Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Es kocht

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Emin Milli ist gut gelaunt. Er kommt gerade aus dem Gefängnis. „Waren ja nur zwei Wochen“, sagt er und seine Stimme klingt hell und fröhlich, so wie man es von ihm kennt. „Das letzte Mal waren es 17 Monate. Da vergehen 15 Tage doch vergleichsweise schnell.“ Milli gehört zu den führenden Dissidenten einer neuen Generation in Aserbaidschan. Und er ist zu allem bereit. Aus dem Gefängnis ließ er wissen, dass er bereit sei, für seine Überzeugungen „wieder und wieder verhaftet zu werden und zu sterben“.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Milli war im Gefängnis gelandet, weil er am 26. Januar an einem Protest im Zentrum Bakus teilgenommen hatte. Mit tausenden anderen, die sich mit Bewohnern von Ismayilli solidarisiert hatten, einer Stadt nordwestlich von Baku. Dort war es zu Ausschreitungen gekommen, die von der Polizei nur mit Tränengas und Gummigeschossen gestoppt werden konnten. Der Gouverneur der Stadt wird schon seit Längerem der Korruption beschuldigt. „Vor einem Jahr hätte ich auch nicht gedacht, dass es in der Provinz zu Demonstrationen kommen könnte“, meint Milli. „Aber viele haben einfach die Schnauze voll von der allgegenwärtigen Korruption und davon, dass sich unsere Staatsführung bereichert. Diese Korruption wird heute dank des Internets immer stärker sichtbar. Es kocht etwas in Aserbaidschan.“

Schon in den ersten Januarwochen war es zu Protesten im Zentrum Bakus gekommen, weil ein junger Soldat im Armeedienst gestorben war – wahrscheinlich an den Folgen von Misshandlungen. Seit September schwelt ein Skandal, der durch Youtube-Interviews bekannt wurde. In den Filmen werden hochrangige Politiker gezeigt, die den Verkauf von Parlamentssitzen verhandeln. Die Frustration im ölreichen Land am Kaspischen Meer wächst. Und die Regierung Alijew reagiert, wie sie es immer tut, wenn sie nervös ist: mit Verhaftungen von Zivilgesellschaftlern und Oppositionellen. Schließlich finden im Oktober Präsidentschaftswahlen statt, die so ablaufen sollen, wie es das Regime am liebsten hat: ruhig.

Wer sich die Fotos der Demonstrationen in Baku anschaut, erkennt darauf viele junge Aserbaidschaner. Es besteht kein Zweifel, dass sich eine neue junge und urbane Elite hervortut, die sich nicht so schnell ins Ausland oder in die Anpassung an die neo-feudalen Regeln treiben lässt. „Ich kenne Hunderte solcher jungen Leute“, sagt Zaur Gurbanli, Blogger und Aktivist, 26 Jahre. Er ist Mitbegründer der Jugendbewegung „N!DA“; und auch er hat bereits im Gefängnis gesessen. „Als Emin 2009 verhaftet wurde, waren nur ein paar hundert Aserbaidschaner bei den Protesten. Bei meiner Verhaftung im vergangenen Jahr waren es schon ein paar Tausend. Wir arbeiten mit Universitäten zusammen und dort sehen wir, dass es immer mehr protestwillige junge Leute gibt. Früher hat die Angst die meisten zurückgehalten. Man kann ja seine Arbeit und seinen Ausbildungsplatz verlieren.“

Die Januarproteste in Baku waren die ersten seit Jahren im Zentrum der Stadt. „Natürlich haben wir die nicht angemeldet“, sagt Milli. „Denn die Regierung hätte uns nie erlaubt, im Zentrum zu demonstrieren.“ Die Proteste kamen ohne die Oppositionsgranden der Müsawat- oder der Volksfront-Partei aus; diese traditionelle Opposition wird gerade von den Jungen als untätig und selbstherrlich kritisiert. „Im April“, verkündet Milli, „wollen wir die neue und die alte Opposition an einen Tisch bringen. Wenn die traditionelle Opposition nicht kommt, wird sie wohl kaum noch eine Chance bei uns haben.“

Die junge Oppositionsbewegung um Milli hat ihre Wurzeln in der urbanen Elite seines Landes, die Mitte der Nullerjahre begann, sich abseits von der noch in der Sowjetunion geprägten Opposition eine Stellung aufzubauen. Mit Gleichgesinnten organisierte Milli Vorlesungen zu gesellschaftlichen und politischen Themen und Demonstrationen vor dem UN-Sitz in New York. Zudem begannen Milli und Co., das Internet und die sozialen Medien für sich zu nutzen – was von der alten Parteienopposition weitgehend verschlafen wurde. Mittlerweile ist so vor allem auf Facebook eine stattliche Bewegung entstanden. Dass Milli zu einem Störfaktor für das regulierte politische System des Präsidenten Ilham Alijew wurde, merkte man spätestens im Sommer 2009. Milli wurde erstmals für seine regimekritische Arbeit bestraft.

Die größten Probleme für die aserbaidschanische Jugend, sagt die Aktivistin Aygul Pencelijeva, seien Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit – auch aufgrund der grassierenden Korruption und Bestechung. „Außerdem führen Korruption und falsche Reformen im Bildungssektor zu schlechter Ausbildung und zu einer Masse, die man leicht kontrollieren kann. Und zu einem schlechten Standard im Gesundheitssystem, in der Jurisdiktion oder in der Wirtschaft. Nur die Hellsten kämpfen gegen diese Situation und studieren im Ausland. Aber für die ist ein Kampf sehr schwierig, weil die Meinungsfreiheit sehr eingeschränkt ist.“ Die 24-Jährige glaubt, dass 2013 ein Jahr der politischen Veränderung sein kann. „Dass schon zu Beginn des Jahres Proteste aufkeimen, zeigt, dass die Leute genug haben.“

Auch der Aktivist Gurbanli hält eine politische Veränderung für realistisch. „Nach den Januar-Protesten haben viele gesehen, dass wir nicht tot sind. Wir können etwas erreichen.“ Wie die meisten jungen Aserbaidschaner ist Gurbanli nicht nur von der Alijew-Regierung enttäuscht, sondern auch von den westlichen Demokratien. „Wir haben Öl und Gas und wir haben eine wichtige geopolitische Lage. Aber wir sehen, dass der Westen kein Interesse an einer Demokratie bei uns hat.“ Studien haben gezeigt, wie sich auch Mitglieder des Europarates von Aserbaidschans „Kaviardiplomatie“ weich kochen lassen. Die nötige scharfe Kritik an den Demokratieverfehlungen in dem südkaukasischen Land bleibt so aus.

Der junge Menschenrechtsanwalt Rasul Jafarow, der im vergangenen Jahr zum Eurovision Song Contest in Baku die Kampagne „Sing for Democracy“ auf die Beine stellte und kürzlich das Projekt „Arts for Democracy“ etabliert hat, sagt: „Gerade die gut ausgebildeten Aserbaidschaner sind sehr enttäuscht vom Westen. Aber wir brauchen das Interesse dort. Denn bei uns werden in den nächsten drei Jahren Wahlen stattfinden. Zudem wird Aserbaidschan 2014 den Vorsitz der Parlamentarischen Versammlung des Europarates übernehmen. Die Regierung wird sich wieder als demokratisch und progressiv darstellen. Aber ihr solltet wissen, was bei uns wirklich vor sich geht.“

Es ist zwei Uhr morgens in Baku, zwei Tage nach Emin Millis Entlassung aus dem Gefängnis. „Ich bin mir nicht sicher, ob es eine Revolution bei uns geben wird“, sagt Milli über Skype. „Aber es passiert etwas. Und ich arbeite dafür, dass noch mehr passieren wird.“

Am nächsten Morgen ist Milli bereits in einem Flugzeug, unterwegs nach Wien zu einer Konferenz der OSZE. Auf seiner Facebookseite finden sich wieder zahlreiche Einträge. Offenbar gab es Probleme an der Grenze. Die Beamten wollten ihn zunächst nicht ausreisen lassen, entschieden sich dann aber doch, Milli ins Flugzeug zu lassen. Was hatte Milli doch gleich nach seiner Entlassung geschrieben? „Freiheit gab es nie umsonst und auch in Aserbaidschan wird es sie nicht umsonst geben.“

Text: ingo-petz - Foto: afp

  • teilen
  • schließen