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Florian feiert zweimal im Jahr Geburtstag

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Eigentlich hat Florian Hellbach am 28. Juni Geburtstag. Dann wird er 19 Jahre alt. Doch auch der 9. Mai 2005 ist für ihn eine Art Geburtstag. Dann jährt sich zum ersten Mal der Tag, an dem durch eine Knochenmarkspende sein neues Leben begann. Es ist noch keine zwei Jahre her, als Florian mit einer erschütternden Diagnose konfrontiert wurde: Leukämie. „Mir wurden die Weisheitszähne raus genommen und zuerst war alles in Ordnung“, erzählt er vom Beginn seines Leidens. „Dann habe ich Bauchschmerzen bekommen und musste in die Unfallklinik. Dort haben die Ärzte festgestellt, dass meine Milz zu groß ist, drei Fünftel waren abgestorben, sie musste raus.“ Die Milz wurde entfernt, nun sollte es ihm besser gehen. „Aber es ging schlechter als vorher. Ich musste wieder in die Klinik, diesmal ins Rudolf-Virchow-Krankenhaus, und dort haben sie festgestellt, dass ich Blutkrebs habe.“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Foto: Sybille Fendt Florian lebt mit seinen Eltern und seinem zwei Jahre jüngeren Bruder in Berlin-Ahrensfelde, im, wie er sagt, „letzten Häuserblock, bevor Berlin endet und Brandenburg beginnt“. Sein Vater arbeitet als Rettungssanitäter, die Mutter im Management einer Firma, die medizinische Geräte herstellt, der Bruder geht zur Schule. „Familie war mir immer wichtig“, betont Florian. Als die Diagnose gestellt wurde, war seine Mutter dabei. „Wir standen beide erstmal unter Schock“, erinnert er sich. „Aber wir haben uns gleich mit der Krankheit befasst, der Arzt sagte, dass es gute Heilungschancen gibt und dann war es nicht mehr allzu schlimm. Ich wusste nun einen Weg, den ich gehen kann.“ Das ist ein typischer Satz für Florian. Klar und optimistisch. Andere hätten vielleicht resigniert angesichts dessen, was er erlebt hat: Kinderkrebsstation, Erwachsenenkrebsstation, Chemotherapie, Isolation, Angst, Hoffnung, Enttäuschung. „Das ist schon ein Rieseneinschnitt mit 17 Jahren, wenn man sich gerne mit Freunden trifft, raus geht, auf Konzerte – und dann ist man erstmal im Krankenhaus oder zu Hause eingesperrt.“ Freunde wie Fußpilze Durch die Leukämie war er ständig müde, in Folge der dreimonatigen Chemotherapie fielen ihm die Haare und Augenbrauen aus, schon bald war klar, dass er das Schuljahr wiederholen muss. Und: Die klassische medizinische Leukämiebehandlung schlug kaum noch an. „Ich dachte, jetzt hilft nichts mehr, aber dann hat man noch ein Medikament gefunden, das wenigstens ein bisschen wirkte.“ Dennoch wurde deutlich, dass das nicht reichen würde und etwas Entscheidendes passieren musste, damit er das Jahr 2005 überlebt. Vor wenigen Wochen haben wir uns getroffen, auf Florians Wunsch im „Eastgate“, einer Shopping Mall am S-Bahnhof Marzahn, nur ein paar Straßenbahnhaltestellen von der Wohnung seiner Eltern entfernt. Es ist einer dieser typischen Konsumklötze, der inmitten des tristen Grau der Marzahner Plattenbauten reichlich deplatziert wirkt. Florian gefällt es hier trotzdem, er genießt es, mal nicht zu Hause zu sein. Schüchtern wirkt er. Er redet meist leise. Aber er lächelt dabei. Die Haare und Augenbrauen sind nachgewachsen. Man sieht ihm nicht an, dass er noch vor einem Jahr kurz vor dem Tod stand. Eine Knochenmarktransplantation brachte die Wende. Seine Eltern und sein Bruder ließen sich untersuchen und in der Deutschen Knochenmarkspenderdatei (DKMS) registrieren, um zu erfahren, ob sie als Spender in Frage kommen. Leider war das nicht der Fall. „Doch im März 2005 fand die DKMS drei Spender, die zu mir passten. Die Ärzte suchten den Geeignetsten aus. Das war Glück, andere müssen manchmal ein halbes oder ganzes Jahr suchen“, meint Florian. Bereits vier Wochen vorher musste er auf die Isolierstation im VirchowKlinikum, um von allen Keimen ferngehalten zu werden. Es folgten Bestrahlungen und Medikamente, die das eigene Immunsystem zerstören. Nur so kann sich nach der Spende ein Neues bilden. Die Transplantation selbst sei unspektakulär gewesen, sagt Florian. Dem Spender wird Blut aus dem Becken entnommen, in der Klinik wird es mit dem Ziel behandelt, daraus möglichst viele weiße Blutkörperchen, also Stammzellen, zu gewinnen und sie durch eine Transfusion in den Arm des Leukämiepatienten zu übertragen. Danach beginnt der Körper eigene weiße Blutkörperchen zu bilden: „Nach drei Tagen 30, irgendwann sind’s 100 und dann steigert sich das nach und nach bis auf 8000. Ich hab mich über jedes Einzelne gefreut“, erzählt Florian. Es folgten weitere 200 Tage der Isolation, erst in der Klinik, dann zu Hause. Besucher mussten einen Mundschutz tragen. Seine Freunde wandten sich trotzdem nicht von ihm ab, „obwohl ich das verstanden hätte“. Zwei von ihnen sagten: „Wir sind wie Fußpilze, du wirst uns nicht mehr los.“ Und dann kommt er wieder, der typische Satz: „Erst war Angst da, aber auch gleich wieder Hoffnung.“ Am 26. November war die Isolation vorbei: „Endlich durfte ich raus. Zum ersten mal wieder einkaufen gehen zu können, das war schön, genauso wie nach 200 Tagen wieder Schokolade essen zu dürfen.“ Nicht nur Schokolade, auch Obst, Gemüse und Nüsse waren bis dahin tabu. Aber die Kräfte waren begrenzt und für den normalen Schulalltag reichten sie noch nicht. Deswegen muss Florian jedoch kein weiteres Schuljahr versäumen. Er stieg bereits in der Isolationszeit in die elfte Klasse der Marzahner Rudolf-Virchow-Gesamtschule, einer Integrationsschule für Behinderte und Nichtbehinderte, ein – per Webcam. In der Schule zeichnete ein Laptop samt Kamera alles auf, was im Klassenzimmer passierte, während „ich mich eben zu Hause gefilmt habe“. Angeschlossene Lautsprecher auf beiden Seiten sorgten dafür, dass er sich sogar am Unterricht beteiligen konnte. Hausaufgaben wurden via E-Mail abgegeben, kleinere Tests schrieb er zu Hause unter Videoaufsicht, für Klausuren musste er in seine Tagesklinik, wo ein Krankenhauslehrer die Aufsicht führte. Wird hier der Schülertraum vom idealen Arbeiten schreiben bei eingeschränkter Lehrerkontrolle wahr? Von wegen, sagt Florian, „man hat ja nicht einmal einen Banknachbar, bei dem man spicken kann.“Dennoch ist er froh, wieder etwas tun zu können und nicht mehr nur über seine Krankheit nachzudenken. „Man gehört endlich wieder dazu.“ Seit ein paar Wochen sind die Videokonferenzen beendet und er geht ganz normal zur Schule. Zum Glück wieder Schule Nur für einige seiner Leidenschaften wie Radfahren oder Bergsteigen fehlen noch immer die Kräfte. „Aber das kommt wieder, man muss nur Geduld haben.“ Wieder dieser Optimismus, der auch von Rückschlägen nicht erschüttert wird. Und die gibt es. Anfang des Jahres musste Florian wegen schlechter Blutwerte erneut ins Krankenhaus, sein Hämoglobinwert war verheerend. „Ich musste Blutkonserven bekommen, sonst wäre ich gestorben.“ Die Ärzte können sich den Wert bis heute nicht erklären, vermuten aber, dass es an den unterschiedlichen Blutgruppen von Florian und seinem Spender liegen könnte. Florian kennt den Namen des Spenders nicht und darf ihn auch vorerst nicht wissen. „Denn erst nach zwei Jahren ist wirklich klar, dass dein Körper die Spende vertragen hat, erst dann giltst du als geheilt.“ Am 9. Mai 2007 endet die Frist und dann will Florian unbedingt den Mann kennen lernen, der ihm das Leben gerettet hat. Bis dahin dürfen sich beide – vermittelt über die DKMS – anonym Briefe schreiben. „Ohne die DKMS wäre das alles gar nicht möglich gewesen. Es wäre schön, wenn sich viele Menschen dort registrieren lassen würden, um anderen Menschen zu helfen“, sagt Florian. Seine Dankbarkeit möchte er auch dadurch ausdrücken, dass er demnächst einen Aktionstag an seiner Schule durchführen wird, um die DKMS bekannter zu machen und weitere Spender zu gewinnen. Seine Krankheit habe ihn verändert, meint Florian. „Man lernt, Geduld zu haben und besser mit anderen Kranken umzugehen.“ Krankheit könne eine positive Erfahrung sein, er wisse nun, dass das Leben nicht immer so schön ist, wie es oft dargestellt wird. Seinen Optimismus bremst das nicht. Denn er ist ein Teil von Florians Therapie: „Ich muss nach vorne gucken und kann mich nicht einfach hängen lassen. Wenn man die Einstellung hat, wieder gesund werden zu wollen, spielt das auch eine Rolle beim Heilungsprozess.“ Früher wollte er Lehrer für Geschichte und Geografie werden, „aber auf der Kinderkrebsstation habe ich gesehen, dass die Leute jemanden brauchen, der ihnen hilft. Das möchte ich gerne sein.“ Florian plant nun, nach dem Abitur Heilpädagogik zu studieren. Doch vorher gilt es noch einige Geburtstage zu feiern. In jedem Jahr zwei. Weitere Informationen über die DKMS gibt es unter DKMS.de

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