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Dominique und die wahre Geschichte der Blutdiamanten

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Ein Eintrag im Notizblock von Dominique Panke, vergangene Woche: „Donnerstag, 19.30 Uhr, Kino-Premiere von Blutdiamanten!“ Seit nun fünf Tagen läuft in den Kinos „Blood Diamond“, ein Film mit Leonardo di Caprio über den Bürgerkrieg in Sierra Leone. In den 90ern bekriegten sich in der westafrikanischen Republik Regierungstrupps und Rebellen, bis zu 200.000 Menschen kamen ums Leben. Dominique, 26, studiert Politikwissenschaft. Sie wollte nicht Leonardo di Caprio sehen. Ihr geht es um Sierra Leone. Im Juni vergangenen Jahres war sie dort und führte für ihre Magisterarbeit zum Thema „Wahrheit und Versöhnung in Sierra Leone“ 53 Interviews mit Tätern und Opfern des Krieges. Zurück kam die schöne Afrikaforscherin mit 28 vollen Kassetten und 1220 Minuten Klartext. Vier Jahre nach Kriegsende wollte Dominique wissen: Wie gehen die Sierra Leonies mit den erlebten Grausamkeiten um? jetzt.muenchen: Dominique, was hast du die Leute gefragt? Dominique: Ich hatte mir als Leitfaden für meine Interviews 20 Fragen überlegt. Anfangs habe ich mich ziemlich stark an diesem Fragenkatalog orientiert, doch später bin ich immer mehr davon abgewichen. Auf keinen Fall wollte ich riskieren, mit harten Fragen nach dem Leben im Krieg möglicherweise alte Wunden wieder aufzureißen. Mich interessiert ja nur, wie die Menschen heute damit klar kommen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Dominique beim Auswerten ihrer Sierra Leone-Tapes Wer waren deine Ansprechpartner in Sierra Leone? Mein erster Kontakt war das „Forum of Conscience“ (FOC), eine Menschenrechtsorganisation in Freetown, der Hauptstadt von Sierra Leone. Den Kontakt zum FOC hatte ich bereits von München aus hergestellt - über das Internet. Die haben mich bei der Organisation meiner Interviews enorm unterstützt. Schon am Flughafen wurde ich von zwei FOClern empfangen. Was passierte dann? Ich bin mit einem Chauffeur in die Dörfer gefahren, die mir das FOC empfohlen hatte. Planen konnte ich sonst kaum etwas, das meiste lief sehr spontan. Die Leute wurden teilweise vom Bürgermeister von den Feldern geholt, nachdem der mein Vorhaben bewilligt hatte.


Mindestens zwei Drittel der fünf Millionen Menschen in Sierra Leone gelten als schwer traumatisiert. Wer hilft ihnen? Im ganzen Land gibt es gerade mal zwei Psychotherapeuten. Es ist also unmöglich, individuelle Schicksale adäquat aufzuarbeiten. Daher versuchen die Sierra Leonies, ihren Blick in die Zukunft zu richten.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Gruppeninterview im Landesinneren Wie gehen sie mit der Vergangenheit um? Die Menschen bedienen sich traditioneller Versöhnungszeremonien, um die Vergangenheit abhaken zu können. Es geht darum, Opfer und Täter in den Gemeinden zusammenzuführen. Dann lässt man sie zum Beispiel symbolisch aus einem Glas trinken, oder der Bürgermeister stellt seinen Fuß stellvertretend für das Opfer auf den Täter. In „Blood Diamond“ geht es um seltene Edelsteine - für di Caprio als weißen Söldner in den Diamantminen das „Ticket runter von diesem gottverlassenen Kontinent.“ Welche Rolle spielten die Konfliktdiamanten? Tatsache ist, dass während des Krieges in manchen Jahren Diamanten im Wert von bis zu 400 Millionen US-Dollar über die Grenze geschmuggelt wurden. Das Geld floss direkt in die Kassen der Kriegstreiber. Doch es hat sich niemand Paläste für die neuen Devisen gebaut. Das Geld wurde immer sofort gegen Waffen eingetauscht und hat somit den Konflikt am Laufen gehalten. Aber: Der Bürgerkrieg war mehr als ein apokalyptisches Gemetzel um blutige Edelsteine, wie im Film vielleicht der Eindruck entstehen mag. Was war es dann? Im Bürgerkrieg hat sich die Unzufriedenheit der Massen entladen: Unzufriedenheit mit einer korrupten und repressiven Regierung, Unzufriedenheit wegen extremer Arbeitslosigkeit und schlechter Bildungschancen. Das klingt vielleicht etwas simpel, aber anders als in vielen postkolonialen Kriegen in Afrika haben ethnische oder religiöse Motive in Sierra Leone kaum eine Rolle gespielt. Es war die studentische Elite, die in den 80er Jahren ihre Forderungen nach Jobs und politischer Mitbestimmung in die Straßen von Freetown trug. Leider bekam der Protest sehr bald eine befremdliche Eigendynamik, er wurde zum Selbstläufer und immer gewaltsamer. Demagogen wussten die Wut der Massen für sich zu nutzen und hetzten die Menschen aufeinander.

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Illustration: Julia Schubert

Freetown: ein Bürgerkriegsopfer packt aus Mord, Vergewaltigungen und Verschleppungen gehörten bald zur Tagesordnung. Wie konnte die Gewalt in Sierra Leone dermaßen eskalieren? Macht hatte, wer Terror ausübte, wobei der Terror auch vor Kindern nicht Halt machte. Etwa ein Viertel der Kämpfer waren Kindersoldaten. Kinder, die entführt, zusammengeschlagen und dann mit Kokain und Schießpulver vollgepumpt wurden, um sie dann als willenlose Kämpfer missbrauchen zu können. Diese Kinder kannten nichts als pure Gewalt.


Eine verbreitete Terrormethode war das Abhacken von Armen und Beinen. Man geht davon aus, dass in Sierra Leone 1500 bis 6000 Menschen zwangsamputiert wurden. Das war eine zynische Reaktion auf Slogans wie „Reicht euch die Hand zum Frieden!“ oder „Die Zukunft liegt in euren Händen!“. Nie zuvor in der Geschichte der Menschheit hat es derart systematische Verstümmelungen gegeben wie in diesem Bürgerkrieg. Man hat den Menschen mit Buschmessern die Gliedmaßen abgehackt. Oft machten sich die Kämpfer einen Spaß daraus, ihre Opfer verstümmelt zurückzulassen. Bei meinen Interviews erfuhr ich von einigen Amputierten, die darum gefleht hatten, nicht amputiert, sondern lieber getötet zu werden. Wie bist du an diese Menschen rangekommen? Den Kontakt hat das FOC hergestellt. Ich bin dann mit dem Bus in eine Siedlung auf dem Land gefahren, wo zehn Amputierte mit ihren Familien leben. Vor diesem Treffen war ich ziemlich nervös. Ich wusste zum Beispiel nicht, wie ich sie begrüßen sollte. Ein Handschlag kam ja offensichtlich nicht in Frage. Als mir die Amputierten dann wie selbstverständlich ihre Armstümpfe reichten, war meine Unsicherheit schnell verflogen, und wir kamen ins Gespräch.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Lamin Jusu Jaka, die charismatische Symbolfigur der Amputierten in Sierra Leone Welchen Eindruck machten die Amputierten auf dich? Das sind beeindruckende Persönlichkeiten, die sich mit einer beneidenswerten Willenskraft dafür einsetzen, irgendeine Form von Reparation zu erhalten, die es ja bis heute nicht gibt. Es wird zu wenig für die Kriegsopfer getan? Definitiv. Das Problem ist, dass die körperlich versehrten Opfer des Krieges eigentlich kein Druckmittel haben. Bei den Tätern ist das anders. Da schwingt immer die Befürchtung mit, dass sie wieder zu den Waffen greifen könnten, wenn sie nicht vernünftig in die Nachkriegs-Gesellschaft eingegliedert werden. Daher wurde von der Regierung sehr viel unternommen, um die Täter zu resozialisieren: Es gibt spezielle Beschäftigungsprogramme, in denen Ex-Kämpfer als Motorradtaxi-Fahrer ausgebildet werden. Das löst den Konflikt aber nicht. Ein Amputierter sagte mir: „Wie kann ich meinen Kindern erzählen, was hier passiert ist? Wenn es uns jetzt nicht besser geht, werden uns unsere Kinder rächen!“


Du hast mit den Opfern gesprochen. Wie stellen die sich ihre Zukunft vor? Sie wollen Jobs und eine Ausbildung für ihre Kinder. Die Trauer und die Wut, die jetzt noch besteht, ist also weniger gegen die Täter gerichtet als gegen eine Regierung, die sich davor drückt, etwas für sie, die Opfer, zu tun. Nicht umsonst hat sich die Gesellschaft auf eine Amnestie für alle am Konflikt Beteiligten verständigt - von einigen Haupttätern abgesehen. Man wünscht sich nichts weiter als ein friedliches Zusammenleben für die Zukunft.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert
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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

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Konflikt-Management mit Comics Wird das wirklich möglich sein? Entscheidend wird sein, wie die Menschen für die Ursachen und den Verlauf des Krieges sensibilisiert werden können. Nichtregierungs-Organisationen haben dafür einen Bericht erstellt. Das Problem aber ist, dass 70 Prozent der Sierra Leonies Analphabeten sind. Nachrichten werden in Sierra Leone traditionell in Bildern vermittelt. Der Konflikt-Bericht wurde folglich als Comic aufbereitet, und heute fahren Storyteller damit durch die Dörfer. Interessant ist, dass in diesen Comics keine Menschen zu sehen sind, sondern Ratten. Man projiziert den Konflikt auf ein imaginäres Land „Sierrarat“, um es den Menschen einfacher zu machen, Distanz zu schaffen zur eigenen Geschichte. Die Menschen sollen ermutigt werden, nach vorne zu schauen. Was hast du mit deinen Interviews noch vor? Sobald ich alle Kassetten ausgewertet habe, möchte ich das Resümee meiner Arbeit dem FOC zukommen lassen. Ich hoffe, dass die dann meine Arbeit als Druckmittel gegen die Regierung verwenden können. [i]Fotos: Stefan Biro, privat

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