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"Keiner ist schuld"

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Dr. med. Monika Keller leitet die Sektion Psychoonkologie der Universitätsklinik Heidelberg. Im Gespräch mit jetzt.de erklärt sie, wie Kinder mit der Krebserkrankung ihrer Eltern umgehen und warum es einen großen Unterschied zwischen Schuldgefühlen und wirklicher Schuld gibt. Das Interview nimmt Bezug auf diesen Text. 
 
  jetzt.de: Frau Keller, bin ich die einzige Tochter, die die Schuld an der Krankheit eines Elternteils bei sich selbst sucht?
  Keller: Es ist häufig so, dass vor allem jüngere Kinder und auch Jugendliche sich fragen, ob sie ,schuld‘ sind an der Krebserkrankung von Mama oder Papa. Das hat allerdings auch damit zu tun, ob das Thema Schuld im Zusammenhang mit einer Krebserkrankung für den erkrankten Elternteil eine Rolle spielt – und ob in der Familie offen über solche Gedanken geredet werden kann.
 
  jetzt.de: Was geht in den Köpfen anderer junger Leute vor, deren Eltern Krebs haben?
  Keller: Nach dem, was wir von Jugendlichen erfahren, fühlen sie sich häufig im Konflikt zwischen den eigenen Bedürfnissen nach mehr Freiheit und Unabhängigkeit und dem Wunsch oder auch der Verpflichtung, für den kranken Elternteil da zu sein. Oft fällt es ihnen einfach schwer, Mama oder Papa leiden zu sehen, ohne so richtig helfen zu können. Ihre eigene Traurigkeit, oder die Angst, sie zu verlieren, machen sie meistens mit sich alleine aus und ziehen sich zurück, weil sie die Eltern nicht belasten wollen. Das wird dann manchmal von Erwachsenen als Desinteresse oder abweisendes Verhalten fehlinterpretiert. Das Thema Schuld an einer Krebserkrankung taucht bei Jugendlichen eher dann auf, wenn es aus anderen Gründen Spannungen und Konflikte mit den Eltern gibt – dann geht es vor allem darum, auseinander zu halten, worauf ein Schuldgefühl zurückzuführen ist, das ja was anderes ist als echte Schuld! In dem von Ihnen beschriebenen Beispiel geht es um ein Schuldgefühl, dass man sich bei der Trennung entschieden hat, zum Vater zu gehen und die Mutter vermeintlich im Stich gelassen zu haben.
 

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Frau Keller

  jetzt.de: Sind die Vorwürfe, die man sich macht, denn gerechtfertigt?
  Keller: Eindeutig nein. Kein Mensch ist schuld, wenn Mutter oder Vater an Krebs erkranken oder daran sterben. Deshalb auch die notwendige Unterscheidung zwischen Schuld und Schuldgefühl.
 
  jetzt.de: Welche sind die Ursachen dafür, wenn ein Mensch an Krebs erkrankt? Kann man das sagen?
  Keller: Wir wissen inzwischen aus gründlichen Studien, dass seelische Faktoren, also Stress, Kummer, Depressionen weder eine erkennbare Rolle bei der Entstehung von Krebs spielen, noch verantwortlich für den Krankheitsverlauf sind. In einer dänischen Studie erkrankten Frauen, die sich ziemlich gestresst fühlten, sogar seltener an Brustkrebs. Die wichtige Botschaft dabei ist: Keiner ist schuld, dass er oder sie Krebs bekommt – abgesehen natürlich von Risikoverhalten wie Rauchen, zuviel Alkohol oder ähnlichem.
 
  jetzt.de: Wie kann man gegen dieses Schuldgefühl vorgehen?
  Keller: Miteinander reden! Man soll sich nicht alleine mit den Schuldgefühlen rumplagen, das hilft am Besten. Manchmal kann es auch nützlich sein, miteinander mit einem Professionellen, einem Psychoonkologen, einem Psychosomatiker oder einem Psychotherapeuten mit Erfahrung in der Onkologie zu reden, ohne dass das gleich eine Therapie sein muss.
 
  jetzt.de: Gibt es Therapien, die sich speziell auf Kinder von krebskranken Eltern konzentrieren?
  Keller: Es gibt seit zwei Jahren ein Projekt, das die Deutsche Krebshilfe finanziert, es heißt „Psychosoziale Hilfen für Kinder krebskranker Eltern“ mit Zentren in Berlin, Hamburg, Heidelberg, Leipzig und Magdeburg, an die sich Eltern, Jugendliche und Kinder wenden können. Dort kann man gemeinsam herausfinden, was den Jugendlichen und den Eltern im Augenblick am meisten nützt. Für einige Jugendliche ist es wichtig, sich mit anderen in einer ähnlichen Situation auszutauschen. Auch dazu gibt es einige Angebote. Zudem bieten an einigen Orten Krebsberatungsstellen Unterstützung, Rat und Hilfen für Kinder und Jugendliche mit einem krebskranken Elternteil an – Informationen gibt es von der Deutschen Krebshilfe oder hinter diesem Link: verbund-kinder-krebskranker-eltern.de.



Text: anja-schauberger - Foto: mathias the dread / photocase.com

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