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Hemingway für Dummies

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„Creative Writing“ klingt komisch. Man stellt sich Genies und Hausfrauen vor, die erotische Experimentallyrik oder grauenhafte Pferderomane in Volkshochschulkurse schleppen. Wo sie dann hoffen, dass sie ihre Texte mit ein bisschen Rumstreichen und Umstellen Bestseller werden, weil sie glauben: Schreiben kann jeder lernen.

Peinlicherweise will ich das selber glauben. Meine Festplatte ist voll mit Texten und, wenn ich ehrlich bin, irgendwann möchte ich schon etwas davon veröffentlichen. Bloß stimmen in den Geschichten, die ich zurzeit schreibe, die Anschlüsse oft nicht, die Dialoge holpern und die Helden sind immer ziemliche Mädchen. Übel. Kann man da nicht was machen? Meine Hoffnung darauf reicht immerhin für einen Anmeldeschein. Er ist für das Seminar „Kurzgeschichten“, das die Münchner Volkshochschule anbietet. Das Seminar dauert ein Wochenende und kostet 67 Euro. Für mehr bin ich zu skeptisch.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Die Volkshochschule am Harras ist leider kein Musentempel, sondern ein hässlicher Nachkriegsbau. Trotzdem wird im Kursraum bereits bedeutungsvoll in Notizbücher gekritzelt, als ein Herr im Pullunder eintritt, und ein Namenschild aus einem Reisekoffer holt. „Helmut Schmid“ steht drauf.

Wir sind zu acht: Sechs Frauen und zwei Männer. Beide Männer sind um die vierzig und Ingenieure, von den Frauen sind vier jünger und haben etwas Geisteswissenschaftliches studiert. Zwei könnten vom Alter her Hausfrauen sein (sind sie dann aber nicht). Herr Schmid stellt die verschiedenen Typen von Kurzgeschichten vor. Dass wir anschließend zwei Beispieltexte auf Personal, Kohärenz und Dialogführung hin analysieren, hat etwas von Proseminar.

Dann – wir haben schon mit den Hufen gescharrt – dürfen wir endlich schreiben. In nur fünfzehn Minuten sollen wir ein Szenario für eine Pointengeschichte entwickeln. Ich komme auf eine Frau, die über einer älteren Dame wohnt, die dauernd „Miezi“ ruft. Die Frau stellt sich lauter Katzenomaszenarien vor, bis es eines Tages einen Rohrbruch gibt und die Wohnung der älteren Dame geflutet wird. Die beiden lernen sich kennen, es stellt sich heraus, dass es gar keine Katze gibt. Als ich mein Konzept der Gruppe vorstelle, wird klar, dass ich nicht weiß, warum die Frau „Miezi“ ruft. Peinlich. Die anderen waren schlauer und haben Szenarien fertiger Kurzgeschichten genommen. Mitunter Hochdramatisches, aber eine Affenmutter mit Jungem, die den Safaritouristen ihre Brücke zum Wildtierpark blockiert, ist auch dabei. Kritisiert wird erst einmal nur vorsichtig und nach einem ausführlichen Lob. Vergisst jemand das Loben, gibt es verärgerte Blicke.

Herr Schmid liest Hemingway vor: „Mr. und Mrs. Elliot gaben sich die größte Mühe, ein Kind zu bekommen. Sie versuchten es so oft, wie es Mrs. Elliot aushalten konnte.“ So hart, wie die Geschichte anfängt, geht sie weiter: Natürlich hat Hemingway alles richtig gemacht. Wir sind jetzt ziemlich eingeschüchtert und froh über die Mittagspause.

Anschließend gibt es neue Zettel. Diesmal sind es Anfänge von Kurzgeschichten, von denen wir einen aussuchen und weiterschreiben sollen. Ich nehme den, in dem ein „Don“ jeden Morgen in den Briefkasten späht, in der Hoffnung, ein Brief von „ihr“ könne darin sein, was aber nie der Fall ist. Als ich am nächsten Morgen vorlese, wie der sensible Don der flatterhaften Charlotte brieflich seine Liebe gesteht, ist mir das unangenehm. Die Gruppe findet die Geschichte lustig geschrieben, meint aber, vom Plot her wäre mehr drin gewesen.  

Die anderen haben auch Textprobleme: Einem der Ingenieure sind mehrere Unplausibilitäten in seine AIDS-Trauerfeier gelaufen, der andere hat eine ellenlange Vorgeschichte und ein massives Plusquamperfekt-Problem. Figuren aus tragischen Liebesgeschichten bleiben vage und Immobilienhändler labern viel zu lange. Dass wir jetzt, am Ende des Wochenendes, sehr direkt kritisieren und Verbesserungsvorschläge bringen können, ist schön.

Und dass Herr Schmid im Anschluss Wettbewerbsausschreibungen austeilt, auch. Walter-Kempowski-Literaturpreis, steht da. 1. Preis: 6.000 Euro. Für eine Kurzgeschichte mit maximal fünf Seiten zum Thema Familie. Mitmachen darf: jeder. Es wollen natürlich: alle. Unsere Szenarien entwickeln wir noch gemeinsam. Dann ist es fünf und der Kurs ist vorbei.

Die Geschichte habe ich gestern abgeschickt.

Text: therese-meitinger - Bild: photocase.com/zettberlin

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