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Drittmittel essen Seele auf

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Der Garten hinter Olivers* Haus ist verwildert. Die unbeeinflusste Natur ist für ihn eine Welt voll mit Lösungen von technischen Problemen. „Schau dir zum Beispiel die Astgabeln der Bäume an“, sagt er. „Wenn Menschen Gerüste bauen, verwenden sie ständig Winkel. Dort ruht dann die ganze Last der Konstruktion und dort sind die Schwachstellen, die am ehesten brechen. Bäume lösen dieses Problem. Sie wachsen so, dass sich das Gewicht der Äste oder die Belastungen durch Wind gleichmäßig über die ganze Pflanze verteilen. Solange Bäume gesund sind, werden sie nicht an den Astgabeln brechen, auch nicht bei Sturm.“ Oliver ist Bioniker und als solcher kombiniert er Technik mit Biologie. Er versucht, aus natürlichen Konstruktionsprinzipien praktische Anwendungen abzuleiten. Von Bionikern entwickelte Produkte sind häufig besonders effizient, denn die Natur geht sparsam mit Material und Energie um. Oliver hat sich für das Fach entschieden, weil er zu mehr Umweltschutz beitragen möchte. Doch auch andere haben Interesse an bionischen Ideen. Im Praxismodul seines Studiums an der Hochschule Bremen sollte Oliver vor zwei Jahren eine Seeminenjagddrohne des Marineausrüsters STN Atlas Elektronik verbessern. Eine Waffe also. Unter den Studenten in Olivers Kurs entspann sich eine Diskussion darüber, ob man die Arbeit mit dem Gewissen vereinbaren könne. Muss man alle Aufgaben bearbeiten, die Professoren einem vorlegen?

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Erst heute sprechen die Studenten darüber. Die meisten haben ihr Studium mittlerweile beendet und wollen nach reiflicher Überlegung doch nicht mit ihrem echten Namen auftauchen, weil sie fürchten, künftig als Querulanten abgetan zu werden. Dafür erzählen sie eine Geschichte, wie sie vielleicht häufiger an deutschen Hochschulen vorkommt. Die Bionik ist einer der jüngsten Fachbereiche an der Hochschule Bremen. Oliver und seine sechs Kommilitonen waren die ersten Studenten, die den dreisemestrigen Bionik-Master absolvierten. Die meisten sind damals begeistert von ihrem Fach und freuen sich auf das Praxismodul, in dem sie mit einem Unternehmen zusammenarbeiten dürfen. Matthias, einer von Olivers Kommilitonen, erinnert sich: „Ich dachte, bei einem Industrieprojekt lernt man viel und kann Kontakte knüpfen.“ Allerdings hatte keiner damit gerechnet, dass der Partner ein Rüstungsunternehmen sein würde. Die Drohne „Sea-Wolf A“ wird unter anderem zur Räumung von Seeminen und zur Aufklärung eingesetzt. Der Hersteller Atlas hatte vor einigen Jahren versucht, ein modifiziertes Modell an das Alfred-Wegener-Institut (AWI) für Polar- und Meeresforschung zu verkaufen. Das AWI hielt die Drohne allerdings für ungeeignet. Deren Reichweite war für Forschungseinsätze unter dem arktischen Schelfeis zu gering. Deshalb hatte Atlas bei den Bionikern angefragt, ob es einen Weg gebe, die Effizienz des Fahrzeugs zu steigern. Studiengangsleiterin Antonia Kesel beschloß, die Frage von ihren Studenten im Praxismodul bearbeiten zu lassen. Doch die waren wenig begeistert. Oliver ist Wehrdienstverweigerer und sagt: „Ich bin pazifistisch erzogen worden und hatte mit Militär nie etwas am Hut. Ich wollte das Projekt nicht.“ Sein Kommilitone Felix sagt: „Ich fand die Zusammenarbeit mit der Rüstungsindustrie dubios.“ Ein anderer fügt hinzu: „Es hat sich sehr schnell eine allgemeine Abneigung gegen das Projekt entwickelt.“ Atlas führte freilich einen zivilen Zweck für die Anfrage an: Die Drohne, hieß es, solle für den Forschungseinsatz optimiert werden. Doch Professorin Antonia Kesel musste einräumen: „Was für die zivile Variante funktioniert, funktioniert auch für die militärische Version, da muss man sich nichts vormachen.“ Es gab also keine Garantie dafür, dass Atlas die gewonnenen Erkenntnisse nicht auch für die Modelle einsetzt, die an Kriegsmarinen verkauft werden. Für Antonia Kesel ein Dilemma. Schon in einem früheren Interview sagte sie: „Man muss auch mal zur Industrie sagen: ,Schön, dass ihr dieses Problem habt, aber es interessiert mich nicht, einen Formel-1 Wagen noch schneller zu machen oder Drohnen für das Militär zu bauen.‘‘‘ Die Hochschule Bremen ist allerdings stark von Drittmitteln für die Forschung abhängig. Deren Anteil am Haushalt betrug zum Beispiel im vergangenen Jahr 22 Prozent. Und wenn Forschungsgelder auf dem Spiel stehen, muss auch Antonia Kesel ihre Grundsätze aufweichen. Für die Beantwortung der Atlas-Anfrage habe es zwar kein Geld gegeben, aber eine Absage hätte negative Konsequenzen für andere Fachbereiche nach sich ziehen können, erinnert sie sich. „Die Bionik bewegt sich nicht im luftleeren Raum. Wir sind Bestandteil der Hochschule und die kann es sich nicht leisten, markante Industriebetriebe in Bremen kurzerhand auszuschließen.“ Die Rüstungsindustrie ist kein kleiner Wirtschaftssektor in der Hansestadt, es gibt fünf Unternehmen von teilweise internationalem Rang. STN Atlas-Ektronik hat sich auf die elektronische Ausstattung von U-Booten spezialisiert und ist eigenen Angaben zu Folge Weltmarktführer beim Bau von Unterwasserdrohnen. Am Bremer Flughafen ist einer der deutschen Airbus-Standorte. Das bekannteste Rüstungsprojekt der Firma ist derzeit der Truppentransporter A 400 M. OHB produziert Satelliten, auch für den militärischen Aufklärungseinsatz. Rheinmetall-Defence-Electronics rüstet Landstreitkräfte aus und die Lürssenwerft baut Kriegsschiffe. Doch nicht jeder in Olivers Mastersemester hatte ein Problem mit dem Militär. Marius zum Beispiel sagt: „Klar fände ich Frieden auf der Welt eine tolle Sache. Den gibt es aber leider nicht, also braucht es auch Leute, die die Verteidigung für ein Land organisieren.“ Trotzdem war er über das Projekt verärgert. „Ich finde, das hat in einem Hochschulstudium nichts verloren. Es ist eine Sauerei, wenn ich mich als Student damit auseinandersetzen muss, was es heißt, wenn ich für die Rüstungsindustrie arbeite.“ Hier liegt ein Knackpunkt. Zwar kann jeder Wehrpflichtige in Deutschland den Dienst an der Waffe aus Gewissensgründen verweigern. Im Studium gibt es ein solches Recht aber nicht. Matthias Maring ist Professor für Philosophie am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Fällen von Gewissensproblemen am Arbeitsplatz. „Studenten haben im Prinzip keine rechtliche Möglichkeit, sich gegen eine solche Aufgabe zu wehren. Professoren können im Studium alles verlangen, was sie für sinnvoll erachten. Das ist durch die im Artikel 5 des Grundgesetzes garantierte Freiheit der Forschung und Lehre geschützt.“ Beim wissenschaftlichen Personal sehe es rechtlich zwar besser aus. Dessen Gewissensfreiheit sei inzwischen durch Paragraph 40 des Ländertarifvertrags für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst gewährleistet. Doch von ihrem Recht würden insgesamt nur wenige Mitarbeiter Gebrauch machen. „In Zeiten knapper Kassen haben alle Forschungseinrichtungen ein großes Interesse an Drittmitteln. Gleichzeitig sind Mitarbeiter meistens nur zeitlich befristet angestellt. Ob jemand nach Ablauf seines Vertrags weiter beschäftigt wird, hängt auch davon ab, welchen Ruf er sich erarbeitet hat.“ Natürlich hätten die Bionik-Studenten versuchen können, sich dem Auftrag gemeinsam zu verweigern und für eine neue Aufgabe zu streiten. Doch geschlossen wollten sie sich nicht gegen das Projekt stellen. Die einen fanden es nicht toll, hatten aber kein Problem mit der möglichen militärischen Verwendung ihrer Arbeit. Die anderen fürchteten, Zeit zu verlieren, wenn sie nicht mitmachten. Da die Gruppe zudem nur aus sieben Leuten bestand, ließ sie sich auch nur schwer teilen. Angesichts der Umstände sah auch Oliver keine Möglichkeit, das Projekt zu umgehen. Er mochte kein ganzes Jahr warten, ehe das Modul im nächsten Master-Durchgang wiederholt würde. Also machte sich die Gruppe an die Arbeit. Für die Nase und die Antennensektion des „Sea-Wolf“ entwarfen die Studenten strömungsgünstigere Verkleidungen – eine Verbesserung, die technisch gesehen eher konventioneller Natur war. Bionisch inspiriert war hingegen die Idee, die vier Heckflossen mit einem Ring zu verbinden. Die Entwürfe setzten die Studenten in Modelle um, dann machten sie vergleichende Messungen im Wasserkanal. Etwas mehr als drei Monate arbeiteten sie an der Drohne. Am Ende standen zehn Prozent Widerstandsreduktion am Bug und beinahe 90 Prozent Widerstandsredukation an der Antennensektion im Ergebnis. Der Ring um die Heckflossen führte dagegen nur zu marginalen Verbesserungen. Professorin Kesel vergab die Note zwei. Atlas Elektronik interpretierte die Ergebnisse so, dass sich die Drohne mittels Bionik nicht wesentlich verbessern lasse. Die neuen Verkleidungen aber kamen gut an: „Bei den konventionellen Methoden haben sich die besten Ergebnisse gezeigt. Deswegen werden wir dort weiterarbeiten“, sagt Firmensprecher Jens Krüger heute. Für Antonia Kesel ist das eine elegante Lösung: „Wir konnten zeigen, das wir für Atlas nicht die richtigen Ansprechpartner sind, ohne die Interessen der anderen Fachbereiche an der Hochschule zu beeinträchtigen.“ Ob das Unternehmen die gewonnenen Erkenntnisse verwendet, ist den Studenten bis heute nicht bekannt. Sie wissen auch nichts über die Details der Zusammenarbeit mit dem Unternehmen. Gegen diese Intransparenz wollte im Frühjahr vergangenen Jahres eine Arbeitsgemeinschaft der Studentenvertretung angehen. Im akademischen Senat, dem höchsten Gremium der Hochschule, fragten die Studenten nach Details zu den Verträgen mit den Rüstungsunternehmen: Werden Studierende darüber aufgeklärt, wenn sie für rüstungsrelevante Zwecke forschen? Ist sicher gestellt, dass Studierende Wahlfreiheit haben, um im Einklang mit ihrem Gewissen studieren zu können? Der Senat antwortete bündig: Über die Details der Kooperationen sei mit den beteiligten Unternehmen Stillschweigen vereinbart worden. Der Konrektor für Lehre solle sich aber mit den Studiendekanen „mit grundlegenden Fragen der Wissenschaftsethik auseinandersetzen.“ Feste Regeln, wie mit Rüstungsunternehmen umgegangen werden soll, sind dabei nicht festgelegt worden. „Starre Mechanismen würden letztlich auch zivile Forschung negativ beeinträchtigen“, sagt der Hochschulsprecher Ulrich Berlin. Es müsse allen Fachgebieten immer möglich sein, jede Auftragsforschung anzunehmen. Das gebiete die Freiheit der Forschung und der Lehre. Oliver will künftig mit Rüstung nichts mehr zu tun haben. „Ich habe keine Lust, an Instituten zu arbeiten, deren Forschung auf militärische Zwecke abzielt.“ Doch diese Entscheidung verlange Opfer. „Wenn ich genau hinschaue, gibt es eine ganze Menge Stellen, bei denen ich deshalb nicht anfangen kann.“ *Die Namen der Studenten wurden auf Wunsch von der Redaktion geändert.

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