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Leben und lehren lassen

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Man kann das Thema groß angehen. Dann müssen Schlagworte wie Kulturkampf, Fundamentalismus sowie Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit fallen und die entscheidenden Instanzen sind die vorherrschende gesellschaftliche Meinung und die Gerichte. Man kann das Thema aber auch kleiner behandeln: "Dann können wir uns mit unterschiedlichen Aneignungen von Wissen beschäftigen und die entscheidenden Instanzen sind wir selbst", sagt der Berliner Biologe und Publizist Cord Riechelmann, der gerade an einem Buch über "Außenseiter Darwinistischer Theorien" arbeitet. Es geht um einfache Fragen, die gestellt werden: Wir Menschen, was sind wir eigentlich für welche? Wo kommen wir her? Wie wurden wir zu dem, was wir sind? Und es geht um einige nicht mehr ganz so einfache Antworten auf diese Fragen, die mit Begriffen wie Evolution oder natürliche Selektion auf der einen Seite, bzw. Kreationismus oder Intelligent Design (ID) auf der anderen Seite verbunden sind. Die Kontrahenten dabei heißen Charles Darwin und Gott. Weil beide sich in der Diskussion nicht zu Wort melden, treten stellvertretend Naturwissenschaftler gegen Theologen an. Wie das aussieht, das wissen zum Beispiel Schüler im US-Bundesstaat Kansas. Seit geraumer Zeit müssen sie im Unterricht nicht nur Darwins Deszendenztheorie und die Theorie der synthetischen Evolution lernen, sondern sich auch noch mit biblischen Schöpfungsfragen auseinandersetzen. Und zwar im Schulfach Biologie, weil es Religionsunterricht an staatlichen Schulen in den USA nicht gibt. Christliche, meist evangelikale Eltern haben es in den letzten Jahren über ihre Mitarbeit in den Schulbeiräten ("School Boards") oder vor Gerichten durchgesetzt, dass neben der wissenschaftlichen Sicht der Dinge auch ihr Weltbild im Unterricht gelehrt werden muss. Gott ist keine Theorie In der Hälfte aller US-Bundesstaaten wird derzeit vor Gericht darüber gestritten, ob sich demnächst noch mehr Schüler in Biologie mit einer anderen Entwicklungsgeschichte der Welt und des Menschen beschäftigen werden. Ein wichtiges Urteil zur Sache wurde im Dezember von einem Bezirksrichter im Bundesstaat Pennsylvania gefällt. Richter John Johns lehnte es ab, "Intelligent Design" und "Kreationismus" als Alternativen zur Evolutionslehre in den Unterrichtsplan aufzunehmen. Unter Kreationismus versteht man die klassische Schöpfungslehre: Wie es in der Bibel steht, habe Gott die Welt und das Leben vor 6 000 bis 10 000 Jahren in sechs Tagen erschaffen. Als Intelligent Design bezeichnet man eine moderne Variante dieser Schöpfungsgeschichte, die die Evolution nicht leugnet, in ihr jedoch eine steuernde Kraft, einen intelligenten Designer, walten sieht. Intelligent Design aber sei "keine wissenschaftliche Theorie", begründete Richter Johns sein Urteil. Darüber freut sich hierzulande zum Beispiel Ulrich Kutschera, Professor für Pflanzenphysiologie und Evolutionsbiologie an der Universität Kassel und Vorsitzender der AG Evolutionsbiologie im Verband Deutscher Biologen: "Interessant ist nicht nur, dass ein konservativer Richter zu einem solchen Schluss kommt, sondern auch, dass er ID als ,eine bloße Neuetikettierung von Kreationismus' bezeichnet." In seinem Sachbuch "Streitpunkt Evolution" hat Kutschera sich ausgiebig mit den religiösen Angriffen auf die Evolution befasst. Für ihn sind das keine auf die USA begrenzten Phänomene. In Deutschland sei die religiöse Anti-Evolutionsbewegung zwar klein, aber schlagkräftig und gut organisiert. Und auch sie dränge in den Biologieunterricht der Schulen, was speziell die Publikation "Evolution - ein kritisches Lehrbuch" (und das Vorläuferbuch "Entstehung und Geschichte der Lebewesen - Daten und Deutungen für den Biologieunterricht") von Reinhard Junker und Siegfried Scherer beweise. Beide nennt Kutschera die führenden deutschen Kreationisten. Drohen wirklich amerikanische Verhältnisse im Biounterricht deutscher Schulen? Reinhard Junker, ehemaliger Biologie- und Mathematiklehrer sowie promovierter Theologe, der heute als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der christlichen "Studiengemeinschaft Wort und Wissen" angestellt ist, bestreitet das: "Wir sind hier nur eine kleine Gruppe von Leuten ohne viel Einfluss, die für die biblische Schöpfungslehre eintreten." Wie aber sähe es aus, wenn der Einfluss größer wäre, wenn man doch bei den Lehrplänen im Fach Biologie mitreden dürfte? "Die Evolutionsanschauung hat auf jeden Fall ihren Platz im Biologieunterricht, muss aber auch kritisch betrachtet werden", meint Junker. Er sähe es gern, wenn "Befunde thematisiert würden, die ins Gesamtgebäude der Evolution nicht so gut passen." Außerdem liefere die Biologie zwar "bergeweise Daten, aber diese Daten geben keine klare Auskunft zur Ursprungsfrage. Das muss man herausstellen, und das sollte im Biologieunterricht geschehen." Die Evolution biete "Interpretationen, keine Tatsachen." Für schlicht inakzeptabel hält Kutschera solche Sätze. Schon wer das Wort "Evolutionskritik" akzeptiere, müsse dann "in der Chemie die Atomkritik akzeptieren und in der Physik die Photonenkritik". Man könne die Erkenntnis, dass sich die Lebewesen in einem Millionen Jahre währenden Prozess aus Urformen entwickelt hätten, nicht einfach vom Tisch wischen, weil in einem christlichen Buch die Erschaffung des Menschen anders beschrieben werde. "Würden die Kreationisten an den Osterhasen glauben, dann müssten demnächst alle Biologiebücher umgeschrieben werden, weil Hasen ja neuerdings Eier legende Säugetiere sind", sagt Kutschera. In der Schulbiologie solle mehr Evolution gelehrt werden. Denn dem "Glauben der Kreationisten" begegne man am besten mit "wissenschaftlichen Fakten". Offenbarung im Internet Sein Gegenspieler Junker hingegen plädiert für einen Fächer übergreifenden Unterricht, da, wie er sagt, "die Offenbarung der Bibel kein naturkundliches Wissen ist, nur geglaubt werden kann und deswegen in den Religionsunterricht gehört. Das sollte man aber mit biologischen Kenntnissen zusammen bringen, damit verschiedene Lehrer ihre Kenntnisbereiche kombinieren." Auch Fächer wie Chemie oder Geschichte könnten in so einen interdisziplinären Unterricht einbezogen werden, wobei aber immer deutlich gemacht werden müsse, wo es sich um Religion und wo um historische Forschung oder Naturkunde handele. Kutschera sieht derzeit keine großen Gefahren für die Schulen: "Wir haben staatlichen Religionsunterricht und staatlichen Biologieunterricht. So drängend wie in den USA wird hierzulande das Problem nicht werden, denn zur Zufriedenheit christlicher Eltern werden Glaubensinhalte im Fach Religion behandelt." Schwieriger ist für ihn ein anderer Aspekt. Wenn ein Schüler ein Referat halten soll, beispielsweise über Makroevolution, dann lande er bei seiner Internetrecherche schnell bei "Wort und Wissen". Dort finde er Argumente gegen die Makroevolution. "Und zwar von Leuten, die einen Doktoren- oder Professorentitel führen. Mit dem Verweis auf diese akademischen Würden wendet sich dann der Schüler an seinen Lehrer und behauptet, es gebe gar keinen Beweis für die Makroevolution. So führt zu großer Verunsicherung - bei Lehrern und bei Schülern." In dieser Verunsicherung sieht wiederum Cord Riechelmann eher eine Stärke als ein Problem der Biologie: "Wenn die Lebenserscheinungen ein Produkt von Selektion sind, heißt das, dass alles was ist, auch anders sein könnte." Denn in diesem Fach gebe es, anders als in der Physik oder Chemie, kaum Naturgesetze. Überhaupt sei in den Naturwissenschaften jenseits von Faktenwissen die Abstraktionsfähigkeit von Schülern gefragt. Angesichts der religiösen Vereinahmungsversuche, aber auch wegen der in der Vergangenheit oft mangelnden Reflexion von Naturforschern über die möglichen Folgen ihres Tuns rät Riechelmann vor allem dazu, "den eigenen Verstand zu gebrauchen und kritisch zu denken." Autor: maik-soehler.jetzt.de

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