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Manchmal tickt er einfach aus

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Andreas hat Pech. Er ist zur falschen Zeit am falschen Ort. Eigentlich wollen TZA und seine Freunde nicht ihm, sondern Andreas’ Kumpel eine Lektion erteilen. Doch der kann sich in die Küche des McDonald’s flüchten. Andreas schafft es nicht. Sie erwischen ihn vor der Theke. Den ersten Schlag mit dem Baseballschläger kann er noch abwehren, der zweite trifft ihn am Kopf. Andreas geht zu Boden. TZA zieht seinen Gummiknüppel und prügelt auf ihn ein, während die anderen ihn mit Fußtritten und Schlagstöcken malträtieren. Kurz nach dem 18. November 2007 macht ein Witz die Runde in Milbertshofen: „Wisst ihr, was es Neues bei McDonald’s gibt? McFotzen mit Basi!“. Andreas kann darüber nicht lachen. Er liegt mit Gehirnerschütterung, Nasenbeinbruch und mehreren Hämatomen im Krankenhaus. Die Ärzte wissen noch nicht, ob sie sein rechtes Auge retten können. Vom Münchner Hauptbahnhof sind es sechs Stationen mit der U-Bahn nach Milbertshofen. Der Ausländeranteil, so steht es im Statistischen Taschenbuch der Stadt München, ist mit 35 Prozent einer der höchsten der Stadt. Wer Milbertshofen aber „Ghetto“ nennt, braucht viel negative Phantasie. Die Straßen sind grün, die einzigen Bausünden ein paar Mietskasernen, Betontristesse sehen nur Augen, die immer nach dem Hässlichen suchen. „Milbertshofen ist cool“, sagt auch TZA. „Ich hab’ Verlieren gelernt“ TZA heißt eigentlich Morteza F. und ist 26 Jahre alt. Seine Haare sind kurz geschoren, sein Bart zu zwei schmalen Streifen rasiert. Den Kragen seiner schwarzen Lederjacke hat er aufgestellt. Seit drei Jahren rappt er bei dem kleinen Independent-Label „Headhunt Records“. Im April dieses Jahres erschien sein erstes Album, „Jenseits von Gut und Böse“ heißt es. TZA träumt davon, irgendwann einmal von seiner Musik leben zu können. Es ist das einzige, das er mit Leidenschaft tut. Seit er 17 ist, schreibt er. Zuerst einfache Gedanken, die ihm durch den Kopf gehen, dann werden kleine Gedichte daraus und schließlich Songtexte. Der Iraner hört amerikanischen Gangster-Rap: NWA, Dr. Dre, Snoop Dogg und vor allem Tupac. Auch wenn er nicht alle Texte sofort versteht, spricht ihm die Musik aus der Seele. „Ich kann nachvollziehen, wie diese Leute sich fühlen“, sagt er. Klar, Milbertshofen ist nicht Berlin-Neukölln und erst recht nicht LA-South Central. Aber darum, sagt TZA, geht es auch nicht: Wenn nur die härtesten Rapper authentisch wären, dann müssten sich ja die Jungs aus den brasilianischen Favelas über die US-Rapper kaputtlachen und für die wiederum wäre der Berliner Rapper Bushido ein Clown. Worum es geht: Um das Gefühl, nicht dazuzugehören, am Leben nicht teilzunehmen und um die Wut, die man in sich verspürt. Es geht auch darum, keine Schwäche zu zeigen, sich Respekt zu verschaffen, sich von niemandem unterkriegen zu lassen. TZA sagt, er hat früher oft auf die Fresse bekommen. Aber an Schmerzen kann man sich gewöhnen. „Ich habe Verlieren gelernt“, sagt er. Die Kunst sei es, Schläge zu kassieren und trotzdem stehen zu bleiben. Dann kriegt es der Gegner mit der Angst zu tun. Manchmal, aber das könne er schwer erklären, ticke er auch einfach aus. Das fühlt sich an, als sei er von einem dunklen Gedanken besessen. Dann reicht es schon, wenn ihn jemand aus Versehen anrempelt.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Es ist Ende Juli und TZA sitzt im Studio von „Headhunt Records“, in einem kleinen Keller in Milbertshofen. Ein Freund von ihm hat es angemietet und sich nach und nach das Equipment zusammengekauft. Er hat die CD-Cover entworfen, die Lieder abgemischt und gemastert. Auf dem Couchtisch stehen leere Bierflaschen und Eistee-Tetrapaks, Aschenbecher quellen über und in der Ecke stapeln sich Pizzakartons. TZA lässt seine Kippe in eine der leeren Bierflaschen fallen. Sein Kumpel Koka Slim, ein Tunesier, sagt, er könne nichts mehr kiffen, weil er schon seit ein paar Stunden „so dermaßen stoned“ sei. Von draußen ruft einer durch das Kellerfenster, dass die Bullen schon wieder in der Straße sind. Koka Slim schließt das Fenster. In zwei Wochen ist seine Verhandlung. TZA rechnet mit zwei Jahren Haft. „Knast ist ein bisschen wie Urlaub“, sagt er. Dann spielt er seinen neuesten Track vor: „Komm mit mir. Diese Welt ist mir zu kompliziert“, heißt der Refrain. „Ich freue mich auch irgendwie drauf, endlich mal Ruhe zu haben.“ Mit Ruhe meint er, mal keine Briefe von Inkasso-Unternehmen, vom Anwalt, von der Agentur für Arbeit, vom MVG wegen Schwarzfahren zu bekommen. Endlich mal Struktur zu haben, zur selben Zeit aufzustehen und das Richtige zu tun. Über seine Schulden – mehrere tausend Euro – hat er den Überblick verloren. Vieles davon sind Anwaltskosten aus früheren Verhandlungen. Ein anderes seiner Lieder heißt „Ich bin ein Gangster“. TZA geht zum Mischpult und dreht auf, so dass die Bässe übersteuern. „Ich wollte es nicht sein, doch ihr habt es nicht anders gewollt. Mit euren Geldscheinen, Autos und Häusern geprollt. (...) Ich bin ein Gangster (...)“, rappt er darin. „Ich habe gedacht, ich weiß, wie's läuft, ich hab’ das Leben gecheckt. Doch jetzt kann ich nix andres außer Zuschlagen, Stehlen und Rappen. Ich kann, wenn ich ausflipp’, nicht mehr runterschalten. Mit mir kann man sich nicht mehr normal unterhalten.“


Morteza F. ist fünf Jahre alt, als er aus Teheran nach Deutschland kommt. In Niedersachsen trifft er seinen Vater und seinen älteren Bruder Moji wieder. Seine Stiefmutter ist Gymnasiallehrerin. Ihr, sagt er, hat er es zu verdanken, dass er gut Deutsch spricht und es ihm Spaß macht, mit Sprache zu spielen. Es ist schwer zu sagen, wann in Mortezas Leben etwas aus dem Ruder läuft. Wann das entsteht, was ihn heute mit 26 noch manchmal „austicken“ lässt. Vielleicht beim Tod seines Vaters, da ist er gerade acht. Morteza kommt zu seiner leiblichen Mutter nach München, Milbertshofen. So genau weiß er das nicht mehr. „Verdrängt“, hat ihm ein Psychologe einmal gesagt. Genauso wie seine Muttersprache. Morteza spricht kein Wort Persisch und seine Stimme wird leise, als er das erzählt. Sein Bruder Moji ist 13, als der Vater stirbt. Moji hatte in seinem Leben nie Ärger mit der Polizei. Er spricht fließend Deutsch und gut Persisch. Er arbeitet als Webdesigner und Partyveranstalter. Moji ist seit vier Jahren mit seiner deutschen Freundin zusammen. Morteza sagt, er sei noch nie verliebt gewesen. Morteza ist ein Schlüsselkind, kommt spät nachts nach Hause, schwänzt die Schule, hängt rum. Später landet er ohne Schulabschluss in einem Erziehungsheim. Eine gute Zeit sei das gewesen, sagt er. Morteza macht eine Lehre als Elektroinstallateur. Danach schlägt er sich mit Gelegenheitsjobs herum, macht Schulden, dealt und klaut. Erst mit 23 lässt er sich zum Einzelhandelskaufmann umschulen. „Aus eigener Kraft“ habe er sich damals um die Lehre gekümmert, sagt er. Gute Sozialprognose, wird man das später vor Gericht nennen. Am 3. Dezember 2007 erfährt Moji, dass sein kleiner Bruder Morteza in Untersuchungshaft sitzt. Er sammelt Geld bei seiner Mutter und seinem Stiefvater und legt selbst noch einmal etwas drauf, um den Anwalt zu bezahlen. Zwei Tage später ist Morteza wieder auf freiem Fuß. Moji kümmert sich um Mori. Das war schon immer so, auch wenn ihre Leben so unterschiedlich verlaufen. Der große Bruder besorgt ihm Auftritte bei den Partys, die er organisiert, hilft mit beim Aufbau des Labels und unterstützt seine Musikkarriere, wo er kann. Ab und zu redet er ihm auch ins Gewissen. „Wir hatten es früher nicht nötig, so den Gangster raushängen zu lassen“, sagt Moji. Tränen, Zorn, Allah Die Buchstaben TZA stehen für Trauer, Zorn, Allah. Zuerst ist die Trauer. Aus ihr erwächst der Zorn. „Wut“ heißt TZAs Lieblingssong. Und Allah? „Allah – weil ich vertraue. Darauf, dass alles gut wird und einen Sinn hat.“ TZA ist kein strenger Moslem. Er isst zwar kein Schweinefleisch, trinkt aber vier bis fünf Bier am Tag. Letzteres zumindest steht in der Anklageschrift unter „II. Zur Person der Angeklagten.“ Am Abend des 18. November trinkt TZA mehr: etwa zehn Bier. Aber betrunken war er deswegen nicht, nur ein bisschen enthemmt, sagt er.
Eigentlich hat TZA mit der Sache nicht viel zu tun. Er will nur seinem Kumpel Alex helfen. Alex’ Freundin Patti hat ihn verlassen wegen dieses Thomas M.. Der hat sie seit Tagen provoziert, SMS geschrieben, in denen steht: „Komm doch vorbei, eins gegen eins, ich ficke dich“. Alex und TZA kennen sich seit Jahren und echte Milbertshofener halten zusammen. „Falsch verstandene Solidarität“, wird das sein Anwalt in seinem Plädoyer nennen. Eine Lektion ist seit langem fällig. Sie wissen ja nicht, wie viele Leute die anderen dabei haben. Die anderen, das sagt auch sein Anwalt vor Gericht, haben ein Foto von sich mit Gaspistolen auf die Online-Plattform „Lokalisten“ gestellt. Außerdem geht „ficken“ anders. „Jemanden ficken“ heißt: Ihn so fertig machen, dass er nicht einmal daran denkt sich zu rächen. „Jemanden ficken“ heißt, ihn zu brechen. Das Opfer soll sich nicht mehr trauen, seinem Peiniger in die Augen zu sehen. Und TZA ist dafür bekannt, keine halben Sachen zu machen. Deshalb die Waffen, deshalb die Brutalität. Deshalb wird der Staatsanwalt sie später eine „Meute“ nennen. TZA, Alex und seine Brüder treffen sich in Alex Wohnung und tauschen Waffen aus: Einer nimmt den Baseballschläger, TZA den Gummiknüppel, ein anderer den Schlagstock. Sie trinken, dann fahren sie mit dem Bus zum verabredeten Treffpunkt am Euroindustriepark. Als Thomas M. und sein Freund Andreas sehen, dass ihnen sieben Bewaffnete gegenüberstehen, laufen sie in den McDonald’s. Thomas flüchtet sich in das Büro. Andreas schafft es nicht. Er verbringt die folgenden fünf Tage im Krankenhaus. Nur mit Mühe können die Ärzte sein rechtes Auge vor der Erblindung retten. Baseballschläger zur Deko Der 31. Juli ist ein heißer Tag, im Hof des Münchner Amtsgericht soll am Abend das Sommerfest stattfinden. Staatsanwalt Laurent Lafleur hat den Staat auch im Prozess gegen die „U-Bahn-Schläger“ vertreten. Spyridon L. und Serkan A., die vor laufender Überwachungskamera einen pensionierten Lehrer zusammenschlugen, wurden Anfang Juli zu zwölf und acht Jahren Haft verurteilt. Damals blickte ganz Deutschland auf den Prozess. Heute ist Morteza F. angeklagt wegen „gefährlicher Körperverletzung in Mittäterschaft in Tateinheit mit Sachbeschädigung in Mittäterschaft.“ Im Publikum sitzen sein Bruder Moji mit seiner deutschen Freundin, sein Stiefvater und viele Freunde aus Milbertshofen. Die Mädchen tragen große Ohrringe und enge Tops, die Jungs weite Hosen und Baseballcaps. Als einer der Angeklagten auf die Frage der Richterin, woher er den Baseballschläger habe, antwortet: „Frau Richter, aus meiner Hose!“, lachen alle. Die Richterin droht, den Saal räumen zu lassen. Aber auf die nächste Frage „Warum haben Sie eigentlich einen Baseballschläger zu Hause?“, sagt er: „Frau Richter, so halt, zur Dekoration!“. Das Publikum grölt. Fünf Minuten später ist der Saal geräumt. Sein Bruder Moji, dessen Freundin und drei andere Freunde warten den Rest des Tages vor dem Gerichtssaal. Das Schlussplädoyer von Staatsanwalt Lafleur dauert lange. 20 Minuten spricht er mit lauter Stimme davon, wie ein paar junge Männer sich mitten in Deutschland bewaffnen, um gemeinsam ein wehrloses Opfer zu verprügeln, noch dazu eines, das mit der ursprünglichen Sache nichts zu tun hat. Er spricht von fehlender Reue und von desaströsen Lebenssituationen, er zählt die Vorstrafen auf. Am Ende sagt er, ein längerer Gefängnisaufenthalt sei die einzige Möglichkeit für diese Menschen, ihr Leben wieder in den Griff zu kriegen. Einer der Angeklagten kämpft mit den Tränen. Zwei der Mittäter werden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Morteza F. bekommt eine Bewährungsstrafe. Weil er dem Opfer über seinem Anwalt Geld zukommen hat lassen und weil seine Lebenssituation gefestigt ist. Obwohl ihm die „Ruhe“ des Gefängnisses fehlen wird, ist Morteza froh über das Urteil. Er sagt, dass er Deutschland gerne mag und nirgendwo anders leben möchte. Weil es den Menschen hier nicht dreckig geht und niemand an Hunger sterben muss. Morteza F. träumt von einem Haus, einer Frau und einem Kind. TZA träumt auch von einer Karriere als Rapper. „Im Vergleich mit den Rappern aus den USA bin ich nur ein kleiner Gangster. Dort drüben knallen sie Leute ab, ich prügel’ mich nur.“

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