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Im Dirndl zu „Bobbi“, die keine Kleider mag - Dana geht nach NYC

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Am 13. März fliege ich für drei Monate nach New York, um ein Praktikum im Leo-Baeck-Institut für deutsch-jüdische Geschichte zu absolvieren. Bis vor zwei Monaten stellte ich mir die „Vorbereitungsphase“ eher als melodramatischen Fünfakter vor: Erster Akt: Ich berichte meinem Freund André weinend, dass ich die Heimat verlassen muss. André bricht weinend zusammen und droht, sich zu erdolchen. Zweiter Akt: Ich erzähle meinen Eltern vom Vorhaben. Sie sind unheimlich stolz Mein Vater denkt, ich werde Diplomatin. Dritter Akt: Meine Freunde schenken mir kleine Altare für mein Handgepäck. Außerdem geben sie mir seitenlange Einkaufslisten mit. Vierter Akt: Ich packe mein silbernes Besteck und meine Hüte ein. Ich streiche andächtig über ein Damasttaschentuch mit Andrés Initialen, bevor ich es zu meinen seidenen Unterröcken lege. André stürmt in die Kleiderkammer herein und erdolcht sich. Fünfter Akt: Meine Freunde stehen weinend am Hafen. Ihre weißen Taschentücher werden zu Flecken und lösen sich schließlich ganz auf, als der holzvertäfelte Luxusdampfer mehr Abstand zum Festland gewinnt. Leider gestaltete sich die „Vorbereitungsphase“ sehr prosaisch.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Dana übt das Urban-Sein schon mal für New York Meine Bewerbung schrieb meine Freundin Luisa, während ich für sie Apfelkuchen backte und derweil meine fröhlichen Assoziationen das Geräusch des Handrührgeräts erstickten. Motivation! Engagement! Professor! Frankfurt School! Ich schickte die Bewerbung zur Korrektur weiter an alle englischsprachigen Menschen, die ich kenne. Dann legte ich sie auf meinen Schreibtisch. Dort lag sie zwei Wochen, doch es verging kein Tag an dem ich sie nicht in die Hand genommen hätte und sanft über das schöne, glatte 120-Gramm-Papier strich und mir vornahm, mich morgen ganz bestimmt zu trauen, sie abzuschicken. Wochen später schickte ich sie tatsächlich ab. Ein paar Tage danach kam eine Zusage. Ich war sehr überrascht, dass man gerade mich für ein unbezahltes Praktikum in den Archiven des Leo-Baeck-Instituts ausgewählt hatte, dass man gerade mich tausende Nachlässe sortieren lassen wollte, dass man gerade mir eine Liste mit günstigen Wohnmöglichkeiten sandte, dass man ausgerechnet mir eine U-Bahn-Karte schenken wollte! Ich war sehr, sehr gerührt. Ein paar Tage später erhielt ich von der Archivleiterin eine E-Mail, in der sie mich noch auf den Dresscode hinwies: Keine Miniröcke, Piercings sind in Ordnung, Tätowierungen soll ich bitte verdecken (wofür hält die mich eigentlich?). Sie fügte folgenden Hinweis hinzu: Wir sehen aus wie bei „friends“, aber wir sind lustiger. Nächste Seite: Viele Fragen und komische Antworten


Der erste Schritt auf dem steinigen, Weg zum Auslandspraktikum war getan. Nun hatte ich trotz Stolz und Ehre noch viel Zeit, mir Sorgen zu machen. Meine Sorgen formulierte ich als Fragen. Wie spreche ich meinen Nachnamen aus, wenn ich mich vorstelle, ohne umlaut-untaugliche Amerikaner bloß zu stellen? Zahlt man „in solchen Ländern“ wirklich seinen Kaffee mit einer Kreditkarte? 3 Muss ich auch meine Unterarme enthaaren, um als gepflegter, metropolitischer Mensch zu gelten? Wäre es höflich, am ersten Arbeitstag im Dirndl zu erscheinen, um meine Kollegen in die Schönheit der bayerischen Kultur einzuweihen und meine eigene Weltoffenheit zu demonstrieren? Und viel wichtiger: Was ist noch mal ein Visum? Warum kriegt mein Freund eine Kreditkarte und ich nicht? Werde ich wegen dreitausend Euro weniger „monatliches Nettoeinkommen in Euro“ diskriminiert? Und auch: wo schlafe ich? Einen Monat brauchte ich zur Klärung dieser Sachverhalte: Ein Visum bekommt man, wenn man an der Grenze sagt, man reise ein bisschen umher in diesem schönen, demokratischen Land. Eine Kreditkarte bekommt man, wenn Papa seine hergibt (denn: Ja, man wird diskriminiert). Schlafen in New York ist eine Sache, der ich den zweiten Teil dieses Textes widmen muss: Die Liste mit Unterkünften, die mir mein zukünftiger Arbeit- und U-Bahnkartengeber schickte, enthielt vor allem Mädchenpensionate. Das klang sehr lustig, aber ich bin nicht katholisch/vor 17 Uhr zu Hause/gerne unter katholischen, früh heimkehrenden Frauen. Eine Bekannte legte mir eine Internetseite ans Herz. Dort fände ich sicher etwas. Ich suchte und fand abwechselnd WG-Zimmer in Harlem für 1200 Dollar oder kostenlose Zimmer, für die ich (weiblich, bis 30, attraktiv) lediglich abends in Unterwäsche putzen sollte und zusätzlich einmal pro Woche mit den (jungen, attraktiven, gut situierten) Hauptmietern schlafen müsste. Ich rief meinen Freund André an und er sagte: Mach doch was du willst, Alte! Irgendwann gab mir jemand Bobbis Emailadresse. Wenn ich ankomme, muss ich erst zwei Wochen auf der Couch im Wohnzimmer schlafen, da das Zimmer, das ich miete, noch von Valentina genutzt wird. Von Valentina übernehme ich auch den Job. Vielleicht hat sie ja auch noch ein paar Freunde oder Klamotten für mich. Bobbi ist 65 und hat eine Hundeschule. Ich rufe schwer begeistert meinen Freund André an, und erzähle ihm von einer Vision, in der ich mit rosa gefärbten Riesenpudeln an Bobbis Kuchentafel sitze und Erdbeersahnetorte esse, während mich unglaublich reiche und adrett zurechtoperierte New Yorkerinnen über den Verlauf des Zweiten Weltkrieges ausfragen. André sagt: Igitt, da stinkts bestimmt voll. Tage darauf schreibt mir Bobbi eine E-Mail: Sie sei übrigens gegen alle synthetischen Parfums allergisch. Ich rufe meinen Freund André an und sage, dass ich kein Deo und keine Creme benutzen kann, wahrscheinlich auch keine Zahnpasta. André sagt: Boah, dann stinkst du bestimmt voll. Ich frage Valentina, ob Bobbi gegen meine Zahnpasta allergisch sein wird. Valentina antwortet, die Allergie sei hauptsächlich Neurose und gegen mein Parfum allergisch wird sie vor allem, wenn ich nicht abspüle oder vergesse, Klopapier zu kaufen. Außerdem sagt sie, dass Bobbi keine Klamotten mag und deshalb auch oft keine trägt. Marie-Jeanne entgegnet: Besser als ein nackiger alter Opa, oder? Bobbi bittet mich, das Geld im Voraus zu überweisen. Da wir nicht in der Lage sind, die hochkomplexen Bankgeheimnummern auszutauschen, ruft mein Vater sie nach vier Emails und zwei dennoch hartnäckig rätselhaft gebliebenen Bankgeheimnummern an. Sie kommen relativ schnell zur Sache: „Oooh, Otto, you know, I am an old lady!“ – „Well, I am an old gentleman!“ Otto ringt ihr das Versprechen ab, auf mich wie auf einen rosafarbenen Neurosenriesenpudel aufzupassen. Und mein Vater verspricht ihr einen Besuch. Ich hoffe, Bobbi zieht sich was an. Ich hoffe, all das ist nicht meine Schuld. Seit diesem Telefonat bekomme ich täglich mehrere Fotos, die die Fassade von Bobbis Haus zeigen. Sie unterschreibt jetzt stets mit „your new friend Bobbi“. Ich glaube, ich freue mich.

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