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Hemd versus Wohlfühlklamotten

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Ob BWLer, Informatiker oder Germanist: Häufig lassen sich Studenten anhand ihrer Kleidung ihrem Studium zuordnen. Dass das nicht nur individuelle Wahrnehmung ist, zeigt ein wissenschaftliches Masterprojekt von Amra Kokanovic, 26, und Stefan Depenbrock, 23. Beide studieren Sozialwissenschaften an der Universität Düsseldorf.
 

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



 jetzt.de: Amra, Stefan, was habt ihr heute an?
  Amra: Also ich trage heute eine blaue Jeans, Moonboots der Marke Ugg – es ist schließlich kalt –, einen weißen gestreiften Pulli und einen Burberry-Schal.
  Stefan: Ich bin eher etwas schlichter angezogen; ganz unkonventionell mit schwarzem Pulli, blauer Hose und braunen Schuhen.
 
Tragt ihr damit den typischen Sozialwissenschaftler-Look?
  Stefan: Also Amra auf keinen Fall. Sie sieht zu modisch aus. Ich hätte sie vermutlich eher zu BWL geordnet.
  Amra: Das liegt aber daran, dass ich seit mehreren Jahren nebenher in der Modebranche arbeite. Dafür entspricht Stefan dem Kleidungsstil der Sowis – die ziehen sich meist modebewusster an als andere Geisteswissenschaftler.
 
Ihr untersucht in eurer Projektarbeit den Kleidungsstil eines Studenten in Bezug auf sein Studienfach. Wie seid ihr auf das Thema gekommen?
  Amra: An unserer Uni wird viel über diese äußeren Klischees geredet. Wir haben aus Spaß versucht, Studenten ihren Fächern zuzuordnen. Als wir erfuhren, dass es zu diesem Thema kaum wissenschaftliche Untersuchungen gibt, entschieden wir uns, dem Phänomen „Studenten eines Faches ziehen sich ähnlich an“ auf den Grund zu gehen.
  Stefan: Dabei geht es uns nicht darum, einfach Klischees zu bestätigen, sondern vor allem herauszufinden, wonach sich die Kleidungsnormen richten.
 
Ihr habt den vergangenen Monat damit verbracht, Studenten zu fotografieren und zu befragen. Was ist euch aufgefallen? Gibt es Typen?
  Amra: Es ist zwar unheimlich schwer, Menschen zu typologisieren, aber es lassen sich Gemeinsamkeiten feststellen. Zum Teil haben sich Klischees bestätigt. Ein Wirtschaftsstudent ist leicht erkennbar: Er trägt Polohemden und bindet seinen Pulli um die Schultern. Ansonsten gehören Jeans – zum Teil auch bunte – und Umhängetaschen zum Wirtschaftsstudenten. Schwierig wird es, wenn man ihn mit dem Juristen vergleicht. Die beiden ähneln sich sehr. Dabei sind Juristen aber meist etwas dienstlicher. Hemden ersetzen bei ihnen die Poloshirts.
 
Was ist mit dem Geisteswissenschaftler?
  Stefan: Der sieht weniger so aus, als wäre sein Studium schon eine Berufssituation. Studien- und Freizeitkleidung ist dieselbe. Die Klamotten sind lässiger, es kommt nicht auf Marken, sondern viel mehr auf Gemütlichkeit an. Und zwischen den Studenten dieses Fachs gibt es mehr Unterschiede als zwischen Studenten anderer Fakultäten. Die höhere Individualität einzelner ist hier Teil der Norm.
 
Welches Studienfach sticht am meisten heraus?
  Stefan: Wir haben an unserer Uni das wunderbare Fach „Modernes Japan“; dessen Studenten kleiden sich ziemlich verrückt. Viele haben nur schwarz an und manche orientieren ihre Looks tatsächlich an irgendwelchen Mangapersönlichkeiten. Sie sehen dann aus wie japanische Comichelden. Welche genau, kann ich nicht sagen, weil ich mich in der Szene nicht auskenne. 

Woher kommen die unterschiedlichen Kleidungsstile in bestimmten Studienfächern?
  Stefan: Der Kleidungsstil einzelner Fächer hat viel mit der durchschnittlichen sozialen Herkunft seiner Studenten zu tun. Der Theorie zufolge möchte ein Mensch diese über seine Klamotten ausdrücken. Ein Pelzmantelträger will schließlich zeigen, dass er Geld hat.
 
Aber ziehen sich Studenten nicht eher gemäß dem Stand an, dem sie später mal entsprechen möchten?
  Amra: Der zukünftige soziale Status, also die Karriereorientierung des Studenten ist ein wichtiger Punkt. Wie wichtig ihm später einmal gesellschaftliche Stellung und Einkommen sind, kommunizieren er schon heute durch die Kleidung.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Amra Kokanovic, 26, und Stefan Depenbrock, 23. Beide studieren Sozialwissenschaften an der Universität Düsseldorf.

Sind Geisteswissenschaftler also weniger materialistisch?
  Stefan: In gewisser Hinsicht schon. Sie trennen Studium und Beruf. Eine Selbstinszenierung auf dem Campus würde ihre Karrierechancen nicht verändern. Sie nehmen ihr Studium ganz anders wahr und studieren ihre Fächer nicht, um später in eine Führungsposition zu gelangen, sondern aus einer anderen Motivation. Zum Beispiel aus Interesse.
 
  Spiegelt der Kleidungsstil in einem Fach den Charakter seiner Studenten wider?
  Stefan: Ich würde sagen, dass jedes Fach einen bestimmten Kleidungsstil und einen dominierenden Charakter hat. Man muss natürlich stark pauschalisieren, aber uns ist während des Projektes oft aufgefallen, dass die adrett gekleideten Juristen oder BWLer oft strebsamer waren.
  Amra: Sie hatten eigentlich nie Zeit, an unserer Befragung teilzunehmen. Sie mussten immer ganz schnell in die Bibliothek, waren gestresst. Philosophen sind da lässiger. Sie konnten immer aufschieben, was sie eigentlich geplant hatten zu tun.
 
Warum wollen wir so sein wie die anderen unseres Faches?
  Stefan: Es ist eine Art Gruppenzwang. Ein sozialer Druck. Wer etwas ganz anderes trägt als die anderen, riskiert, nicht akzeptiert zu werden. Kleidung ist eine Konvention. Die Gesellschaft definiert, was an welchem Punkt angemessen ist. Das Nichteinhalten dieser Konvention wäre eine Provokation. Die Gruppe hätte das Gefühl, der Einzelne fühle sich überlegen.
 
Bedeutet das, Studenten verlieren im Laufe ihres Studiums an Individualität?
  Stefan: Die Frage ist, ob es überhaupt je tatsächliche Individualität gab. Es ist nur Spekulation meinerseits, aber ich denke, dass Kinder bereits in der Schule ihre Kleidungsstile einander anpassen. Jeder sucht immer nach einer Bezugsgruppe und deren Kleidungsnorm wird dann auch bewusst oder unbewusst akzeptiert.
 
Die erste Phase eures Projektes, das Fotografieren und die Umfrage, ist vorbei. Wie geht es weiter?
  Amra: Im zweiten Teil kommt nun eine Onlinebefragung. Wir zeigen Testpersonen an einer anderen Universität die Fotos der bisher interviewten Studenten und lassen sie raten, welches Fach der jeweilige Student studiert und welchen sozialen Hintergrund er hat.



Text: lena-niethammer - Foto: Macavity/Photocase.com

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