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Alles, was du brauchst, steckt in einem Rucksack im Bauch einer Boing 747. Alles, was du wirklich brauchst, steckt in einem Beutel um deinen Bauch: Eine Kreditkarte und ein Reisepass. Nie zuvor in deinem Leben warst du so frei und wahrscheinlich wirst du nie wieder so frei sein. Nach dieser Reise wirst du ein anderer sein, und ja, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit, auch ein besserer, weil du dann Armut gesehen haben wirst. „Chicken or Pasta?“, fragt dich eine sanfte Stimme. Für einen kurzen Moment wird dir etwas mulmig. Etwas hast du vergessen, etwas, das dir fehlen wird und weshalb du Monate später doch froh sein wirst zurückzukehren. Dann wird es dunkel und das einzige, was deine Gedanken noch im Zaum hält, ist der Hollywood-Spielfilm auf dem Bildschirm in deinem Sitz. Ein Netz aus Trampelpfaden und Hotels umspannt den Planeten. Man nennt dieses Netz den „Banana-Pancake-Pfad“, weil all die Leute, die auf ihm unterwegs sind, etwas gemeinsam haben. Australiern, Deutschen, Israelis, Spaniern, Franzosen, Kanadiern, Polen und Brasilianern schmeckt Bananenpfannkuchen. Deshalb findet sich dieses Gericht auf den Speisekarten kleiner Herbergen in Thailand, Chile, China und Neuseeland. Was diese Leute außerdem gemeinsamen haben, ist das Alter, das Wenige Geld und die Tatsache, dass sie viel Zeit haben. Du bist alleine. Zum ersten Mal in deinem Leben machst du keine Kompromisse. Du wirst Momente der Einsamkeit erfahren und über den Unterschied zwischen Alleinsein und Einsamkeit nachdenken. Am Ende wirst du beides kennen und vor keinem mehr Angst haben. Dir hängt der Schlaf noch in den Knochen, als sich die Türen des Flughafens von Bangkok, Delhi oder Mexico City öffnen. Du läufst gegen eine Wand aus schwüler, stickiger Luft. Zwei Tage später wirst du Flipflops tragen, obwohl du diese Schuhe immer so lächerlich fandest. Du blätterst in deinem Reiseführer, der dir zur Bibel werden wird und den du später genau deswegen hassen wirst. Schüchtern blickst du zur Seite und erkennst zwei Menschen, die ebenfalls in einem Buch blättern. Für einen Moment überlegst du, ob du sie ansprechen sollst. Dann steigst du in ein klimatisiertes Taxi und versuchst dem Fahrer klarzumachen, in welches Hotel du willst. „Yes, yes, Mister“, sagt der kleine Mann grinsend, fährt los und bringt dich zu einem Hostel, dessen Besitzer der Bruder der Frau seines Cousins ist. Zwei Stunden später sitzt du geduscht in einem Café, das man zu Hause „Hippieladen“ nennen würde. Um dich herum: Menschen in sackartigen Hosen, mit Tüchern in den Haaren und Flipflops an den Füßen. Sie tragen T-Shirts mit dem Logo einer lokalen Biermarke des Nachbarlands. Alles hängt, lungert und lächelt. Mit diesen Menschen wirst du die nächsten Monate verbringen. „Easy“, von nun an wird alles so easy, dass du in ein paar Monaten nicht mehr verstehen wirst, warum es daheim so kompliziert sein muss. Du bist auf dem Banana-Pancake-Pfad angekommen. Der Kontakt zu den Einheimischen beschränkt sich auf Kellner, Taxifahrer und bettelnde Kinder („You have five Rupees, Mister?“).

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Es gibt einen Unterschied zwischen Auslandsaufenthalten und Reisen. Ein Erasmus-Jahr macht sich gut im Lebenslauf und nebenbei Spaß. Praktika im Ausland sind nützliche Trophäen für eine Bewerbung. Ein Jahr Arbeit im Ausland kann zu einem Karrieresprung führen. Reisen aber ist Selbstzweck und im Fortgehen steckt ein Rest Verweigerungshaltung, der so untypisch für die Nuller-Generation und ihre frühe Eichung auf Karriere ist. Wer auf eine lange Reise geht, hat keine Lust auf Konkurrenz und Karriere. Er sucht Hedonismus und sich selbst. Es funktioniert, weil das Preisgefälle zwischen der ersten und dritten Welt noch immer enorm ist. Eine Nudelsuppe in Vietnam kostet 50 Cent und um ein Jahr durch Indien reisen zu können, genügen 5000 Euro. Neben dem Besuch von Ruinen, stickigen Metropolen und Stränden bleibt genug Zeit, über sich selbst, die Welt und deren Sinn zu grübeln. Backpacker sind die Glückskinder des Westens auf ihrer Stippvisite in der Armut. Die wenigsten von ihnen verlassen den komfortablen Pfannkuchen-Pfad. Sie führen das Leben eines Stars, und lösen endlich das Versprechen der weltweit ausgestrahlten Superstar-Shows ein: ,Du stehst im Rampenlicht, du kannst es, du hast es verdient.‘ Im Nachtzug lernst du John kennen. „Where are you from? How long are you travelling? Where have you been?“ Smalltalk auf Reisen bleibt Smalltalk, aber anders als daheim interessieren dich die Antworten wirklich. Eine Mischung aus Einsamkeit und Offenheit treibt dich dazu, jeden Menschen anzusprechen, der dich interessiert. Nie triffst du auf Ablehnung. John kommt aus Australien, ist seit drei Jahren unterwegs und schwärmt für den Mondkalender der Mayas. Kaum eine Seite seines Passes, auf der nicht der Stempel eines Landes prangt. Er erzählt dir von den Ruinen von Tical, den Wellen von Bali und den Frauen in Kolumbien. Zwei Wochen reist ihr zusammen, teilt euch Hotelzimmer und Bambushütte, schlaft im selben Bett, um Geld zu sparen. Dass seine Dreads genauso riechen wie die trüben Kanäle Bangkoks, findest du nicht eklig. Du fragst ihn, wovon er lebt. Er sagt: Einmal im Jahr fliege er nach Australien, um dort für zwei Monate Mangos zu pflücken. Auf Reisen bastelt er aus Muscheln und Metall Schmuck, der dich an den Inhalt von Kaugummiautomaten erinnert. Aber John verkauft ihn an andere Reisende. Das Geld genügt, um das restliche Jahr unterwegs zu sein. Am Ende eurer Zeit tauscht ihr Email-Adressen auf und addet euch auf Facebook. Zwei-, dreimal schreibt ihr euch noch, dann habt ihr euch nichts mehr zu sagen. Du hast ohnehin schon so viele Email-Adressen: Von Ari aus Israel, die mit ihrem Entlassungsgeld aus der Armee durch Indien reist, von Hans aus Hamburg, der gerade sein Studium beendet hat und noch nicht arbeiten will oder von Miguel, dem Spanier, der den ganzen Tag bekifft war. Wahrscheinlich wirst du sie alle nie wiedersehen. Doch sie haben sich wie Kindheitserinnerungen in dein Gehirn gebrannt. Sie erinnern dich an ein Leben, von dem daheim keiner glaubt, dass es möglich ist. Seit fünf Monaten bist du jetzt unterwegs. Deine Haare sind lang und von der Sonne gebleicht, an deinem Handgelenk baumeln kleine Bänder und Kettchen und du trägst eine Hose, die eher einem Sack ähnelt, dafür aber auch bei 40 Grad im Schatten nicht an der Haut klebt. Wenn du dich langweilst, packst du deine Sachen und fährst an den nächsten Ort. Nichts und niemand hindert dich mehr daran, dich wohlzufühlen. Du hast dich an die Aufmerksamkeit gewöhnt, die man dir schenkt: Junge Asiatinnen sind der Meinung, du würdest Brad Pitt unglaublich ähnlich sehen. Die indischen Taxifahrer und Hotelbesitzer behandeln dich wie einen Kolonialherren. Die übrigen Rucksacktouristen halten dich für eine faszinierende Person – weil du der einzige bist, mit dem sie auf Englisch eine Konversation führen können, die über den Satz „You want Motorbike? No, thanks.“ hinausgeht. Du lebst das Leben eines Stars, für 20 Euro am Tag. Du würdest nicht zurück wollen, vermisstest du nicht deine Freunde. Es kann zur Sucht werden. Es gibt sie, die Leute, die nicht mehrzurückkehren. Fast alle tranken sie zuviel, waren zwar freundlich, aber irgendwie unfähig, längere Bindungen aufzubauen. Und obwohl sie komische Geschichten aus Russland und Indonesien erzählen konnten, schimmerten ihre Augen trübe. Das Geld ist aufgebraucht. Dir dämmert, dass die Scheine nicht nur aus Automaten herauskommen. Auf dem Landeanflug fallen dir die geometrisch exakten Linien der deutschen Felder auf. Du ahnst etwas von den Strukturen und dem Rhythmus, der dich daheim erwartet. Nach einem halben Jahr glaubst du, alles müsse sich daheim verändert haben, so wie sich alles in dir verändert hat. Dein dein bester Freund fragt: „Wie wars? Du musst alles erzählen“. Doch nach zehn Minuten erzählt er dir von seinem „krassen Absturz“ am Samstag. Deine Schwester gähnt, als sie das 57. Strandfoto sieht. Die Mädchen schauen dich nicht einmal mehr an. Als du einen Fremden in einem Café auf das interessante Buch ansprichst, das er gerade liest, murmelt er nur „Mhmm“. Du bist wieder daheim. Du kannst nicht mehr weg und das Wetter ist auch scheiße.

Text: philipp-mattheis - Illustration: Katharina Bitzl

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