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„Hier ist wenigstens das Geld“

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Patrick Mohr, 28, ist an Aufmerksamkeit gewöhnt: Im Sommer dieses Jahres sorgte er auf der Berliner Modewoche für einen Eklat, weil er Obdachlose für seine Modenshow gecastet hatte. In seiner Jugend zeigten die Leute mit den Finger auf den Sonderling. Am Donnerstag stellt der ehemalige Esmod-Schüler seine neue Jeans-Kollektion in den Räumen des alten P1 am Haus der Kunst aus. jetzt.muenchen sprach mit ihm über Jugend auf dem Land und das Leben in einer viel zu sauberen Stadt, in der das Geld zuhause ist. jetzt.muenchen: Du bist in einem kleinen Dorf in der Nähe Rosenheim aufgewachsen. Denkst du gerne an die Zeit zurück? Patrick Mohr: Ich denke gerne an die Landschaft und an meine Familie zurück. Aber ich hatte damals eine sehr schwere Zeit – sowohl in der Grundschule, in der Realschule als auch während der Ausbildung. Weil du ein Außenseiter warst? Patrick Mohr: Ja. Auf mich haben alle gezeigt, ich wurde gehänselt. Außer meinem besten Kumpel, der auch mein Nachbar war, hatte ich niemanden. Ich war alleine. Niemand wollte mit mir etwas zu tun haben und ich mit niemanden von denen. Als Jugendlicher auf dem Land neigt man oft dazu, die Großstadt zu glorifizieren. Welche Vorstellung hattest du damals von München? Ich weiß noch genau, als ich mit meinem ersten Auto, einem uralten Opel Corsa, nach München gefahren bin. Ich stand am Isartor und wusste einfach nicht, wie ich nach Schwabing komme. Ich bin zwei, drei Stunden lang herumgefahren und habe die Leopoldstraße nicht gefunden! Für mich war München wie Tokio oder New York. Aber mei, irgendwann sieht man immer dieselben Leute und irgendwie passiert auch immer dasselbe. Dann weiß man, dass diese Stadt nicht groß ist. Du bist dann nach München gezogen, um auf die Modeschule Esmod zu gehen. Hat dich die Stadt mit offenen Armen aufgenommen oder hast du dich eher fremd gefühlt? Ich hatte schon Probleme, ich kannte niemanden und war wieder ein Einzelgänger. Der Knoten ging dann irgendwann auf, als ich begann, eine Vision zu entwickeln und selbstbewusster zu werden. Aber noch bevor ich nach München zog, bin ich jahrelang gependelt. Ich wollte immer ins P1.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ins P1? Ja, ich hatte dort eine ganz intensive Zeit. Ich war Model damals, hatte lange blonde Haare und trug nur Dolce&Gabbana und solche Sachen. Ich hatte nie Kohle dabei, aber für mich war es das Größte vom Türsteher durch die Schlange nach vorne gewinkt zu werden. Irgendwann gehörte ich dann zum Stammpublikum. Was musstest du dafür tun? Ich war hartnäckig. Auch unter der Woche bin ich in den Laden gegangen und habe die ganzen Angestellten kennengelernt. Heute kann ich mir das nicht mehr vorstellen. Beim besten Willen kann ich mich damit nicht mehr identifizieren. Wie kam es zu dieser Wandlung? Das kam während des Studiums. Für mich zählen diese Oberflächlichkeiten nicht mehr. Es ist mir egal, was du hast, wenn ich mit dir rede. Ich will etwas von dir kennenlernen. Präsentier mir deine Seele! Die Leute, die ins P1 gehen, wollen etwas anderes. Natürlich ist die Frage berechtigt: Warum mache ich diesen Event jetzt im P1? Aber diese Leute sind potentielle Kunden für mich. Die Leute, die dort hingehen, haben Kohle und wollen neue Sachen. Meine Jeans sind kommerzielle Produkte. In einem Wochenmagazin wurdest du als Protagonist des neuen, coolen Münchens vorgestellt. Erlebst du eine Veränderung der Stadt in den letzten Jahren? Ich bin eh nicht der Typ, der in Bars, Cafes oder Clubs geht, deswegen kann ich dazu nichts sagen. Aber ja, in München passiert schon einiges, trotzdem bleibt es eine kleine, große Stadt. Ich versuche, eben selbst etwas zu bewegen. „Berlin war erst der Anfang. Bis ich 30 bin, möchte ich eine eigene Modenschau auf der Fashion Week in Paris haben“, hast du in einem Interview gesagt. Du bist 28. Kannst du dir vorstellen, in der Stadt zu bleiben? Ich werde hier bleiben. Darüber habe ich lange nachgedacht: Ich fühle mich hier wohl, das ist meine Homebase und es hat private Gründe. Weil man hier mehr „in der Spur“ ist? Ja. Wenn ich morgen nach Berlin gehen würde, wäre das die größte Katastrophe. Eine Katastrophe? Weil die Stadt viel zu groß ist. Die Leute sind mir zu wenig produktiv. Sie schwätzen alle rum, aber Kohle verdient keiner von denen. Hier ist wenigstens das Geld. Hier ist es leichter aufzufallen. . . Mich schauen die Leute eigentlich überall komisch an. Sogar heute, wo ich – für meine Verhältnisse – sehr spießig angezogen bin. Aber in München fällst du natürlich schneller auf, weil es weniger Verrückte gibt. Das gilt auch beruflich: Angenommen, dein Traum ist es, Modedesign zu studieren, dann hast du es hier leichter. Dort will es jeder zweite schaffen und hier vielleicht nur jeder fünfte. Die Konkurrenz ist nicht so hart. Was brauchst du an äußeren Eindrücken, um kreativ zu sein. Ich muss nur ab und zu reisen, das genügt. Es gibt Momente, in denen in meinem Kopf etwas passiert. So eine Phase, in der meine Ideen entstehen, dauert etwa ein, zwei oder drei Stunden. Aber es kommt von alleine, ich kann es nicht erzwingen. Irgendwas inspiriert mich plötzlich und ich will es in Mode umsetzen. Die Stadt wird oft wegen ihrer Sauberkeit, ihrer Sterilität kritisiert. Du machst mit deiner Mode etwas völlig anderes. Entsteht das aus dem Kontrast zum Stadtbild? Wenn die Leute mich anschauen, denkt keiner, ich komme aus München. Sie denken: So wie der aussieht, kommt er vielleicht aus Berlin, wahrscheinlich aber aus Skandinavien. München ist so sauber, ich denke mir manchmal, es könnte ruhig ein bisschen dreckiger sein. Es ist sicher, du kannst hier um vier Uhr nachts auf die Straße gehen und dir passiert nichts. Eigentlich ist es schon langweilig. Aber dass der Kontrast mich inspirieren würde? Eigentlich nicht. Das Landleben ist großartig. Mein Traum ist es, einen uralten Bauernhof zu kaufen und dort ein Atelier einzurichten, in dem ich mit meinen Angestellten arbeite und wohne.

Text: philipp-mattheis - Foto: Juri Gottschall

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