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Es gibt nicht nur den einen

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Lisa und Tom* lernen sich in der Schule kennen, mit 19 werden sie ein Paar, es ist die große Liebe, nach einigen Jahren macht Tom seiner Freundin einen Heiratsantrag. Das Glück scheint perfekt. Doch dann lernt Tom eine andere kennen. Die Geschichte einer geplatzten Hochzeit – erzählt aus Lisas Perspektive:
 
„Wir waren fünf Jahre lang ein Paar als Tom mir den Antrag machte. Es war romantisch. In unserer gemeinsamen Wohnung hatte er alles mit Rosen dekoriert, überall standen Kerzen, er trug einen Anzug. Er hatte gekocht und den Ring im Salat versteckt. Er sagte, dass ich sein Leben sei und er immer mit mir zusammen sein möchte. Als er fragte, klassisch mit Kniefall, habe ich natürlich ,ja‘ gesagt. Die Termine für Trauung und Polterabend wurden festgelegt. Eineinhalb Jahre später sollte es soweit sein. Gemeinsam zogen wir zurück in unsere Heimatgegend, denn Tom fing an der nahe gelegenen Uni ein Studium an. Ich war mittlerweile fertig mit der Uni und versuchte einen Job zu finden.

Während bei Tom das erste Semester los ging, kümmerte ich mich um die Hochzeitsplanung. Die Trauung sollte standesamtlich stattfinden. Ich suchte mein Kleid aus, bestellte das Aufgebot und stellte das Menü zusammen. Zum Polterabend luden wir 250 Leute ein, zur Trauung 50. Ein Karikaturist wurde engagiert, eine Band gebucht und ein Fotograf bestellt. Ich kümmerte mich um Ringe, Blumenschmuck, Frisur und Schuhe. Eine Riesenangelegenheit. Alles war gut, wir freuten uns beide auf die Hochzeit und auch meine Familie, die Tom gegenüber stets etwas skeptisch war, war nun überzeugt, dass wir zusammengehören.

Mit Beginn von Toms zweitem Semester wurde alles anders. Er hatte auf einmal einen ganz neuen Freundeskreis. Darunter auch Silke. Die beiden hatten sehr schnell ein sehr enges Verhältnis. „Beste Freunde“, sagte Tom. Ich konnte es nicht glauben: Sie waren so gegensätzlich. Er, der Computerspieler, der am liebsten Actionfilme guckt und Fleisch liebt. Sie: Vegetarierin und ein pazifistisches Hippie-Mädchen, das kein Blut in Filmen sehen kann. Sie war der Typ Mensch, über den er sonst lästerte. Tom und sie wurden unzertrennlich. Sie telefonierten oft. Chatteten ständig. Sie lernten zusammen, gingen zusammen in die Mensa. Wenn wir abends gemeinsam auf dem Sofa saßen, piepste sein Handy. SMS von ihr. Irgendwann fand ich die Enge des Verhältnisses bedrohlich. Es wurde mir zu bunt: „Du heiratest in zwei Monaten!“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Ich wollte ihm nicht seine Freundschaft kaputt machen, bat ihn aber, den Kontakt auf ein vernünftiges Maß zu bringen. Tom akzeptierte meine Bitte und reduzierte den Kontakt. Dachte ich. Eines Tages schaute ich unsere Telefonrechnung genauer an. Sie war ungewöhnlich hoch. Silkes Nummer tauchte ständig auf. Wenn ich bis nachts um vier Uhr gekellnert hatte, konnte ich sicher sein, dass die beiden bis kurz vor vier miteinander telefoniert hatten. Ich stellte ihn zur Rede, schrie ihn an und drohte ihn zu verlassen. Er entschuldigte sich tausendmal: „Ich liebe nur dich. Du bist mein Leben. Ich will dich heiraten.“

Ich konnte ihn kaum anschauen, die Enttäuschung war so groß. Doch ich ließ mich überzeugen. Sieben Jahre Beziehung lässt man nicht einfach so vorbeigehen. Ich ließ mir sogar einreden, dass ich meine Eifersucht in den Griff bekommen müsse und kaufte mir Selbsthilfebücher. Ich ging auf Silke zu und konfrontierte sie mit meiner Sorge. Sie beruhigte mich, wie auch Tom mich beruhigt hatte. Mehr als Freundschaft sei da nicht. Mein Misstrauen aber blieb.

Ich las seine ICQ-Nachrichten. Kein feiner Zug, aber ich brauchte Gewissheit. Und die bekam ich. Die beiden hatten im Verlauf von vier Wochen 2500 Mal hin und her geschrieben. Dabei ging es viel um die Uni, aber auch um sehr persönliche Themen. Er schrieb: „Du bist so eine tolle Frau.“ Und sie antwortete: „Ich werde gerade so rot wie ein Feuerwehrauto.“ Das war alles so eklig süß. Sie waren auf eine kindliche Art lieb zueinander. Er schrieb: „Wenn Lisa das lesen könnte, würde sie mir den Kopf abreißen.“ Er hatte mich also bewusst belogen. Ich fühlte mich verletzt und hintergangen. Damit konfrontiert, weinte auch er. Er sagte, er sei nicht er selber gewesen und dass er die Hochzeit wolle. Erneut stellte ich ihn vor die Wahl. Sie oder ich. Ich zwang ihn dann, sie anzurufen, ihr zu sagen, dass die Freundschaft vorbei sei. Das war zwei Monate vor unserer Hochzeit. Die folgende Woche habe ich jeden Tag geweint und insgesamt zehn Kilo abgenommen. Er hatte mir die Gewissheit genommen, die einzige Frau für ihn zu sein. Gleichzeitig liebte ich ihn. Ich fühlte mich wie in einer Sackgasse. Die Hochzeit stand. Wir wollten beide an der Beziehung festhalten, die Trauung nicht absagen. Meiner Familie habe ich meinen Kummer verheimlicht.

Etwa zwei Wochen vor der Hochzeit hatte ich einen Auffahrunfall. Mit einem leichten Schädelhirntrauma musste ich auf Anweisung des Arztes im Bett liegen. Alle halbe Stunde sollte jemand meinen Bewusstseinszustand kontrollieren. Tom hatte seine letzte Klausur bestanden und schon länger geplant, mit seinen Kommilitonen feiern zu gehen. Ich wollte ihn nicht zwingen, bei mir zu bleiben und wir verabredeten, dass mich regelmäßig jemand anruft, um zu sehen, wie es mir geht. Ich lag im Bett und war unglücklich. Irgendwann telefonierte ich mit meiner Großmutter, die versuchte, mich aufzumuntern: „Ein Gutes hat der Unfall doch, Kind: Immerhin siehst du nun, dass du einen Mann heiratest, der sich um dich kümmert, wenn es dir schlecht geht.“ Das war ein Schlag ins Gesicht. Wo war mein zukünftiger Mann? Er war Feiern mit seinen Freunden. Als er morgens mit dem ersten Zug nach Hause kam, eskalierte die Situation. Ich fuhr zu der Frau meines Bruders und erzählte ihr die Geschichte. Sie sprach das erste Mal die bittere Wahrheit an: Ist eine Hochzeit noch sinnvoll? Ich beschloss, Tom eine letzte Chance zu geben. Nachdem ich ihn über mehrere Stunden hinweg telefonisch nicht erreichen konnte, entdeckte ich ihn, wie in einem Film, auf einer Bank in der Nähe seines Elternhauses. Dort gestand er mir, dass er den Kontakt zu Silke nie abgebrochen habe. Dass er den Tag, als ich krank im Bett lag, mit ihr verbracht habe. Und dann sagte er es: „Ich liebe euch beide. Es ist noch nichts entschieden.“ Der Satz beendete alles. Eine halbe Stunde lang schrie ich ihn an, sagte ihm, was für ein schlechter Mensch er sei: „Die Entscheidung nehme ich dir ab. Es ist vorbei.“ Auf dieser Bank, zwei Wochen vor unsere Hochzeit, während eines kitschigen Sonnenuntergangs, sah ich Tom zum letzten Mal.

Meine Lebensplanung war dahin. Ich hatte meinen besten Freund und meine große Liebe verloren. In den letzten zehn Jahren war Tom meine engste Bezugsperson geworden, meine Freunde hatte ich vernachlässigt. Ich hatte keine Wohnung mehr und keinen Job. Das Schlimmste aber stand mir noch bevor: Ich musste die Feier absagen. Ich schrieb in einer Rund-Mail, wie es war: „Tom liebt noch eine andere. Die Feier findet nicht statt.“ Ich fuhr zum Standesamt und bestellte das Aufgebot ab, sagte der Band und dem Karikaturisten ab. Dann kam die schwerste Prüfung. Ich musste mein Hochzeitskleid abholen und bezahlen.

Im Laden brach ich in Tränen aus. Eine wildfremde Frau nahm mich in den Arm und tröstete mich wie ein kleines Kind. Ich zog vorübergehend wieder zu meinen Eltern. Den ganzen Sommer verbrachte ich wie in Trance. Besonders schlimm war das Gefühl, selber Schuld zu sein. Ich bin nicht liebenswert dachte ich, keine Frau, mit der man sein Leben verbringen möchte. Es dauerte, bis ich Tom die Schuld geben konnte. Ich komme aus einem sehr kleinen Dorf und alle wussten, dass die Hochzeit abgesagt wurde. Eines Tages arbeitete ich im Garten, ein Auto fuhr an mir vorbei und die Leuten pressten ihre Gesichter an die Scheibe. Ich hatte das Gefühl, dass sie dachten: „Das ist also das Mädchen, das verlassen wurde! Was stimmt nicht mit ihr?“ Das war schwer zu ertragen. Also zog ich wieder in meine alte Studienstadt, um Abstand zu gewinnen. Ich schrieb mich für einen neuen Studiengang ein und buchte eine Reise. Für mich alleine. Einen Monat nach der Trennung flog ich das erste Mal in meinem Leben. Tom war nie gerne gereist. Zu Hause ist es doch am schönsten, sagte er immer.

Der Inselurlaub tat mir gut. Ich lernte surfen, lag viel am Strand und redete mit den anderen Reisenden. Natürlich ging es auch darum, mir zu beweisen, dass ich es alleine schaffen kann. Und es wurde besser. Das Studium und die neuen Leute halfen. Auch wenn ich an vielen Tagen noch immer sehr traurig war und häufig weinen musste, lernte ich, mein neues Leben und mein Single-Dasein zu genießen. Toms Beziehung zu Silke scheiterte. Er versuchte, mich zurück zu gewinnen. Schrieb Briefe, schickte Blumen. Ich reagierte nicht. Bis heute kennt er meine neue Adresse nicht. Ich habe einen neuen Freund. Auch er hat eine beste Freundin. Es fällt mir nicht leicht, das zu akzeptieren, aber es ist okay. Mein Freund kennt die Geschichte, ich habe sie ihm ziemlich schnell erzählt. Sie erklärt mein Misstrauen. Ich glaube immer noch an die große Liebe, an Heirat und Kinder. Aber ich bin vorsichtiger geworden. Und ich denke, dass es nicht nur die eine große Liebe gibt. Das wäre, wenn man meine Geschichte betrachtet, auch eine traurige Vorstellung. 

* Die Namen der Personen wurden von der Redaktion geändert.

Text: marie-charlotte-maas - Foto: Judywie / photocase.com

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