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1. DIE SCHLAFFI-NUMMER

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


  Was passiert?
  Der Schlaffi ist der Klassiker unter den misslungenen Begrüßungen: Der eine greift beherzt die Hand des anderen, welcher den Akt in einer Weise über sich ergehen lässt als wünsche er sich eigentlich ganz weit weg. Seine Hand gibt nach als sei sie aus Schaumstoff und erschrickt den anderen dermaßen, dass er sie einfach fallen lässt. Beide lächeln zerknirscht. Sie werden niemals Freunde sein.
  Wer trifft hier aufeinander?
  Der Schlaffi tritt meist auf, wenn zwei Menschen einander vorgestellt werden und sich darum pflichtbewusst und nach der guten alten Benimmregel begrüßen. Der eine von ihnen hätte, wäre man sich alleine begegnet, wohl eher nichts getan oder höchstens die Hand zu einem körpernahen Winken erhoben. Er ist schüchtern, unsicher und mag keine Filme, in denen schlimme Dinge passieren. Der andere hingegen ist sehr pflicht- und selbstbewusst und denkt während einer Begrüßung nicht darüber nach, wie furchtbar die Bordsteinszene in „American History X“ ist, sondern eher daran, sich gleich ein richtig gutes Steak zu bestellen.  
  Gewinner und Verlierer:
  Man meint, der ohne Wumms hinterm Händedruck sei der klare Verlierer. Aber weit gefehlt! Schüchterne Menschen, die nicht einmal einen ordentlichen Handschlag hinbekommen, verlangen ihrer Umwelt (meist, ohne es zu wollen) eine ganze Menge Rücksicht ab. Der andere wird nicht wissen, wie er mit dieser Person umgehen soll, ohne ihre Seele in gleicher Weise zu erdrücken wie zuvor das kalte Händchen. Und während er also sein Verhalten anzupassen und schön zu feilen versucht, kann Mister oder Misses Kraftlosepfote einfach weitermachen wie bisher: verhuscht, verängstigt und unendlich schutzbedürftig.
  Gesprochene Worte:
  „Freut mich, dich kennenzulernen!“
  „Mbnso."
 
  2. DIE HEISSE KARTOFFEL 

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


  Was passiert?
  Die heiße Kartoffel ist eine halbherzige Umarmung – und dadurch viel schlimmer als gar keine oder eine allzu feste. Sie kann ein- oder beidseitig ausgeführt werden. Mindestens einer der beiden sich Begrüßenden also umfasst den anderen so, als sei er zum Verbrennen heiß oder aus ganz dünnem Glas gegossen: Er legt die Arme um den anderen, ohne dass diese den Körper berühren, lässt die Hände kurz auf dem Rücken ruhen und hält den größtmöglichen Abstand zwischen seinem Brustkorb und dem anderen. Die umarmende Bewegung wird sehr langsam, das auflösende Bewegung dagegen beinahe ruckartig ausgeführt.
  Wer trifft hier aufeinander?
  Wenn beide die heiße Kartoffel machen: zwei, die Nähe scheuen, aber sich verpflichtet fühlen, sie anderen zu geben. Wenn nur einer die heiße Kartoffel macht: einer, der immer umarmt und einer, der es hasst, sich aber ergibt. Der freudige Umarmer verdreht innerlich die Augen und sein Begrüßungspartner spürt das, obwohl er ihn nicht mal richtig berührt.
  Gewinner und Verlierer:
  Natürlich gewinnt der, der richtig umarmen kann. Im Gegensatz zum Schlaffi kann die heiße Kartoffel auch mit unfairen Mitteln bekämpft werden, indem man den anderen einfach einen Moment zu lange ganz fest an sich drückt, ihm ein paar Mal kräftig den Rücken klopft und sagt „Na los, sei mal nicht so steif!“ Der Verlierer ist zu bemitleiden, weil Umarmungen für Offenheit stehen und Offenheit Verschlossenheit sticht. Wenn er nicht lernt, sich gegen Umarmungen zu wehren, muss er sich wohl oder übel jemanden suchen, an dem er das kräftige Zupacken, Ranziehen und Herzen üben kann.
  Gesprochene Worte:
  „Hey, schön, dich endlich mal wieder zu sehen. Wie geht’s dir, was machst du???“
  „Jo. Mh. So ganz okay alles.“
 



  3. DAS HANDGEMENGE

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


  Was passiert?
  Das Handgemenge entsteht, wenn einer umarmen, der andere aber nur die Hand schütteln will. Meist setzt sich am Ende eine Variante durch. Trotzdem gibt es diesen schwebenden Moment, in dem einer die Arme ausbreitet, der andere quer durch den Raum zwischen den beiden Körpern hindurch nach der Hand greift und diese knapp verpasst, weil sein Gegenüber schon mit der Vorwärtsbewegung begonnen hat, die eine Umarmung erfordert. Manchmal wird dann der Unterarm ergriffen, der Ellebogen umfasst, oder der Umarmende schwenkt in eine Handschüttel-, der Handschüttelnde aber in eine Umarmbewegung und ein paar schreckliche Sekunden lang weiß niemand, wohin mit seinen Händen, Armen und Blicken.
  Wer trifft hier aufeinander?
  Das Handgemenge kommt zumeist in Runden vor, in denen sich einige Leute besser kennen als andere: Man umarmt alle seine Freunde und steht schließlich vor dieser einen Person, die gerade bei einem der Freunde zu Besuch ist. Was tut man nun? Auch umarmen? Oder doch die natürliche Distanz wahren? Wie haben es die anderen gemacht? Hätte man doch hingesehen! Achtung: Selbst wenn in dieser Situation bei der Begrüßung noch die Hand geschüttelt wird, kommt es wahrscheinlich beim Abschied zum Handgemenge, weil man unterschiedlicher Meinung darüber ist, ob man nach drei Stunden am selben Tisch noch schüttelt oder schon herzt.
  Gewinner und Verlierer:
  Zunächst ist eigentlich immer derjenige der Sieger, der nur die Hand schütteln wollte. Dem anderen ist es peinlich, dass er gleich so forsch war. Manchmal verschlimmert der Schüttler aber die Situation, indem er „Okay, wir können uns auch umarmen“ oder „Ach, wolltest du mich umarmen?“ sagt. Dadurch, dass er die pantomimische Peinlichkeit mit Worten zu überspielen versucht, verliert diese nicht etwa ihren Schrecken, sondern breitet ihre nackte Grausamkeit vor aller Augen und Ohren aus – auch vor denen der Umstehenden.
  Gesprochene Worte:
  „Hallo, äh, hihi“
  „Hihi, ja, ähm“
  „Ähm“
  „Hallo!“
 
  4. DIE MISSVERSTANDENE NÄHE

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


  Was passiert?
  Wenn man sich schon weiter aufeinander zubewegt hat, als ein Handschlag es erlaubt, kann eigentlich nicht mehr viel schiefgehen. Denkt man. Doch eventuell setzt hier die missverstandene Nähe ein: Während der eine sich freundschaftlich an sein Gegenüber schmiegt, fasst der ihn an den Schultern und bemüht sich darum, seine Wange einmal rechts, einmal links hinzulegen und kleine Bussis in die Luft zu schicken. Der andere weiß gar nicht, wie ihm geschieht, bringt höchstens ein einzelnes ungeübtes Bussi zustande und schämt sich in Grund und Boden ob dieses ihm völlig fremden und in seinen Augen äußerst albern wirkenden Begrüßungsrituals.
  Wer trifft hier aufeinander?
  Meist Menschen unterschiedlichen Alters oder aus unterschiedlichen Milieus. Sie sind sich von Anfang an fremd und werden sich nach der Begrüßung noch fremder sein. Sich umarmen und sich Bussis geben ist vergleichbar mit zwei Dialekten, die zwar zur gleichen Sprache gehören, deren Sprecher sich aber nicht verstehen und sich darum belächeln.
  Gewinner und Verlierer:
  Es gewinnt die Bussi-Person, weil sie ihr Begrüßungsritual konsequent und kompromisslos durchsetzt, egal wo und mit wem. Noch dazu ist der Bussi-Unerfahrene oft jemand, der eigentlich die Hand geschüttelt hätte, an der Bewegung des anderen eine anstehende Umarmung abzulesen glaubte, sich kurz freute, so schnell und besonnen reagiert und sich den offenen Armen hingegeben zu haben – und sich am Ende kleinlaut seinen Irrtum eingestehen muss.
  Gesprochene Worte:
  „Moin!“
  „Servus!“
 
  5. DER LUFTKUSS

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


  Was passiert?
  Erstmal sieht alles noch besser aus als zu Beginn der Version „Missverstandenen Nähe“: Man bewegt sich aufeinander zu, man fasst sich an den Schultern, und hurra, ja, beide wollen tatsächlich das gleiche, sie wollen Bussis machen! Erstaunlich lange geht alles gut – bis der eine nach zwei Bussis aufhört und schon einen Schritt zurück macht, der andere aber mit einem dritten Zug rechnet und buchstäblich hängengelassen wird: Er schnellt mit gespitzten Lippen nach vorne und küsst ins Leere.
  Wer trifft hier aufeinander?
  Zwei, die sich gerne fein und erwachsen geben, vielleicht kommt einer aber auch bloß aus der Schweiz. Tatsache ist, dass sie sich eigentlich gut verstehen könnten, das Hängengelassenwerden beim Busseln aber eine der peinlichsten Begrüßungssituationen ist, die man sich vorstellen kann, weil man bei einem Luftkuss unfassbar blöde aussieht. Ärger beim Hängengelassenen ist also vorprogrammiert.
  Gewinner und Verlierer:
  Unzweifelhaft der mit zwei Bussis statt dreien. Er kann sich wegdrehen, er kann aber auch irritiert bis konsterniert gucken oder den anderen auslachen – es gibt da viele Möglichkeiten, sich als Sieger zu zeigen. Eine kleine Chance hat der Verlierer eventuell noch, wenn er selbstbewusst „Also bei uns macht man das so“ sagt und dem anderen damit mangelnde Weltmännischkeit vorwirft.
  Gesprochene Worte:
  „Hallo!“
  „Hal . . . Huch!“



Text: nadja-schlueter - Illustrationen: Katharina Bitzl

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