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„Diese unterschwellige Aggression hier ist schon auffällig“

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Unter den vielen Neuerscheinungen dieses Frühjahrs waren auch zwei Romane von jüngeren Autoren, die in München angesiedelt sind. In „Unsympath“ von Robin Felder ist München Kulisse der oberen Gesellschaftsschicht. Der neurotische Protagonist fährt Jaguar, verbringt viel Zeit in Restaurants und Fitnesscenter. In „Man Down“ von André Pilz zeigt sich die Stadt ganz anders: Als Schauplatz von Bandenkämpfen, Drogendeals und gescheiterten Existenzen. Wir haben die beiden Schriftsteller zu einem gemeinsamen Gespräch über die Stadt eingeladen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

André Pilz (l.)und Robin Felder jetzt.muenchen: Wie sind Sie zu ihrem jeweiligen Stadtbild gekommen? Robin Felder: München als Handlungsort ist im Nachhinein eigentlich gar nicht so entscheidend für die Geschichte. Zu meinem Bild über diese Stadt fällt mir aber ein, dass ich ein kleines Erweckungserlebnis hatte, als wir mal mit der Schule mehrere Tage in einer anderen Stadt waren und mir bewusst wurde, wie freundlich und offen die Menschen dort waren. Hier in München ist Coolness eng verwoben mit einer bestimmten Art, sich verschlossen zu geben. Irgendwann habe ich allerdings festgestellt, dass ich als Münchner genauso bin wie alle hier, was ja kein schöner Gedanke ist, aber eine entsprechende Prägung beginnt wahrscheinlich schon völlig unbewusst in der Kindheit. André Pilz: Ich bin vor vier Jahren nach München gekommen, weil meine Freundin hierher gezogen ist. Vorher habe ich in Innsbruck gewohnt und pendle immer noch regelmäßig. Innsbruck ist ja eine kleine Stadt und deswegen viel persönlicher. Das Erste was mir hier auf der Straße auffiel war, dass die Leute durch einen hindurchschauen. Und dann kam es mir vor, als würde zu bestimmten Zeiten und in bestimmten U-Bahn- oder Tramlinien so eine permanente Aggression herrschen. Das war für mich völlig neu und in der Stimmung habe ich auch das Buch geschrieben. Und die großen Autos hier sind mir auch sofort aufgefallen, diese Panzer. . . Robin Felder: Ja, die Audi A5 scheinen nur nach München ausgeliefert zu werden, in anderen Städten sieht man kaum mal einen, hier ständig. André Pilz: Mir fällt noch was ein, in Innsbruck grüßt man sich, wenn man im selben Haus wohnt, das ist jetzt hier bei uns auch nicht so. In der Abendzeitung hat mal ein Fußballer von 1860 ein Interview gegeben, der stammte aus Ostdeutschland und der hat sich auch darüber beschwert, dass hier alle so kalt wären. Im Internet hat er dafür von den eigenen Fans massive Kritik bekommen. In „Man Down“ erkennt man München kaum wieder – ein wüstes Studentenheim, Drogenboten in der S-Bahn und große Gewaltbereitschaft bei allen – ist das real hier erlebt? André Pilz: Also, die Typen gibt’s in München schon. Ich bin ein großer Fußballfan und jedes Wochenende im Giesinger Stadion, da trifft man nicht selten dieses Personal über das ich schreibe. Ich war in jeder Stadt, in der ich gelebt habe, in der Fußball- und Fanszene unterwegs und da bekommt man schon andere Einblicke in die Gesellschaft. Robin Felder: Interessant, ich fühle mich in München gar keiner Szene zugehörig, aber das ist eher mein Problem. Ich nehme am gesellschaftlichen Leben kaum teil und halte mich außen vor. Ihr Protagonist bewegt sich in elitären Kreisen – ist das die Münchner Gesellschaft wie Sie sie erleben? Robin Felder: Durchaus, aber die Elite ist grundsätzlich etwas, das einen eher unter Druck setzt und unglücklich macht, weil man äußerlich dazugehören will, um sich nicht wie ein Versager zu fühlen. Also versucht man, klassische Statussymbole zu erwerben, was leider nichts ändert. Man fühlt sich trotzdem verloren. André Pilz: Als Parallele dazu kann ich sagen, dass ich hier auch ganz losgelöst von der Stadt lebe, ich gehe am Wochenende ins Stadion, zum Joggen in den Perlacher Forst aber das war es auch schon. Ein bisschen einsam ist das schon. Früher gab es eine rege Literatenszene, heute ist von Kaffeehauskultur und Bohème nicht viel übrig. Ist es schwer, hier Schriftsteller zu sein? Robin Felder: Also ich finde es verdächtig, wenn jemand von einem typischen Schriftstellerleben spricht. Das hat ja was Romantisierendes. Für mich aber ist Schreiben schmerzhaft, ich habe überhaupt kein Bohème-Gefühl, in meinem Kopf herrscht Gewitter. André Pilz: Ich sitze auch nicht im Kaffeehaus, ich schreibe immer in meinem Zimmer, dort muss ich die Musik voll aufdrehen und dann geht das. Schreiben ist für mich immer ein Kampf, bei dem es auch ums Überleben geht, weil ich ja auch irgendwie mit Schreiben Geld verdienen muss und möchte. Gerade deswegen gilt Berlin mit seinen billigen Mieten ja als Magnet für Künstler und Kreative. Robin Felder: Also Berlin ist und bleibt für mich eine schlecht riechende und ranzige Stadt und ich denke, die vermeintliche Angesagtheit wird sich auch bald erledigt haben. Berlins Rohheit verwechselt man gerne mit Weltläufigkeit. Die dortige Szene, die sich selbst als cool definiert, finde ich einfach zu hohl. Wenn man genau hinschaut, dann sind genau das vor allem selbstherrliche Versager, die große Sprüche klopfen und darauf warten, dass irgendeines ihrer Megaprojekte irgendwann mal funktioniert. Aller Wahrscheinlichkeit nach vergeblich. Solche Menschen tarnen sich gerne mit inhaltsleeren Worthülsen wie Kredibilität und Authentizität. André Pilz: Wenn ich auf Lesetour durch Österreich bin und sage, dass ich in München wohne, dann sind alle immer ganz begeistert. Da hat München immer noch den Ruf einer Traumstadt, nur New York wäre wahrscheinlich noch besser. Robin Felder, wie Ihr Protagonist arbeiten Sie als professioneller Songwriter – ist München eine Popstadt? Robin Felder: München war mal europäische Pophauptstadt, ich würde sagen so bis Mitte der Achtziger, als noch die Ausläufer von Disco zu spüren waren und hier die Studios durchgebucht wurden, von internationalen Stars. Heute merke ich eine kleine Tendenz, dass das auch wieder zurück Richtung München geht. Für mich spielt das aber keine Rolle. Mir selber ist das egal. Ich schreibe unabhängig davon meine circa hundert Songs im Jahr, ich bin so eine Hure, die das gerne tut. Danach schreibe ich täglich vier bis fünf Stunden am nächsten Buch und gehe nachts nach der Arbeit immer noch eine Dreiviertelstunde raus laufen, um meinen Kopf zu beruhigen André Pilz: Ich spaziere auch gerne, aber nicht um mich zu beruhigen – wenn ich an einem Text arbeite, bin ich eigentlich ruhig, die Unruhe kommt eher jetzt, mit der Veröffentlichung und diesem ganzen Rauschen das damit einsetzt. Präsentationen, Lesungen. Robin Felder: Ich war bis zur Veröffentlichung total unruhig, und jetzt wo das Buch fertig vor mir liegt, kann ich das auch nicht als Erfolg verbuchen, deswegen habe ich gleich den zweiten Roman geschrieben. Das ist bei mir immer so, ich kann nie etwas Positives auf der Haben-Seite verbuchen, ich bleibe immer derselbe traurige Typ. In beiden Romanen wirken die Handelnden schwer beschädigt, der eine aus sich selbst heraus, der andere wird durch die äußeren Umstände immer radikaler. Muss man selber beschädigt sein, um zu schreiben? Robin Felder: Ich bin schwer beschädigt. Aber ich bin auch kein „Schriftsteller“, weiß gar nicht, was das sein soll, möchte nicht zu irgendeiner Sparte dazugehören. Es gibt nur mich und mein Buch, mich und meine Schreiberei – wie man das dann beruflich klassifiziert, ist mir egal. André Pilz: Ich hatte eine sehr schwierige Pubertät, große Minderwertigkeitskomplexe und so, da habe ich zum ersten Mal gemerkt, dass man so etwas mit Schreiben lindern kann. Robin Felder: Ich hingegen fühle mich, als hätte ich keine Vergangenheit, ich fühle mich immer noch am kompletten Anfang, als wäre ich noch immer zwölf, was wohl daran liegen mag, dass ich nie in der Gegenwart lebe, immer nur in der Zukunft. In beiden Geschichten kommt es zu Gewaltexzessen, in „Man Down“ wird in der Münchner U-Bahn geschlägert – das erinnert an die realen Vorfälle der letzten Jahre. André Pilz: Ich habe das geschrieben bevor diese Häufung der Fälle bekannt wurde, aber es war für mich ehrlich gesagt nur eine Frage der Zeit, bis es soweit kam. Ich habe mehrere Auseinandersetzungen in der U-Bahn hier erlebt. Im Buch schildere ich auch eine Begegnung mit rechten Hooligans, die auf einem wahren Erlebnis hier in München beruht, da war ich in einem Abteil mit Dynamo-Fans, das war unglaublich. Robin Felder: Also mir ist in München noch nie was passiert, obwohl ich jeden Nacht durch die Stadt laufe. André Pilz: Ich finde schon, dass hier von allen eine gewisse Aggression ausgeht, ich habe zum Beispiel schon so oft erlebt, dass ältere Herren Schüler herumschubsen oder anblaffen. Meine Freundin wurde auch schon oft von alten Leuten so übel angeredet. Natürlich kann man das nicht einfach mit den Prügelfällen in Zusammenhang bringen, aber diese unterschwellige Aggression ist schon auffällig.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

„Man Down“ von André Pilz ist im österreichischen Haymon Verlag erschienen. „Unsympath“ von Robin Felder wurde bei Edel verlegt.

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