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Mein Leben als Sardine
Als ich mein Abitur hinter mir hatte und endlich ein richtiges Leben anfangen konnte, hatte ich im Studium und im Nebenjob zum ersten Mal auch die Gelegenheit, Freunde zu gewinnen, die mir einige Jahre voraus hatten. Trotz des Altersunterschieds waren wir auf einer Wellenlänge, hauten uns zusammen die Nächte um die Ohren und schauten dabei kompromisslos auf diese Welt, die uns oft viel zu wenig anbieten konnte in ihrer Durchschnittlichkeit. Die paar Jahre Altersabstand zwischen uns waren kein Problem, weil wir Wahlverwandte waren und ein gemeinsames Wertesystem hatten, das in erster Linie darin bestand, zu wissen, wie wir es dereinst garantiert nicht machen würden. Dieser paradiesische Zustand dauerte ein paar Jahre, bis meine Freunde nicht mehr Mitt-, sondern Endzwanziger waren. Und dann war alles plötzlich vorbei. Schlagartig – so sah es zumindest für mich jungen Spund aus – waren all meine Freunde von einem bösen Geist besessen, der sie zu stromlinienförmigen Abziehbildern dessen machte, was sich die Gesellschaft gemeinhin als „wertvolles Mitglied der Gemeinschaft“ vorstellt. All die starken und konsequenten Menschen, die sich einen feuchten Kehricht um irgendwelche Konventionen gekümmert und ein echtes Bohemien-Leben geführt hatten, waren mit einem Schlag verschwunden. Dafür waren all diese faden und öden Kompromisse, die wir uns doch nie einzugehen geschworen hatten für sie auf einmal das Nonplusultra. Jedenfalls wurde mir das auf Nachfrage so erklärt. Auf einmal waren Charakterzüge wie Verlässlichkeit, Ähnlichkeit, Ruhe und gleiche Herkunft wichtige Kriterien für ihre Partnersuche.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Angeblich ganz freiwillig stürzten sie sich dann reihenweise in fest betonierte Beziehungen mit Typen, die sie vorher noch nicht einmal zweimal angeschaut hätten. Ganz ohne ironischen Tonfall hielten sie wenig später Heiraten und Zusammenziehen für eine extrem originelle Idee, auf die sie einfach so gekommen waren, weil sie einmal mehr darüber nachgedacht hatten und ihre früheren verächtlichen Urteile über die Spießigkeit der bürgerlichen Existenz für überholt hielten. Und natürlich ganz zufällig wurden sie zu guter Letzt gleichzeitig mit all ihren Freundinnen schwanger, was sie mir als einen wirklich witzigen Zufall verkaufen wollten.
Das waren dieselben Menschen, die sich noch vor kurzem für die Boheme der Stadt gehalten hatten; Menschen, für die ihr Lebenswandel Ausdruck ihrer Individualität war und die trotzdem schon viel früher seltsam uniformiert eben diese Individualität präsentierten – sei es am Prenzlauer Berg, im Schanzenviertel oder im Glockenbachviertel. Sei es via Twitter, Tumblr oder Statusanzeigen auf Facebook.
Aber dieser neue Wandel war noch viel sichtbarer. Zumindest für mich. Denn obwohl es so lächerlich synchronisiert ablief, wollten sie nicht nur mir, sondern ganz besonders auch sich selbst weismachen, dass sie wirklich und wahrhaftig von selbst auf die exotische Idee gekommen waren, all die typischen und altersgerechten Schritte abzuarbeiten. Als hätten sie eine To-Do-Liste, die unbedingt noch vor ihrem 30. Geburtstag abgearbeitet werden musste. Nur standen auf dieser Liste nicht etwa aufregende Abenteuer, sondern die Anpassung auf der ganzen Linie, inklusive Umzug an den Stadtrand, weil nur dort die Wohnungen mit Garten zu finden waren. Ausgerechnet ein Garten! Seit wann war denn so etwas öde-spießiges wie ein Garten zum respektablen Entscheidungsfaktor bei der Wohnungssuche geworden? Und was wurde eigentlich von mir in diesem absurden Theater erwartet? Dass ich von nun an sonntags zu Kaffee und Kuchen in die Vorstadt reisen sollte, um mir die totale Spießer-Ödnis um die Ohren schlagen zu lassen?
Mir war auch schon mit Anfang Zwanzig klar, dass man seine Einstellung zu gewissen Dingen ändern kann und dass das Lebensalter und die Situation, in der man sich befindet, Einfluss auf unsere Sicht auf das Leben hat. Aber ich konnte einfach nicht verstehen, wie man sich innerhalb kürzester Zeit so komplett auf den Kopf stellen kann und all das leichten Herzens verraten, wofür man noch vor kurzem gestorben wäre – oder zumindest in Kneipenrunden mit rotem Kopf gestritten hatte.
Was soll ich sagen?
Pünktlich mit Ende Zwanzig bin auch ich verheiratet und lebe in einem Haus mit Garten.
Ich bin aus dem Schwarm nicht rausgekommen, ich habe es nicht einmal versucht. Aus diesem Schwarm, der bevölkert ist von all meinen Mitmenschen aus dem näheren Umfeld und meiner Generation, die mir vorleben, in welche Richtung es gehen soll. Und es ist schwer, sich dagegen zu stemmen, weil man ziemlich alleine sein könnte in dem selbst gewählten alternativen Lebensentwurf. Um diese Einsamkeit aushalten zu können, muss man sehr überzeugt sein von dem, was man da tut. Und ich glaube, dass die allerwenigsten Menschen besonders überzeugt von ihrem Leben sind. Sie leben es einfach, weil es sich ihnen eben so darbietet. Und wenn sie sehen, dass der Schwarm sich zu neuen Ufern aufmacht, dann sind sie relativ schnell selbst davon überzeugt, dass diese neuen Ufer erstrebenswert sind.
Es ist kompliziert, da auszubrechen, weil der Schwarm die beste Kontrollinstitution ist. Er gibt uns die Illusion, uns persönlich für etwas entschieden zu haben. In Wahrheit versuchen wir aber nur einfach, nicht vom Kurs abzuweichen, weil es abseits davon ganz schön kalt und dunkel werden kann.
Ich glaube immer noch daran, dass es möglich ist, ein anderes Leben zu führen, eines, das außerhalb der Konventionen unserer Mitschwärmenden ist. Aber ich glaube auch, dass es sehr viel schwerer ist, als ich früher immer dachte. Und deshalb bewundere ich die Ausreißer noch viel mehr als noch vor ein paar Jahren.
Text: christina-waechter - Illustrationen: Katharina Bitzl