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„Er ist, glaube ich, daran zerbrochen“

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Geschichtsbücher sind eine gute Sache, aber sie erklären häufig nur das Gerüst einer Epoche. Das Dazwischen, die individuellen Anekdoten und die menschlichen Tragödien, die muss man selbst erfragen oder entdecken. Hanna Zeckau, 31, wuchs nahe München auf und studierte Kunst in Berlin. Als sie dort vor vier Jahren im Naturkundemuseum Tiere zeichnet, wird sie hinter den Kulissen auf einen übersehenen Koffer aufmerksam, in dem sich Tausende tote Schmetterlinge verbergen. Gemeinsam mit dem Schauspieler und Autor Hanns Zischler erforscht und illustriert Hanna die Geschichte des Koffers, die nun als Buch erschienen ist. (Der Schmetterlingskoffer, Verlag Galiani, 39,95 Euro). Ein Gespräch über den Fund. jetzt.de: Hanna, wie hast du den Koffer entdeckt? Hanna: Für mein Buch „Brehms verlorenes Tierleben“, ein illustriertes Buch über ausgestorbene Vögel und Säugetiere, war ich viel im Berliner Naturkundemuseum. Eines Tages hat mir der wissenschaftliche Zeichner des Museums diesen Überseekoffer gezeigt, der angefüllt ist mit einer Schmetterlingssammlung aus Kolumbien mit geschätzten 18.000 Exemplaren. Die liegen alle noch in der Sterbehaltung, zusammengefaltet, in dreieckigen Papierbriefen. Diese Papierbriefe liegen in 46 Zigarrenkisten, die zeittypisch zum Beispiel mit Markenwerbung bedruckt sind. jetzt.de: Hört sich an wie ein Schatz. Hanna: Der Koffer ist wie ein kulturgeschichtlicher Fund. Die Papiere, in denen die Schmetterlinge liegen, sind immer Zettel, die der Sammler in der Hand hatte. Bedruckte Formulare, Ausrisse aus Zeitungen, Romanseiten. jetzt.de: Wem gehörte der Koffer? Hanna: Der Naturforscher Arnold Schultze wollte 1939 nach fünf Studien- und Reisejahren in Lateinamerika von Ecuador aus zurück nach Berlin reisen und hatte den Koffer per Post vorausgeschickt. Als er das Schiff nach Europa betritt, sind alle seine botanischen und zoologischen Sammlungen, die er während seiner Expeditionen angelegt hat, mit an Bord – vor allem eine umfangreiche Herbariensammlung und Aufzeichnungen dazu. Dann aber gerät das Schiff direkt in die Atlantikblockade der Briten. Es wird evakuiert und schließlich versenkt. jetzt.de: Wo landet Schultze? Hanna: Auf der Insel Madeira. jetzt.de: Und seine Sachen? Hanna: Sind auf dem Meeresboden. jetzt.de: Hat er denn wenigstens seinen Koffer wiedergesehen? Hanna: Schultze kam nie mehr nach Berlin, er ist 1948 auf Madeira gestorben. Nur der Koffer ist übrig geblieben. jetzt.de: Wo war der Koffer, bis er dir vor die Augen kam? Hanna: In einem Schrank im Treppenhaus des Naturkundemuseums. jetzt.de: Wurde er denn nie geöffnet und ausgewertet? Hanna: Nicht wirklich. Er ist immer noch in einem rohen Zustand. Man spricht ja immer von den „Wirren des Krieges“, in denen er vergessen wurde. So war es in dem Fall. Auch später, zu DDR-Zeiten blieb er unbeachtet. Aufgemacht wurde er allerdings schon mal. Vor ein paar Jahren hat das Museum angefangen, Patenschaften für Exponate anzubieten, um Geld für Präparationen einzuwerben. Bei solch einem Patentag wurde der Koffer als mögliches Patenschaftsobjekt in einer Vitrine hinter den Kulissen aufgeklappt und ausgestellt. jetzt.de: Hat sich ein Pate gefunden? Hanna: Nein. Aber in dieser aufgeklappten Form habe ich den Koffer erstmals gesehen und gedacht: ,Das wird mein nächstes Projekt.‘ jetzt.de: Du hast schon für das Brehm-Buch im Naturkundemuseum Tiere gezeichnet. Woher kommt dein Faible? Hanna: Ich fand die Texte von Brehm so toll. So bin ich in diese Welt der vergessenen Tiere geraten. Ein Blick ins Buch:

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jetzt.de: Was ist das Besondere am Museum für Naturkunde, wie es offiziell heißt? Hanna: Es ist schon ganz speziell. Gerade ist Zweihundertjahrfeier. Die öffentliche Ausstellung ist total schick, aber wenn man hinter die Kulissen geht, ist es unfassbar. Manchmal habe ich das Gefühl, die Welt ist dort im 19. Jahrhundert stehengeblieben und es sind nur Staubschichten dazu gekommen. Ganz viele Sammlungssäle sind im Originalzustand. Ich kann mit geschlossenen Augen herumlaufen und an den alten, modrigen Gerüchen erkennen, in welchem Sammlungssaal ich mich befinde. Fische werden ja anders aufbewahrt als zum Beispiel Vögel, man riecht das auch. jetzt.de: Woher hast du Schultzes Geschichte zum Koffer erfahren? Hanna: Das Museum hatte noch die Tagebücher von Arnold Schultze. Er hatte sie damals mit ans Museum geschickt und ich habe sie jetzt transkribiert. Dann hat mich der wissenschaftliche Zeichner mit Hanns Zischler zusammengebracht, der zu der Zeit im Museum an einem Projekt über Sammlungsgeschichte arbeitete. Zischler ist ein akribischer Rechercheur. Er hat noch weitere Texte von Schultze gefunden, unter anderem den Reisebericht „Flammen in der Sierra Nevada de Santa Marta“. Der Text ist aus den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts und liest sich wie ein Manifest gegen die Waldzerstörung. Schultze hat schon damals darauf hingewiesen, dass Waldzerstörung Dürren und Überschwemmungen auslöst. jetzt.de: Was hast du über Arnold Schultze gelernt? Hanna: Dass er nüchtern und streng war. Nicht so ein gemütlicher Typ, der sich mal abends zurücklehnt und ein Weinchen trinkt. Er hat viel über die undisziplinierten Mitmenschen geschimpft. Aber er hatte eine Schwäche für Papageien. Bei Papageien wurde er völlig verzückt und weich. jetzt.de: Weiß man, wie er mit dem Untergang seiner Sammlungen fertig wurde? Hanna: Er ist, glaube ich, daran zerbrochen. Wir haben Briefe aus Madeira gefunden, die nur einen Schluss zulassen: Für ihn war es die totale Katastrophe.

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Illustration: Julia Schubert

Hanna jetzt.de: Durftest du die Schmetterlinge zum Zeichnen mit nach Hause nehmen? Hanna: Nein, sie sind alle gegen Schädlingsbefall begiftet. Deshalb habe ich auch die ganze Zeit mit Mundschutz gezeichnet. jetzt.de: Das Brehm-Buch war deine Diplomarbeit an der Kunsthochschule Weißensee, der Schmetterlingskoffer war dein Meisterschülerprojekt. Für beide Arbeiten hast du in der Summe viele Jahre im Naturkundemuseum verbracht. Was hat dich die Zeit gelehrt? Hanna: Dass es den Blick weitet, wenn man sich so in eine Arbeit vertieft. jetzt.de: Du sprichst von einem wissenschaftlichen Zeichner, der dich zum Koffer führte. Was ist das für ein Beruf? Hanna: Nehmen wir an, ein Mitarbeiter des Naturkundemuseums hat eine neue Froschart beschrieben, die er auf einer Expedition gefunden hat. Dann zeichnet der wissenschaftliche Zeichner den Frosch. Er schaut ihn sich durch das Mikroskop an und stellt ihn in einer vergrößerten Form dar. Der Wert der wissenschaftlichen Zeichnungen liegt darin, dass der Zeichner die charakteristischen Merkmale ausarbeitet. Ein Foto würde nur das Individuum abbilden. Deshalb wäre es nicht repräsentativ für die neue Art. jetzt.de: Du hättest den Koffer auch ausgiebig fotografieren können. Hanna: Zeichnungen sind das traditionelle Medium in der naturwissenschaftlichen Geschichte. Sie transportieren viel mehr Emotionalität. Ein Foto ist dagegen nur eine kühle Abbildung.

Text: peter-wagner - Illustrationen: H. Zeckau; Foto: S. Endter

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