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Diese Hassliebe zur Droge

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Die Fachklinik Schlehreuth in Wegscheid im Bayerischen Wald bezeichnet sich als „Rehabilitationseinrichtung für suchtkranke Frauen und deren Kinder“. Unter anderem werden dort junge Mütter therapiert, die von Alkohol, Drogen oder Medikamenten abhängig sind. jetzt.de sprach mit Geschäftsführer und Diplom-Psychologe Volker Barth über die Briefe an die Drogen, die dort enstanden sind. jetzt.de: Aus den Briefen der Patientinnen schimmert viel Einsicht. Entsteht die bei Ihnen? Volker Barth: Krankheitseinsicht unterscheiden wir in zwei Arten: Es gibt die emotionale und die kognitive Krankheitseinsicht. Kognitiv bedeutet hier die Erkenntnis: „Ich nehme zu viele Drogen, ich habe ein Suchtproblem.“ Diese Einsicht haben die meisten Patientinnen, wenn sie herkommen. Aber die Frage nach dem Warum, also was hinter der Sucht steckt, ist genau das, was Sie in den Briefen finden. Das muss hier erst im therapeutischen Prozess aufgedeckt werden. Die Patientin hierhin zu führen ist zunächst unsere Aufgabe. Erst, wenn die Patientinnen eine emotionale Krankheitseinsicht haben, können sie einen solchen Abschiedsbrief schreiben und sich vielleicht von ihrem Suchtmittel verabschieden. jetzt.de: Wie sind die Briefe entstanden? Volker Barth: Im Rahmen eines Projektes. Die Patientinnen, die die Ihnen vorliegenden Briefe geschrieben haben, sind meist auch schon länger in der Klinik. Patientinnen, die neu bei uns sind, können mit so einem Projekt noch relativ wenig anfangen. jetzt.de: Ist dieses selbstreflektierende Schreiben generell Teil der Therapie? Volker Barth: Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie man sich vom Suchtmittel verabschieden kann. Es finden sich natürlich auch Patientinnen, die mit dem Schreiben nicht so firm sind. Wir arbeiten zusätzlich viel mit dem Gestalten von Bildern und mit Ton, womit man seine Emotionen genauso ausdrücken kann. Außerdem inszenieren wir Theater- und Rollenspiele, um jeder Patientin die Möglichkeit zu geben, sich mit ihren Mitteln und Fähigkeiten auszudrücken.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Volker Barth (Foto: privat) jetzt.de: Einer der Briefe hat die Anrede „Mein liebster bester Freund & Feind“. Wie merken Sie, ob eine Patientin auch außerhalb der Klinik stark genug ist, diese Hassliebe zu besiegen? Volker Barth: Wenn man diese Hassliebe erkannt hat, dann ist das schon mal ein entscheidender Schritt. Es gibt diese zwei Seiten des Suchtmittels: eine positive und eine negative. Jemand, der hierher kommt und die Sucht nur verteufelt, hat eigentlich gar nicht erkannt, was Sucht für ihn war: Nämlich häufig die einzige Krücke, die der Patientin im Leben noch blieb. Warum nimmt man Suchtmittel? Weil man Probleme hat und diese durch Suchtmittel betäubt werden. Weil man sich besser und stärker fühlt. Das ist die positive Seite: mein bester Freund. Aber irgendwann zeigt die Sucht auch ihre andere Seite, nämlich die negativen Folgen, die damit zu tun haben. Sowohl psychische und körperliche, aber auch soziale. Dann wird die Sucht zum Feind. Wenn eine Patientin beide Seiten erkannt hat, kann sie sich auch entscheiden und eventuell davon verabschieden und sich, was ganz wichtig ist, Alternativen erarbeiten. Wir arbeiten hier abstinenzorientiert. Das heißt, die Patientinnen, die hierher kommen, haben nicht mehr die Möglichkeit, nach ihrer Krücke zu greifen. Wir reißen sozusagen im Rahmen der Therapie erst mal ein großes, schwarzes Loch in ihr Leben. Das muss man aber auch im therapeutischen Prozess füllen, und dabei geht es dann um Themen wie Lebenszufriedenheit und Lebensfreude. jetzt.de: Wie viele Ihrer Patientinnen sind Mütter? Volker Barth: Etwa die Hälfte der Patientinnen kommen mit ihren Kindern zu uns. Wobei es aber auch unter den anderen eine Reihe von Müttern gibt. Nur haben diese ihre Kinder nicht hier in Schlehreut. Vielleicht haben sie sie schon an Pflegeeltern verloren oder aber, eventuell, nach der Maßnahme die Möglichkeit, sie noch mal zu bekommen. jetzt.de: Bei Ihnen müssen auch Neugeborene den Entzug durchmachen. Wie muss man sich das vorstellen? Volker Barth: Wir haben eine Reihe von Schwangeren, die, um das Ungeborene zu schützen, bis zur Geburt substituiert werden. Wir versuchen, das Substitutionsmittel zwar nach unten zu dosieren, aber man kann es nicht direkt auf Null fahren, da sonst die Gefahr eines Abgangs besteht. Wenn das Kind dann zur Welt kommt, hat es erst mal einen Entzug, und zwar einen knallharten. Bei nichtsubstituierten und alkoholabhängigen Schwangeren hat das Kind nach der Geburt keinen Entzug, gegebenenfalls aber Störungen durch Suchtmittelkonsum während der Schwangerschaft, also vor der Aufnahme bei uns. Wir wollen die Ungeborenen schützen und den Müttern ein geregeltes Leben bis zur Geburt bieten, das heißt eine gesunde Ernährung und einen gesunden Tagesablauf, um mögliche Schäden so gering zu halten, wie es eben geht. jetzt.de: Wer kommt wie an einen Platz in Ihrer Klinik? Volker Barth: Normalerweise ist der Weg der, dass eine suchtkranke Frau zu einer Beratungsstelle geht – im Gesundheitsamt oder bei einer der freien Suchtberatungsstellen, die bundesweit überall sind –, und dort sagt, sie möchte eine stationäre Maßnahme machen. Dann werden über die Beratungsstelle beim Kostenträger, also bei einer Krankenkasse oder der Deutschen Rentenversicherung, die Kosten für eine solche Maßnahme beantragt. Parallel rufen die Patientin, die Beratungsstelle oder beide bei uns an und fragen, wann ein Platz frei ist. Dann würden wir diesen reservieren, die Patientin müsste in eine Entgiftung gehen, und sobald die Kostenzusage da ist, würden wir die Patientin nahtlos aus der Entgiftung aufnehmen.

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