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Lärm wie eine kleine Baustelle

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„Jetzt geht der Ärger los“ – so beginnt die einleitende Erklärung auf der neuen Internetseite Save-the-spot.de. Ihr Ziel: Die Rettung einiger Quadratmeter geteerter Fläche mit einem Dutzend Betonbänke auf dem Georg-Freundorfer-Platz im Münchner Stadtteil Schwanthalerhöhe. Zwischen 12 und 15 Uhr und abends nach 20 Uhr wirkt der besagte Teil des Areals unscheinbar und trist. Grau ist die vorherrschende Farbe, es gibt wenig, an dem das Auge sich verfängt außer an den Kanten und Ecken der Betonbänke. Die anderen Parkdrittel mit ihren Rasenflächen, Bäumen und dem stets von Kindern beturnten Abenteuerspielplatz sind wesentlich lebendiger. Ab 15 Uhr aber verändert sich etwas auf der betonierten Seite. Binnen kurzer Zeit sind circa zehn Skater da und bearbeiten die Bänke mit ihren Tricks, nahezu im Sekundentakt und von allen Seiten. Was eben noch toter Beton zu sein schien, wird lebendig.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Skater auf dem Georg-Freundorfer-Platz. Manchem Anwohner wäre der tote Beton dennoch lieber. Ein Skateboard, das nach einem missglückten Trick zu Boden knallt, verursacht Lärm. Zehn oder 20 Skater auf einmal klingen schon wie eine kleine Baustelle. Deshalb regten Anwohner vor einigen Wochen eine Unterschriftenaktion an, um das Skateboardfahren an den Bänken des Georg-Freundorfer-Platzes ein für alle Mal zu unterbinden. Street-Skaten aber lebt zu einem großen Teil von seinem urbanen Charakter. Städtische Architektur und Sport stehen in einer Wechselbeziehung, im Idealfall inspirieren sie einander und hauchen sich neues Leben ein. Nur teilt diese Sichtweise nicht jeder. Die Achsen und Bretter hinterlassen ihre Spuren an Stufen und Kanten, von der Lärmbelästigung ganz zu schweigen. Unerwünscht zu sein, ist für Skater daher kein unbekanntes Gefühl. München wäre voll von Spots mit guten Bedingungen, wären da nicht die Wachmänner, die nach kurzer Zeit auftauchen und die Session auf dem oft privaten Gelände beenden. „Der Spot“, wie der Georg-Freundorfer-Platz von den Skatern schlicht genannt wird, ist aber ganz offizielles Rollbrett-Territorium. Der Untergrund ist eben, die Kanten extra mit Metall beschlagen, um das „Grinden“ zu vereinfachen. Der Spot ist Teil des Gesamtkonzepts einer Parkanlage, die wie eine Wohnung in mehrere Funktionsbereiche unterteilt ist. Es gibt viel Grün, einen Bolz- und einen Abenteuerspielplatz, eine Bahn für Stockschützen, ein begehbares Schachbrett und eben die Fläche für die Skater. Für diese integrative Bauweise wurde der Platz 2006 zum besten Spiel- und Freizeitplatz Deutschlands gewählt. Die Jury der Stiftung „Lebendige Stadt“ lobte vor allem die „Lässigkeit und Unverkrampftheit“ des Aufbaus – die sich anscheinend aber nicht auf Nutzer und Anwohner des Parks übertragen hat. „Wir haben eigentlich seit der Eröffnung 2002 Beschwerden wegen Lärmbelästigung durch Skaten bekommen“, sagt Jürgen Marek, Sprecher des Münchner Baureferats. Skater und Anwohner einigten sich deshalb 2005 auf einen Kompromiss: Gefahren wird nur noch zwischen neun und zwölf Uhr sowie zwischen 15 und 20 Uhr. Trotzdem: Ärger gibt es, wenn auch weniger häufig, bis heute.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Auslöser der aktuellen Debatte war der „Go Skateboarding Day“ am 21. Juni, eine Art internationaler Feiertag der Skateboardszene, der auch am Georg-Freundorfer-Platz zelebriert wurde. Das Skaten ging in Grillen und Biertrinken über, das Team einer brettsport-affinen Bekleidungsmarke verteilte Goodies, Szenegrößen gaben Autogramme – und der Lärmpegel stieg entsprechend. Die Party wurde von der Polizei aufgelöst und firmiert mittlerweile bei der Bußgeldstelle des Kreisverwaltungsreferats als unangemeldete Veranstaltung. Seitdem, so Jürgen Marek, überprüfe die Anlagenaufsicht den Platz intensiver, allerdings ohne dass weitere nennenswerte Belästigungen festgestellt wurden.


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die gute Stimmung jedenfalls und das Klima gegenseitiger Akzeptanz haben einen Knacks bekommen. Beide Seiten sind sensibilisiert: die Anwohner für Anwesenheit von Skatern nach Ende der erlaubten Fahrzeiten, die Skater für die intensivierte Überprüfung und Kontrolle. „Wir achten ja extra darauf, dass nach 20 Uhr niemand mehr fährt und klären auch Leute, die zum ersten Mal hier fahren, über die Nutzungszeiten auf. Aber manche Anwohner rufen eben gleich die Anlagenaufsicht an, wenn sich zwei Minuten nach Acht noch eine Rolle dreht oder wir nur noch herumsitzen“, sagt Robinson Kuhlmann, einer von Münchens prominentesten Skatern und Initiator der Rettungsaktion im Internet. Die rief er auch deshalb ins Leben, weil der Spot Dreh- und Angelpunkt der Münchner Skateboardszene ist. „Er ist zentral gelegen und echt super zu fahren. Hier trifft man sich, und namhafte Fahrer aus aller Welt schauen auf ihren Reisen hier vorbei. Der Spot ist skateboardtauglich und trotzdem eine als normale Parkanlage nutzbare städtische Fläche. Das ist deutschlandweit einzigartig.“ Die Stadt hat in den vergangenen Jahren zwar weitere Anlagen gebaut, beispielsweise den Keyhole-Skatepark, der in Deutschland als einer der besten seiner Art gilt. Allerdings liegt er am äußeren Rand des Hasenbergls und damit wie die meisten anderen Spots alles andere als zentral. Die einzige einer Großstadt wie München angemessene Skatehalle wurde 2005 geschlossen, weil die Stadt die monatlichen 5 000 Euro Unterhalt nicht aufbringen konnte und sich keine Sponsoren fanden. „Es gibt zwar viele Halfpipes und Bowls, aber 80 Prozent der Skater wollen nunmal Street fahren“, sagt Robinson. In dieser Hinsicht sei der Spot am Georg-Freundorfer-Platz unersetzlich. Alternative Altglascontainer Wie unmittelbar die Gefahr nun wirklich ist, lässt sich schwer abschätzen. Den Bezirksausschuss hat die Unterschriftenliste der Anwohner noch nicht erreicht, sagt der Vorsitzende Ludwig Wörner (SPD). Wie die Chancen eines solchen Antrags stehen, kann er momentan nicht vorhersagen. Aber, gibt er zu bedenken, die Bürger seien damals ja in die Planung des Platzes miteinbezogen worden und hätten den Skateplatz mehrheitlich befürwortet. Die Alternative wäre eine Reihe von Altglascontainern gewesen. „Die können sie natürlich gerne haben“, sagt Wörner mit leicht ironischem Unterton. „Containerstellplätze suchen wir immer.“ Auch sind nicht alle Anwohner gegen die Skater. Ein älterer Herr aus der angrenzenden Geroltstraße findet es „toll, wenn da a biss’l was los ist“, und der Bolzplatz am anderen Parkende sei ja eh genauso laut. Außerdem hätten die Skater von der gegen sie gerichteten Unterschriftenaktion vielleicht gar nicht erfahren, wenn sie nicht ein sympathisierender Anwohner darauf aufmerksam gemacht hätte. Stefan Lehnert, ein weiterer alter Hase der Münchner Szene, glaubt, dass viele die Skater eigentlich ganz gerne sehen: „Die Gegend hier ist ja nicht gerade für ihre soziale Hochlage bekannt, und so manch einer erinnert sich noch an die Junkies, die es hier früher gab.“ Seiner Auffassung nach sind die Skater eher ein Garant für Ordnung als ein Unruheherd. Ihr Spot ist ihnen lieb und teuer, und sie würden sich hüten, ihn durch regelwidriges Verhalten weiter aufs Spiel zu setzen. Vielleicht, hoffen Robinson und Stefan, ist dann der Ärger schon wieder vorbei, bevor er richtig losgeht.

Text: christian-helten - Fotos: Holly Pickett

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