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Indiana Jones auf Spendenfang

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An Ideen hat es Daniel Mietchen eigentlich nie gemangelt. Als junger Forscher wollte er zum Beispiel Seehunde in einen Kernspintomografen legen, um ihren Kehlkopf mit dem des Menschen zu vergleichen. Und als er für einem Forschungsaufenthalt in Korea war, machte er einen Abstecher zu einem Elefanten in den Zoo, der angeblich einige Worte Koreanisch sprach. Tatsächlich: Manche Laute klangen sehr untypisch für einen Elefanten. 
  Aber um herauszufinden, wie unser Sprechvermögen entstanden ist und wie sich Mensch und Tier unterscheiden, bräuchte der promovierte Biophysiker Geld. Und das fehlt in der Regel.

  Daniel schrieb seitenlange Anträge, um Projektmittel bei den großen Forschungsförderwerken zu bekommen. Die meisten wurden abgelehnt, oft ohne Begründung und ohne die Möglichkeit zum Nachbessern. Frustriert hat Daniel darum dieses Jahr seinen Uni-Job in Jena aufgegeben und sich als freiberuflicher Wissenschaftler selbstständig gemacht. Forschungsgelder will er jetzt auf eine andere Art beschaffen – bei Kleinspendern im Internet etwa. 

  Seit Anfang November buhlen 49 Forschungsideen im Rahmen des Projekts SciFund Challenge um die Gunst der Netz-Community. Die Initiatoren sind zwei amerikanische Biologen. Wenn sich im Internet genug Menschen finden, die für den Bau einer riesigen RoboCop-Statue in Detroit spenden, so schreiben die Biologen in ihrem Gründungsaufruf, warum sollte diese Form der Mikrofinanzierung dann nicht auch für etwas Sinnvolles eingesetzt werden können? 

  Daniel, einziger Deutscher in diesem sehr angelsächsischen Umfeld, will gemeinsam mit der Biologin Fabiana Kubke von der University of Auckland in Neuseeland Geld für eine Art Wissenschaftswikipedia zusammenbekommen. Andere Forscher bitten um Spenden, um etwa die DNA römischer Skelette zu analysieren, die Mathematik der direkten Demokratie oder die kulturellen Folgen des Klimawandels für Polynesien zu untersuchen. Es ist der bisher größte Crowdfundingversuch in der Wissenschaft. Derzeit sind schon über 60 000 Dollar zusammengekommen. Noch bis Mitte Dezember kann jeder, der mag, seine Lieblingsvorhaben mit Geld unterstützen.



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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



  Schwarmfinanzierung hat sich für aufstrebende Bands bewährt – für Laborexperimente und Forschungsexkursionen ist das Konzept noch ungewöhnlich. Normalerweise bekommen Wissenschaftler ihr Geld von einem der Forschungsförderwerke, hinter denen der Staat oder private Stifter stehen. Der größte Förderer hierzulande ist die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die mehr als zwei Milliarden Euro im Jahr verteilt, die von Bund und Ländern stammen. Die Anträge, die Forscher bei der DFG stellen, werden zunächst von Vertretern des Fachs begutachtet. Dieses so genannte Peer-Review-Verfahren soll garantieren, dass nur wirklich relevante und qualitativ gute Vorhaben gefördert werden. Mietchen glaubt, dass aber allzu oft bloß nach Machbarkeit entschieden wird. Das Schräge, Unverständliche, Ungewisse habe kaum eine Chance. 

  „Wenn man Projektmittel will“, sagt Daniel, „muss man auf den ausgetretenen Pfaden wandeln und revolutionäre Elemente aus seinen Anträgen entfernen.“ Daniel verweist darauf, dass rund 30 Prozent der Arbeiten, für die es später einen Nobelpreis gab, keine Forschungsförderung bekommen hatten. „Eine sehr hohe Zahl“, sagt er.

  Was nobelpreiswürdig ist, dürfte das Laienpublikum bei SciFund natürlich erst recht nicht beurteilen können: Bringt ein Projekt zur künstlichen Fotosynthese die Wissenschaft weiter voran als eines zur Algenzucht? Lohnt sich eine Studie zur magnetischen Stimulation von Nervenzellen oder verspricht ein Projekt über die körperlichen Auswirkungen von Depressionen den größeren Erkenntniszuwachs? 

  Daniel sieht allerdings gerade in der Unbefangenheit der Spender eine Chance im Vergleich zur klassischen Forschungsförderung: „Crowdfunding ist agnostisch. Die Allgemeinheit weiß nicht, wo die ausgetretenen Pfade sind.“

  Auch Mathias Winde beobachtet das Projekt wohlwollend. Er ist Experte für Hochschulpolitik beim Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, der Forschungsförderer aus der Wirtschaft vertritt. „Es schadet überhaupt nichts, den Wildwuchs ein wenig gedeihen zu lassen“, findet er. Vor allem für den akademischen Nachwuchs könne sich die Schwarmfinanzierung lohnen – etwa um eine spannende Doktorarbeit voranzubringen. „Große Forschungsinfrastrukturen lassen sich so aber wohl kaum finanzieren.“ Forscher Daniel Mietchen urteilt ähnlich. „Viele der Projekte zielen vor allem darauf, so genannte Preliminary-Results zu bekommen, also erste, vorläufige Ergebnisse, mit denen man dann einen klassischen Förderantrag stellen kann“, sagt er. Eine unkonventionelle Idee hat schließlich bessere Karten, wenn man den vorsichtigen Geldgebern schon einmal etwas vorzeigen kann. 

  Aber für Daniel geht es nicht nur darum, sperrige Forschungen schneller ins Rollen zu bringen. Crowdfunding ist für ihn auch mit dem Anspruch verbunden, die Öffentlichkeit in die Wissenschaft einzubeziehen. Im Idealfall halten die Forscher ihre Spender auf dem Laufenden und können über den gesamten Forschungsprozess das Feedback des Publikums einholen.

  Dass es allerdings auch zur Entertainisierung von Wissenschaft verleiten kann, wenn sie mit RoboCop und Indie-Bands um die Spender-Gunst konkurriert, lässt sich ebenfalls bei SciFund beobachten. Zen Faulkes, ein Biologe aus Texas, inszeniert sich in seinem Werbefilm als Indiana Jones mitsamt Filzhut. Ziel seiner Reise soll aber nicht der Heilige Gral sein, sondern ein Flusskrebs in Florida.

  Überhaupt wimmelt es bei SciFund vor possierlichen Tierchen: Schildkröten, Eichhörnchen, Elefanten, Delfine – jeder kann seinen Liebling finden, manchmal in skurrilen Varianten. Zwei Biologinnen der University of Massachusetts wollen etwa die Erektion von Enten-Penissen untersuchen. Den Internetnutzern wären solche Messungen schon über 1400 Dollar wert.  

 Mehr auf scifund.wordpress.com.


Text: bernd-kramer - Foto: cordiee/photocase.com

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