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„Es kommen immer die Falschen“

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In vielen deutschen Schulen steht er jetzt an, der Tag, an dem man als Schüler bang zu Hause sitzt und grübelt, was der Lehrer wohl gerade den Eltern über die eigene Person zusteckt. Am Elternsprechtag kommt also die Wahrheit über Schüler ans Licht – aber was denken die Lehrer über die Eltern? jetzt.de hat vier Pädagogen in München nach ihren Erlebnissen am Elternsprechtag gefragt.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Eine Hauptschullehrerin, seit 20 Jahren im Dienst: „Elternsprechtage bei uns sind für die Katz’. Wenn überhaupt Eltern kommen, dann die Eltern, deren Kinder in der Schule keine Schwierigkeiten haben. Bei den echten Problemkindern lässt sich kein Mensch blicken, keiner kümmert sich um sie. Neunzig Prozent meiner Schüler sind Ausländer – deren Eltern kommen oft als Pärchen. Meistens kann aber nur einer der beiden Deutsch. Der andere Elternteil, meist die Mutter, sitzt dann devot neben ihrem Mann und schweigt. Manchmal ist auch ein Cousin da, der den Eltern übersetzt. Was häufiger vorkommt, sind baggernde Männer. Erst neulich kam ein Mann herein, mit weit geöffnetem Hemd, dicker Goldkette – ein Mann vom Typ Zuhälter, der mich heftigst angemacht hat. Dann gibt es noch einen italienischen Vater, der mir ständig Hustenbonbons aufdrängen will. Der baggert nicht um zu schleimen oder um für seine Tochter bessere Noten rauszuholen, sondern weil er ein Depp ist. Was mich so frustriert an diesen Elternsprechtagen, ist ihre Sinnlosigkeit. Wir erreichen nie diejenigen, die wir erreichen müssten. Vielleicht leiden manche meiner Schüler unter einer schlimmen Familiensituation, unter alkoholkranken Väter, Gewalt und so weiter; doch wir Lehrer erfahren das dann nicht. Ich glaube, viele ausländische Eltern kommen nicht, weil sie sich schämen oder Berührungsängste haben. Sie schämen sich dafür, kein Deutsch zu sprechen, oder dafür, dass sie arm sind. So kommt es, dass oft an unseren Elternabenden nicht mehr als drei oder vier Eltern da sind. Und meine Hauptschule gehört noch zu den besseren.“ Ein Gymnasiallehrer für Mathe und Physik, seit 13 Jahren im Dienst: „Was mir auffällt ist, dass Eltern immer größere Erwartungen an die Schulen haben. Das hat viel mit den Medien zu tun. Gutes Klassenklima und ein reichhaltiges Angebot an außerschulischen Aktivitäten sind ihnen zum Beispiel wichtig. Viele überengagierte Eltern verschätzen dann die Unterrichtssituation und verlangen von mir beispielsweise, jedes Mal daheim anzurufen, wenn der jeweilige Schüler sich danebenbenimmt. Auf was ich wirklich sehr achte, ist, nicht über die Kinder herzuziehen. Das bedeutet, Negatives einfach positiv einzupacken. Ich habe selbst Kinder und weiß, dass es weh tut, wenn Lehrer Schlechtes über die eigenen Kinder berichten. Ich brauche die Eltern auch nicht, um zu petzen. Wenn ich es im Klassenzimmer nicht schaffe, die Kinder zu motivieren, dann ist das mein Problem. Von Kollegen bekomme ich aber schon auch Anderes mit. Da gibt es welche, die richtig die Sau rauslassen und sich heiß reden. Mir sind auf Elternsprechtagen auch schon peinliche Pannen passiert. Einmal habe ich mit einer Mutter zehn Minuten lang über das falsche Kind gesprochen. Ich hatte eine Laura in der 8. und eine in der 9. Klasse. Die habe ich eben verwechselt. Am Schluss ist mir dann aufgefallen, dass da etwas nicht stimmen kann. Glücklicherweise waren sich beide Schülerinnen auf eine Art sehr ähnlich.“


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ein Gymnasiallehrer für Bio und Chemie, seit über 30 Jahren im Dienst: „Es hat sich schon was getan bei den Eltern. Früher ging es von der Grundschule ins Gymnasium und das Abschneiden der Kinder wurde von den Eltern zurückgeführt auf Intelligenz und Fleiß, nach dem Motto ,alles Lernsache’. Da kamen dann Eltern, gerade aus einfacheren Verhältnissen, Bäcker und Handwerker zum Beispiel, und fragten lediglich: ,Folgt er?’. Und wenn nicht, dann wurde mir nahegelegt, dem Kind einfach eine zu watschen. Heute wird mehr psychologisiert. Es werden alle möglichen Kriterien berücksichtigt, die am Scheitern oder Gelingen des Schülers Schuld sein können. Da geht es um ADS, Legasthenie, Rechtschreibschwäche, Zahlenschwäche und so weiter. So etwas wird heutzutage ja auch in der Korrektur berücksichtigt. Die Eltern sind heute sehr darauf bedacht, nichts falsch zu machen. Deswegen erscheinen sie auch so zahlreich auf den Elternsprechtagen, um nicht den Eindruck zu erwecken, sie hätten kein Interesse. Sie erzählen mir dann, wie sie mit ihrem Kind Rechnen üben oder Nachhilfe organisieren. Das Einflussnehmen der Eltern ging in einem Fall so weit, dass mir kostenlose Tennisstunden angeboten wurden – im Ausgleich für bessere Noten. Was schwierig, doch manchmal eben notwendig ist, ist, Eltern einen Schulwechsel ihres Kindes nahezulegen. Oft ist der Wechsel vom Gymnasium auf die Realschule für die Schüler das beste. Es ist auch schon vorgekommen, dass Eltern Jahre später auf mich zukamen und sich bedankt haben dafür, dass ich ihnen damals geraten habe, das Kind vom Gymnasium gehen zu lassen.“ Ein Lehrer für Mathematik und Physik an einem Gymnasium, erst seit kurzem im Dienst: „Vor meinem ersten Elternsprechtag war ich nervös. Als Referendar im Zweigschuleinsatz hatte ich fünf oder sechs Klassen, also im Vergleich eher wenig. Aber ich wusste überhaupt nicht, was mich erwartet, also habe mich gründlich vorbereitet. In der Woche vor dem Eltersprechtag habe ich mir die einzelnen Kinder genauer angesehen, wie benehmen die sich, wie sieht es mit ihren schulischen Leistungen aus. Ihre Noten habe ich alle ausgedruckt. Ich wollte nicht, dass die Eltern kommen und ich keine Ahnung habe, was ich ihnen sagen soll. Bei den typischen „Problemfällen“ fällt es leicht, etwas zu sagen. Leider waren es genau deren Eltern, die nicht erschienen sind. Kurz vor dem Elternsprechtag bin ich mit einem Kollegen in den nahegelegenen Supermarkt gelaufen, um Pralinen und Kekse zu kaufen. Damit wollte ich die Eltern ein wenig bestechen und tatsächlich lockerte es die Stimmung etwas auf. Wie gesagt kamen vor allem die Eltern von guten Schülern, die es genossen, sich Lob abzuholen. Dann gab es ganz schreckliche Eltern, die trotz hervorragender Leistungen ihrer Kinder fragten, was man denn noch zusätzlich machen könne, um die Leistung zu verbessern. Da war zum Beispiel eine Mutter, die total überrascht war, dass ihr Sohn eine Fünf in einer Mathe-Ex bekommen hatte. Ich zählte seine Noten auf – er war ein guter Schüler – nur eben eine Ex hatte er vermasselt. „Dem werde ich es zeigen, wenn ich nach Hause komme“, sagte die Mutter. Das erinnerte mich an meine eigene Schulzeit, in der ich meinen Eltern auch nicht alle Noten gesagt habe. Ein schlechtes Gewissen hatte ich aber nicht, den Sohn verraten zu haben. Das zählt zur Zusammenarbeit Elternhaus-Schule. Kinder bringen nur dann entsprechende Leistungen, wenn das Feedback der Eltern stimmt. Die witzigste Begegnung hatte ich mit der Mutter eines Mädchen, die in der Klasse die Rolle der Quasselstrippe inne hatte. Ein typisch pubertierendes Mädchen, das den Mund nicht zu bekommt. Und dann diese Mutter. Wie ein Abbild ihrer Tochter. Die Gesichtszüge, der Tonfall: alles gleich. Die saß fünf Minuten bei mir im Zimmer und hörte nicht auf zu sprechen. Nach ihrem Monolog war ich erschöpft – aber auch zufrieden! Ich packte meine Sachen und ging mit Kollegen zum Italiener ums Eck. Gemeinsam ließen wir meinen ersten Elternabend gemütlich ausklingen.“

Text: sascha-chaimowicz - Illustration: Katharina Bitzl

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