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"Ich weiß zu schätzen, was ich heute habe"

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Auf seiner Facebook-Seite (1.562 Fans) sind noch die Glückwünsche zum Geburtstag zu lesen. Am 9. Juli vor 21 Jahren wurde Deniz Naki als Sohn türkischer Eltern in Düren geboren. Ende August startet er mit dem Aufsteiger FC St. Pauli in seine erste Bundesliga-Saison. Wir haben mit Deniz über den Reiz und das Image des traditionsreichen Hamburger Vereins gesprochen, der in diesem Jahr sein 100-jähriges Bestehen feiert und auch unter Menschen, die sich nicht für Fußball interessieren, viele Anhänger hat.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

jetzt.de: Deniz, nach außen steht der FC St. Pauli für Totenkopfflaggen, Astra-Bier und Kiez-Partys. Wie viel Spaß steckt wirklich im Club? Deniz Naki: Von außen sieht es vielleicht so aus, als wäre Pauli ein Partyverein, in dem alles etwas anders zugeht. Gerade mit der Lage des Stadions nahe der Reeperbahn. Aber hier passt alles zusammen. Ich hätte vor meinem Wechsel zu Pauli nie gedacht, dass man als neuer Spieler so empfangen werden und man schon nach einer Woche denken kann, man sei bereits seit Jahren dabei. Ich war bei Bayer Leverkusen, habe teilweise mit der ersten Mannschaft trainiert, auch bei Rot-Weiß Ahlen habe ich gespielt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es irgendwo einen Verein oder eine Mannschaft gibt, die so sehr zusammenhält wie wir bei Pauli. Dein Vereinsstolz hat sich aber schnell entwickelt . . . Natürlich! Ein gutes Beispiel dafür war unser Auswärtsspiel im letzten Jahr gegen Hansa Rostock. Ein brisantes Duell, fast wie ein Derby. Spiele gegen Rostock sind immer anders als die anderen. In diesem Spiel habe ich zum ersten Mal gemerkt, dass Pauli mir richtig am Herzen liegt. Besonders danach, als ich eine schwere Zeit hatte, standen alle Trainer, Spieler und Fans hinter mir und haben mich unterstützt. Ich wohne alleine in Hamburg, meine Familie lebt in Köln. Nach diesem Spiel habe ich gedacht: Ich habe hier eine zweite Familie. In diesem Spiel hast du nach einem Tor eine Kopf-ab-Geste vor der Rostocker Fankurve gemacht, später sogar noch eine Pauli-Fahne in den Rasen gesteckt. Dafür gab es eine Geldstrafe und drei Spiele Sperre. Kann der Stolz auf den Club gefährlich werden? Ja! Das, was ich da gemacht habe, bereue ich bis heute. Ich habe mich entschuldigt, aber trotzdem: So etwas darf nicht passieren. Ich hatte ein Blackout! Ich wusste gar nicht, was ich da in dem Moment tat, und was deswegen auf mich zu kommen könnte. Ich habe nicht an die Folgen gedacht. Man kann stolz auf Pauli sein und darauf, dieses Trikot zu tragen. Und man kann auf diese Superfans stolz sein. Aber man muss wissen, wo die Grenzen sind. Die habe ich in dem Spiel überschritten, das war nicht in Ordnung. In meiner Fußballerkarriere wird das nie wieder vorkommen. Nie wieder? Dabei hatte man sich schon ausmalen wollen, was du alles machen könntest, wenn ihr in diesem Jahr auch noch gegen den HSV und Bayern München gewinnen solltet … Meine Mitspieler und auch die Fans haben schon zu mir gesagt: Wir wollen gar nicht wissen, was passiert, wenn du ein Tor gegen den HSV machst! Aber ich kann wirklich garantieren, dass ein solcher Jubel nicht mehr vorkommen wird. Vielleicht etwas anderes, etwas Schönes. Etwas, das auch erlaubt ist. Generell kann man sagen, dass sich Fußballprofis – ob nun auf dem Platz oder später in Interviews –, kaum noch trauen, Emotionen zu zeigen. Würdest du dir wünschen, dass mehr Spieler ihre Gefühle und Gedanken auch rauslassen? Klar, darüber würde ich mich freuen! Es gibt Spieler – nicht bei uns –, die sich vor die Kamera stellen, und denen man sofort anmerkt, dass sie wütend sind und gerne mal was raus hauen würden. Aber stattdessen machen sie Politik! Mit Politik meine ich, dass sie nicht sagen, was sie wirklich denken und ihre Meinung für sich behalten. Die äußern sie dann oft hintenrum, und das finde ich nicht korrekt. Man kann doch direkt sagen, was man denkt. Auf der anderen Seite: Fußballprofi zu sein ist auch nicht einfach. Man steht ständig unter Beobachtung, und es schauen ja auch Kinder zu. Manchmal ist weniger auch mehr.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Du spielst bei Erfolgen der Mannschaft gerne den Entertainer und Vortänzer. Kamen diese Unterhaltungskünste erst mit dem Wechsel zu St. Pauli, oder warst du schon immer so? Ich war schon immer so. Auch in der Jugend von Bayer Leverkusen war ich immer derjenige, der die Leute zum Lachen bringen wollte. Ich bin ein Typ, der immer gute Laune in der Mannschaft haben will. Ich freue mich, wenn ich sehe, dass meine Mitspieler und auch die Fans über meine Späße lachen. Bei der Aufstiegsfeier zum Beispiel waren wir mit einem Bus unterwegs. Alle waren unten, nur ich stand oben auf dem Dach und habe unsere Flagge geschwenkt. So was macht mir Spaß! Ich passe aber auch auf, dass meine Kollegen nicht irgendwann sagen, der Junge ist bekloppt! Ich mache das alles nicht, um den Clown zu spielen, sondern um für Harmonie innerhalb der Mannschaft zu sorgen. Manchmal sagen mir die Jungs auch, dass ich mal etwas ruhiger sein soll, und dann schalte ich einen Gang zurück. Suchst du auch außerhalb des Platzes die Party? In St. Pauli gibt es ja reichlich Gelegenheiten, viele Bars und Clubs. Hält dich womöglich das harte Profi-Dasein davon ab, im Kiez öfter mal einen drauf zu machen? Nein. Ich gehe meinen Weg und habe ein klares Ziel vor Augen: Das ist Fußball. Partys und mit Freunden abhängen, das kommt danach. Ich gebe alles, um mehr Erfolg zu haben und mich richtig zu entwickeln. Und wenn ich dann mal in eine Diskothek gehe, ist es eine, die andere Spieler wohl nicht unbedingt besuchen würde. Ein Profifußballer würde ja erst mal nicht in einen Laden gehen, in dem das Niveau nicht so besonders hoch ist. Solche Läden sagen mir aber eher zu, als irgendwelche In-Diskotheken, wo nur Prominente sind. Das ist so, weil ich arm aufgewachsen bin. Ich komme aus Düren, das ist in der Nähe von Köln. Wir haben in einem Hochhaus gewohnt, davon gab es fünf, und dazwischen war ein Spielplatz, auf dem wir Kleinen immer Fußball gespielt haben. Was anderes kannten wir nicht. Mit 17 oder 18 habe ich dann die erste Diskothek besucht. Mein Leben war nicht einfach, ich musste hart arbeiten für das, was ich heute bin. Ich hatte keine Eltern, die gesagt haben: Hier hast du 100 Euro, dann kannst du mal einkaufen gehen. Ich musste Zeitungen austragen und Geld nach Hause bringen, damit es uns gut geht. Ich vergesse nicht, woher ich herkomme. Ich weiß, was ich früher hatte, und ich weiß es zu schätzen, was ich heute habe. Das Geld, das ich verdiene, teile ich mit meiner Familie. Was wäre, wenn in ein paar Jahren der FC Bayern München mit einem Millionengehalt locken würde? Würdest du dann ablehnen und sagen: St. Pauli forever! Ich habe es nie gesagt – und ich werde es auch nie sagen –, dass ich immer bei Pauli bleiben werde. Mein Ziel ist es, jetzt eine gute Saison zu spielen und mir einen Stammlatz zu erkämpfen. Und dass wir mit der Mannschaft die Klasse halten. Jeder Spieler weiß, wie gut er ist und wo er eine Chance hätte, zu spielen. Und was ist mit den Bayern? Ich glaube, dass wenn Bayern München kommen würde, ich nicht sagen würde: Okay, wenn ihr mir vier oder fünf Millionen bietet, komme ich zu euch! Das würde ich nicht machen. Was hätte ich denn davon, wenn ich so viel Geld verdiene, aber auf der Bank sitze und nicht glücklich bin? Es gibt Fußballer, denen es egal ist, ob sie spielen oder nicht. Hauptsache sie kriegen ihre Millionen. So ein Typ bin ich nicht. Ich will mein Geld verdienen und nicht auf der Bank sitzen und dafür Millionen kassieren. Ich denke an die Menschen, die jeden Tag acht Stunden in der Fabrik schuften und nicht mal einen Teil von dem verdienen, was Fußballspieler bekommen. Fußballspieler werden gut bezahlt, aber sie müssen auch was dafür tun. Es wäre ungerecht, wenn sich einer dahin setzen und gar nichts machen würde. Wie sieht es denn mit der Nationalmannschaft aus? Du bist Deutsch-Türke und hast bisher für die deutschen Jugendmannschaften gespielt, zuletzt für die U-21. Wenn du ein Länderspiel für die deutsche A-Mannschaft machst, darfst du nicht mehr für die Türkei auflaufen. Hast du dich schon für ein Land entschieden? Vor kurzem habe ich einen Anruf von der U-21-Mannschaft der Türkei bekommen. Ich habe ihnen gesagt, dass ich zurzeit nicht daran denke, für die Türkei zu spielen. Das war in der Phase nach der Aktion gegen Rostock, in der ich keine Einladung von der deutschen U-21 mehr bekommen habe. Ich kann nicht sagen, dass ich auf keinen Fall für die Türkei spielen werde. Ich kann aber auch nicht sagen, ich werde nicht für die deutsche A-Mannschaft spielen. Natürlich bin ich in Deutschland geboren, und natürlich spiele ich in einem deutschen Verein. Aber wenn ich Urlaub habe, fliege ich immer in die Türkei, dort habe ich Familie. Ich hatte ja auch Angebote von Galatasaray und Besiktas Istanbul. Es war viel Geld im Spiel, und hätte ich dort unterschrieben, würde ich so viel bekommen, wie ich es in Deutschland wahrscheinlich nie verdienen werde. Aber wenn ich jetzt in die Türkei gehen und dort nicht spielen würde, wäre ich nicht glücklich. Da verdiene ich lieber weniger und weiß, dass der Trainer an mich glaubt.

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