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"Es ist eigentlich ganz einfach mit der Liebe"

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Malte Welding, 35, ist Blogger und Journalist. Jetzt hat er ein Buch über die Liebe geschrieben. Die sei gerade ziemlich arm dran, sagt er, und er zählt zum Beweis mannigfaltige Gründe auf: Wir wurden zu Narzissten erzogen, das Internet macht es uns zu schwer und gleichzeitig zu leicht, jemanden zu finden, wir haben Angst vor Bindung und müssen außerdem noch ständig Angst um unsere Jobs haben. Ein Interview über Liebe im Jahr 2011.
 
  jetzt.de: Bei der Lektüre deines Buches muss man aufpassen, nicht depressiv zu werden. All deine Freunde, über die du schreibst, haben Liebesprobleme. Und die mannigfaltigen Gründe dafür sind alle sehr gut nachvollziehbar und gleichzeitig unlösbar.
  Malte: Also es gab durchaus auch Leute, die sich bei der Lektüre amüsiert haben. Es ist ja auch tröstlich zu merken, dass es nicht alleine an einem selbst liegt, wenn es nicht klappt. In vielen Liebesratgebern wird die ganze Zeit nur davon gefaselt, dass man sich selbst optimieren muss, wenn man geliebt werden will. Was soll ernsthaft ein dickes Mädchen heutzutage denken? Was soll die denn machen? 90 Prozent der tollen Ratgeberbücher sagen: „Bring dich um oder werde dünner.“ Wenn ich sage: „Darauf kommt es nicht an. Hör auf, deinen Körper zu manipulieren und unternimm lieber was mit deinen Freunden“, dann ist das vielleicht doch hilfreich. Und dann der ganze biologistische Mist in den Wissenschafts-Ressorts der Zeitungen . . . 
 
jetzt.de: Was meinst du damit?
  Malte: Es gibt zum Beispiel die beliebte Erklärung, warum in Beziehungen meist Frauen für die Familie kochen und auch kochen sollte: Ganz klar, weil die früher ja auch immer Beeren gesammelt haben. Man kann wirklich alles und sein genaues Gegenteil mit der Biologie erklären. Mein Lieblingsbeispiel ist das mit dem falschen Geruch: Angeblich sollen Frauen, die die Pille nehmen andere Männer bevorzugen als Pillenlose. Also bitte: Zeig mir mal einen Menschen, der seinen Partner nach dem Geruch ausgewählt hat. Das ist doch völliger Schwachsinn.
 

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Malte Welding

  jetzt.de: Du selbst schreibst aus der Perspektive des glücklich verbandelten Großstädters. Was hast du anders gemacht als deine unglücklichen Freunde?
  Malte: Für mich war die Erkenntnis wichtig, dass man sich manchmal trennen muss. Ich glaube nicht daran, dass man mit 16 Jahren seine große Liebe kennen lernt. Ein anderer wichtiger Prozess war für mich, erwachsen zu werden. Ich war selbst ewig unreif und ewig in der Pubertät, bin vor allem beruflich um meinen eigenen Bauchnabel gezirkelt: Je weniger man macht, desto größer sind die eigenen Phantasien darüber, was man alles kann. Erst mit dem Tun kommt die Realität in dein Leben. Das ist Teil des Erwachsenwerdens.
 
  jetzt.de: Was heißt das für die Liebe?
  Malte: Der Kern von allem, was du tun musst, ist, Worte zu finden für deine Gefühle. Du musst mit Worten Intimität herstellen. Das Problem unserer Generation ist nur: Die Leute haben Angst davor, dass ihre Gefühle verletzt werden. Das ist tatsächlich wahr. Und da kann ich nur sagen: Natürlich wird man im Verlauf seines Lebens verletzt, von Menschen enttäuscht werden. Aber das ist okay und man wird es aushalten.
 
  jetzt.de: Ein bisschen klingt es, als würdest du einer vergangenen Idee von Liebe nachtrauern?
  Malte: Die Sehnsucht danach ist groß. Immer wieder haben mir Leute während meiner Recherche für das Buch gesagt, dass sie zum Beispiel das Konzept der arrangierten Ehe gar nicht so schlecht fänden. Aber das ist definitiv keine Lösung, im Gestern gibt es keine Lösung.
 
  jetzt.de: Gibt es denn Dinge, die früher besser waren?
  Malte: Es ist auf jeden Fall nachgewiesen, dass ältere Menschen eine höhere Zufriedenheit mit ihrem Sexleben haben als junge. Da frage ich mich schon, warum die Leute heute immer noch so fürchterlich verkorkst sind. Warum kann eine 16-Jährige zu ihrem Freund nicht sagen: „Benutz’ bitte ein Kondom“? Aber woher sollen die Kinder es auch lernen? Ich darf ja in einem Interview normalerweise nicht mal das Wort „Ficken“ verwenden. Uns fehlt die Sprache für bestimmte Dinge. Wir haben überhaupt kein öffentliches positives Reden über Sexualität, obwohl man vielleicht das Gegenteil annehmen würde. In der Öffentlichkeit existiert keine Darstellung einer Erektion. Ich darf zwar im Fernsehen platzende Gehirne von Zombies zeigen, aber eine Schamlippe ist völlig tabu. Das ist doch grotesk! Niemand besetzt Sexualität nett und positiv. Das gab es vielleicht in den 1970er Jahren mal, aber heute geht das nicht mehr. Natürlich kannst du dir jede Spielform irgendwie anschauen, aber Pornografie hat mit einem positiven Begriff von Sexualität nichts zu tun.
 
  jetzt.de: Ist Liebe kompliziert?
  Malte: Nein, es ist eigentlich fürchterlich einfach mit der Liebe: Man muss nur jemanden finden, den man mag und den man scharf findet. Und bei keinem der beiden Punkte darf man Kompromisse machen. Man soll niemanden nehmen, den man zwar irre nett aber nicht sexy findet und umgekehrt auch nicht. Aber du würdest dich wundern, wie viele Leute es trotzdem versuchen. Obwohl die allermeisten Leute von sich sagen, sie seien so schrecklich anspruchsvoll, sind sie in Wahrheit nicht anspruchsvoll genug!
 
  jetzt.de: Am Ende deines Buches haben fast alle deine Sorgenkinder-Freunde ihre Liebesprobleme gelöst. Wie kriegt man das hin?
  Malte: Man kann beschließen, nicht so viel Angst zu haben. Man hat manchmal sozusagen eine negative Betriebseinstellung, aber die kann man selbsttätig umstellen und seine eigene Geschichte für sich unter einem positiven Licht sehen. Man darf auch nicht erwarten, dass jemand kommt und einen glücklich macht. Und vielleicht das hier noch: Das große Geheimnis seiner langen Beziehung, hat mir mal ein Freund gesagt, der seit 15 Jahren mit seiner Freundin zusammen ist, sei, sich nicht zu trennen. Man muss akzeptieren, dass man in einer Beziehung Krisen haben wird. Und wenn man es in eine Beziehung schafft, dann ist es das Allerbeste, was es gibt.
 
  „Frauen und Männer passen nicht zusammen – auch nicht in der Mitte“ von Malte Welding ist bei Piper erschienen. Mehr auf maltewelding.de.

Text: christina-waechter - Foto: @joachimwagner.net

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