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Mein Austritt war richtig

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Ich erinnere mich an den Tag, an dem ich austrat. Ich reiste durch Italien, ohne Anbindung zum Netz, quasi auf Entzug. Nach einer Woche kam ich in einem kleinen Internetcafe an. Endlich wieder Facebook. Ich hatte 25 neue Nachrichten, fünf Fotokommentare und vier Einträge auf meiner Pinnwand, die ich nicht gelesen hatte. Für jemanden, der sein Profil sonst stündlich checkt, ist das ein Knall. Es verlangte nach einer Entscheidung: Geht das jetzt so weiter oder höre ich auf?

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Zehn Minuten später verschickte ich Abschiedsmails und startete meinen eigenen Auflösungsprozess, der etwa sechs Schritte brauchte. Der vorletzte war ei- ner der gemeinsten. Unter einer Reihe von Profilbildern von Freunden stand der unglaubliche Satz: „Diese Menschen werden dich vermissen.“ Ich stieg trotzdem aus. Oder besser gesagt: Ich ließ mein Profil ruhen. Wie man es technisch schafft, sein Profil komplett aufzulösen, weiß ich nämlich bis heute nicht. Ich ruhe also. Ein paar Klicks und ich wäre wieder da. Als Süchtiger auf Facebook. Die Seite ist auf eine magische Weise unterhaltsam, sie gibt einem dabei das Gefühl, man könne ohne Probleme damit aufhören, und der Gebrauch treibt einen dazu an, immer mehr zu wollen. Wer zum Beispiel seine Statuszeile verändert, muss auch nachsehen, was die Leute darunter kommentieren. Das wiederum muss dann zurück kommentiert werden. Im Prinzip in Echtzeit. Mein Facebook lief in Klicks pro Minute.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Runterkommen ist schwierig, und ich unterteile die Wochen nach meinem Austritt in drei Phasen: Qual, Abnabelung und eingebildete Freiheit. In Phase eins kämpfte ich dagegen an, an Facebook zu denken. Wenn ich irgendwo das blaue Firmenlogo sah, bekam ich Sehnsucht. Facebook hatte sich in mein Bewusstsein gegraben, es veränderte mei- ne Wahrnehmung von Erlebnissen. Ich filterte einzelne Episoden, die ich im Alltag erlebte, nach Statuszeilentauglichkeit. Das musste ich mir abtrainieren. Ich bat meine Freunde darum, mir nicht zu erzählen, was Neues auf Facebook steht. Die Phase der Abnabelung ist die interessanteste. Nach etwa zwei Wochen ohne Facebook erscheint einem das Innenleben der Seite als absurd. Es wird auf ein- mal sehr einfach, daran nicht mehr teilzuhaben. In meiner Abwesenheit wurde zum Beispiel Farmville groß, was ich völlig unverständlich fand. Die Statuszeilen wirken, wenn man ein paar Wochen raus ist, selbstherrlich. Mich überraschte, dass der Facebook-Sog, der in meiner aktiven Zeit so stark war, seine Kraft so schnell verlor. In der letzten Phase hatte ich den Eindruck, durch meinen Verzicht richtig viel Zeit gewonnen zu haben. Doch die Wahrheit ist, dass die gewonnene Zeit nicht zu Lesezeit wurde, sondern ich anderen Quatsch machte – die gleiche Stromberg-Staffel zum Beispiel zweimal guckte.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Manchmal denke ich darüber nach, welche guten Erinnerungen ich an Facebook habe. Immerhin habe ich auf der Seite damals mehr Zeit verbracht als mit meinen besten Freunden. Ich glaube, dass etwas, mit dem ich freiwillig viel Zeit verbringe, diesem Anspruch gerecht werden sollte: Es sollte schöne Erlebnisse bringen, an die ich mich gerne erinnere. So gesehen war mein Austritt richtig. Dieser Text ist Teil der jetzt.de-Sonderseite zum Thema Facebook, die du am 10. Mai auch am Kiosk kaufen kannst.

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