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Facebook hat ein Suizidwarnsystem eingeführt

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An Weihnachten 2010 postete Simone Back die letzte Status-Meldung ihres Lebens. "Habe alle meine Tabletten genommen, werde bald tot sein", schrieb sie. Von ihren 1048 Facebook-Kontakten verständigte niemand die Polizei oder den Rettungsdienst. Stattdessen sammelten sich über 100 Kommentare unter ihrer Nachricht, manche spotteten, jemand bezeichnete sie als "Lügnerin", andere spekulierten, ob es sich wohl um einen Bluff handele. Erst spät schalteten sich einige Kontakte in die Diskussion ein, die Backs Statusmeldung ernst nahmen und darum baten, dass in der Nähe lebende Freunde nach der Frau schauen sollten. Simone Back wurde am folgenden Tag tot in ihrer Wohnung aufgefunden.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Immer wieder tauchen bei Facebook Selbstmordankündigungen und auch weniger konkrete Postings auf, nach denen sich Netzwerk-Freunde Sorgen um die Verfasser machen. Nicht alle, aber viele Selbstmorde werden angekündigt. Fast immer jedoch gibt es auch zuvor Warnzeichen. Werden sie erkannt und ernstgenommen, könnten wahrscheinlich viele der allein hierzulande 10000 Suizide pro Jahr verhindert werden. Ein Stück in dieser Präventionsarbeit will nun Facebook übernehmen.

Um zu verhindern, dass sich tragische Fälle wie der von Back wiederholen, gibt es deshalb seit einiger Zeit eine Funktion bei Facebook, die von den Medien zunächst oft schmissig als "Suizidbutton" bezeichnet wurde. Entgegen der Assoziationen, die der Ausdruck hervorruft, handelt es sich aber weder um eine Methode, mit der man sein Profil ins digitale Nirwana schicken könnte, noch um einen Knopf. Tatsächlich verbirgt sich dahinter ein Formular, ziemlich gut versteckt im Hilfemenü des Netzwerks. Wer allerdings "Selbstmord" in die Suchmaske eintippt, wird direkt auf das Angebot verwiesen. Wenn man nach dem Posting eines Facebook-Freundes befürchtet, dass er sich etwas antun könnte, dann kann man ihn über dieses Formular als selbstmordgefährdet melden. Nach einer Prüfung durch einen Facebook-Mitarbeiter bekommt der Freund dann von Facebook eine Nachricht, in der er aufgefordert wird, sich Hilfe zu holen. Die Nummer von der Telefonseelsorge und der Nummer gegen Kummer vom Deutschen Kinderschutzbund sind beigefügt.

In anderen Ländern sind ähnliche Facebook-Angebote schon länger freigeschaltet. Im März 2011 startete in Großbritannien und Irland ein Warnsystem, in den USA und Kanada gibt es ein Angebot seit Dezember. In den Staaten kooperiert Facebook mit der nationalen Suizidprävention "Lifeline" und bietet dort auch einen Online-Chat mit einem Beraten. Facebook ist nicht der erste Big Player im Netz, der sich um Suizidgefährdete sorgt. Sucht man bei Google nach "Selbstmord", dann zeigt die Suchmaschine als erstes Ergebnis ebenfalls die Nummer der Telefonseelsorge an.

Dass Facebook ein Warnsystem eingeführt hat, finden Mitarbeiter aus der Suizid-Prävention gut und sinnvoll. "Es ist ein niedrigschwelliges Angebot zu helfen", lobt Laura Werling vom Verein "Freunde fürs Leben", der über Suizid und Depressionen aufklärt. Aber sie hält das Angebot für "ausbaufähig". Bei ihrer Arbeit erlebe sie immer wieder, dass sich Facebook-Mitglieder hilflos fühlen, wenn sie befürchten, dass sich einer ihrer Kontakte etwas antun könne. "Wenn man diese Belastung abgeben und sinnvoll weiterleiten kann, dann werden in Zukunft hoffentlich nicht mehr tausend Menschen die Ankündigung eines Suizidversuchs lesen, aber nichts unternehmen", sagt Werling.

Der Online-Seelsorger Uwe Holschuh von der Arbeitsgemeinschaft Christliche Onlineberatung sieht das ähnlich. Er findet es besonders wichtig, dass Suizidgefährdete auf die vorhandenen Hilfsmöglichkeiten hingewiesen werden: „Wir haben ja eigentlich ein ziemlich gutes soziales Netz und ich fände es schade, wenn ein Jugendlicher davon nichts weiß.“

Wenn Facebook jetzt zum Lebensretter mutiert, wäre das also nicht endlich einmal eine begrüßenswerte neue Funktion des Netzwerks? Ja – aber tatsächlich hätte man sie kaum sperriger umsetzen können. Hat man das Formular gefunden, überlegt man es sich wohl zwei Mal, ob man einen Freund meldet. Denn es ist nicht ganz klar, was für Konsequenzen die Meldung für den Betroffenen hätte. Im Formular heißt es: „Falls du eine direkte Selbstmorddrohung auf Facebook siehst, informiere bitte umgehend die Strafverfolgungsbehörden oder eine Selbstmordhotline.“

Auch Skeptiker gibt es – Datenschützer natürlich. Denn wieder einmal werde bei dem Suizidwarnsystem nicht klar transparent, ob Facebook die Daten speichere und wie das Netzwerk sie möglicherweise verwerte, kritisiert Marit Hansen. Sie ist die stellvertretende Datenschutzbeauftragte von Schleswig-Holstein und gehört zu den profiliertesten Facebook-Kritikern hierzulande. Sie hat auch sehr konkrete Befürchtungen, wie Facebook die sensible Information benutzen könnte, dass jemand selbstmordgefährdet ist: Es sei denkbar, „dass Facebook genau für diejenigen, die in einer Lebenskrise stecken, entsprechende Werbung schaltet oder auch entsprechende Werbung nicht schaltet, also etwa keine Lebensversicherungen bewirbt“, sagt Hansen.

Das Unternehmen selbst könnte solche Bedenken aus dem Weg räumen, gibt sich aber wie gewohnt verschlossen. Bei der deutschen Pressestelle von Facebook werden Anfragen, was gespeichert wird und wie lange, wenn ein Nutzer einen Suizidverdachtsfall meldet, ignoriert. Auch zu den Erfahrungen, welche das Netzwerk mit der Funktion in den Ländern gemacht hat, wo es sie schon länger gibt, schweigt Facebook.

Mancher mag solche Bedenken in Sachen Datenschutz übertrieben finden, geht es doch darum, Leben zu retten. Als Facebook-Nutzer sollte man sich aber trotzdem fragen, ob man im Falle einer Selbstmorddrohung nicht selbst mit seinem Freund oder Bekannten Kontakt aufnimmt, statt es Facebook zu überlassen. Die Nummer der Telefonseelsorge kann man ihm ja trotzdem noch geben. Der Fall Simone Back zeigt allerdings leider, dass nicht in jedem Bekanntenkreis viele dazu bereit wären.

Text: juliane-frisse - Foto: tiefpics / photocase.com

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