen, helfe den Sturmforschern von „Twistex“ und arbeite als Pizzabote.
 
  jetzt.de: Ach was.
  Tony: Mit Pizzaliefern verdiene ich mehr als die meisten Menschen in ihren normalen Jobs.
 
  jetzt.de: Bist du beim Ausliefern schon mal erkannt worden?
  Tony: Einmal sah ein Typ während ich lieferte die Show. Er öffnete die Tür, stutzte, ging zurück zum Fernseher, schaute zurück an die Tür und dann leuchteten seine Augen. Er sagte: Mein Gott, was machst du hier? Das war ziemlich lustig. Und das Trinkgeld war in dem Fall auch besser als sonst.


Text: peter-wagner - Fotos: Paul Samaras

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