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Es röhrt so schön

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Ein bisschen Rückgratlosigkeit gehört in der Mode dazu: Schnell legte sich vor drei Jahren das Entsetzen über die Rückkehr der Röhrenjeans, noch schneller waren Hemmschwellen und der Vorsatz vergessen, „auf gar keinen Fall die 80er-Karotte mitzumachen“. Nachdem man sie mehrfach anprobiert hatte, beschloss man, dass die eigene Bewegungsfreiheit durch den Jeansstoff gar nicht einschränkt würde und versicherte sich selbst, dass die Waden so schlimm nun auch wieder nicht aussähen. Schließlich, so der Gedanke, ist alles Gewöhnungssache und auch die größte Modesünde spätestens im nächsten Sommer passé. Falsch gedacht. Seit drei Jahren flanieren eingequetschte Wurstwaden über die Straßen, und es werden immer mehr. Und obwohl drei Jahre in der Modezeitrechnung eine halbe Ewigkeit sind, ist ein Ende der Beliebtheit bislang nicht abzusehen. Auch Kate Moss läuft immer noch skinny durch die Gegend, und in den aktuellen Kollektionen der Fashionweeks bleibt die Röhrenhose weiter präsent. Das liegt nicht daran, dass Alternativen Mangelware wären. Von Designern und Moderedakteuren wurden seit 2007 hartnäckig neue Hosenmodelle propagiert – schließlich sollen die Konsumenten, also wir, ihr Kleiderarsenal ständig erweitern. Alles arschunfreundlich Einer der Vorschläge nennt sich Humpty Dumpty Pant. Dabei handelt es sich um eine an der Hüfte ausgebeulte, eierförmige Männerhose mit Bundfalte, die an den unteren Teil eines Clownskostüms erinnert. Unter dem Namen Boyfriend-Jeans sollen handelsübliche Männerjeans an Frauen verkauft werden. Als Harem-Pant firmiert wiederum ein von „Aladdin“ inspiriertes Beinkleid, dessen Schritt tief bis zu den Knien hängt und den Hintern der Trägerin vollkommen unkenntlich macht. Der absolute Röhrenhosen-Antagonist ist die High-Waisted-Jeans, eine Mischung aus Marlene- und Schlaghose mit hoher bauchfeindlicher Hüfte, in der die Beine wie in einem riesigen Zelt herumschlackern. Kein Wunder, dass sich nichts davon bisher richtig durchgesetzt hat, zeichnen sich doch alle genannten Modelle durch ein Merkmal aus: Arschunfreundlichkeit.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Wie einfach war es noch vor einigen Jahren, als die in jeder Hinsicht dezente Bootcut-Jeans das Straßenbild dominierte. Wer schlecht in ihr aussehen wollte, musste sich wirklich anstrengen. Die Entwicklung von der Bootcut zur Röhre war also, wenn man so will, ein Weg vom großen Konsens zur großen Spaltung. Tatsächlich gewinnt man den Eindruck, dass Menschen sich modetechnisch über nahezu nichts so gerne streiten wie über das knallenge Denim. Diejenigen, die felsenfest den Standpunkt „Pro Röhre“ vertreten, werden es sich mindestens dreimal überlegen, ob sie meterweise Stoff am Bein baumeln haben wollen, anstatt wie gehabt täglich ihr Beinkondom überzustreifen. Selbst dem prinzipienlosesten Modeopfer dürfte das Schwenken vom einen Extrem ins andere ein gewisses Maß an Selbstüberwindung kosten. Die Mode der Nullerjahre zeichnet sich in erster Linie durch stilistische Richtungslosigkeit aus. Seit Jahren wird im Saisontakt zwischen 20er-Revival, 60er-Comeback und Wiederkehr der 70er hin- und herpendelt – sogar die 90er werden wieder recycelt. Am nachhaltigsten wurden in den vergangenen Jahren allerdings die 80er aufbereitet. Mit der Popularität dieser Dekade geht der 80er-Referenzwahn in der Popmusik einher. Die Pendants zu New Wave und Post-Punk hören in der Mode auf Namen wie Ankle Boots oder Pullikleid. Abgesehen von Eintagsfliegen wie dem Neon- oder Acidwash-Quatsch, hat sich vor allem die 80er-Silhouette „oben weit, unten eng“ durchgesetzt: Die Oberteile wurden wieder länger und weiter, der prollige Bauchstreifen zwischen T-Shirt-Endung und Hosenanfang verschwand von der Bildfläche. Sollte die Schlaghose wirklich zurückkommen, müsste man sich konsequenterweise wieder in enge Obenrums quetschen, falls man nicht wie ein schlecht proportionierter Sack aussehen will. Wir werden uns also allem Anschein nach noch für längere Zeit auf den Anblick von dünn- und dickbeinigen Röhrenjeansträgern einstellen müssen. Übrigens wurde auch ihrer peinlichen kleinen Schwester, der Leggins, ein schneller Tod prophezeit. Und ob man es gutheißt oder nicht: Sie ist ebenfalls immer noch da.

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