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Mein Papa, der Pop, das Schreiben und ich

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Juno Meinecke, 17, hat letztes Jahr beim Schüler Open Mike des Münchner Literaturhauses den Publikumspreis gewonnen. Thomas Meinecke, 51, spielt seit 1980 mit seiner Frau Michaela Melian in der Band FSK, ist Radiomoderator beim „Zündfunk“, dem Szenemagzin des Bayerischen Rundfunks, hat mehrere Romane geschrieben und ist DJ. Wenn Juno ausgeht, kann es ihr passieren, dass sie ihre ganze Familie trifft. Wann seid ihr zum ersten Mal zusammen ausgegangen? Juno: Meine Eltern haben mich schon als Kind auf Konzerte von FSK mitgenommen. Ich habe mich dann mit irgendwelchen Gestalten der Nacht unterhalten. Thomas: Juno war auch bei unserer USA-Tournee dabei und hat als Sechsjährige schon Pavement gesehen. Auch andere Bands wie die Goldenen Zitronen hat sie als Kind kennen gelernt. Wenn diese Bands in München gespielt haben, nahmen wir sie oft zu den Konzerten mit. Juno: Das erste Mal richtig zusammen ausgegangen sind wir vielleicht 2003, beim ersten „Bavarian Open“-Festival vom „Zündfunk“. Da war ich 14.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Kannst du dich daran erinnern, als Kind mit auf der Tournee gewesen zu sein? Juno: Für mich war das eine wunderschöne Zeit, auch wenn ich als Neunjährige mit der Musik natürlich nichts anfangen konnte. Weil ich relativ offen bin, habe ich mich immer mit allen unterhalten. Die Leute waren supernett und witzig. Thomas: Als wir diese USA-Tournee gemacht haben, hatten wir extra eine Rock'n'Roll-Nanny engagiert, eine 21-jährige Studentin. Juno: Die hat mich überall mitgeschleppt: in ein Piercing-Studio, wo sie sich ein Bauchnabel-Piercing stechen ließ, in einen Tattoo-Shop, einmal hat sie sich auch Dreadlocks machen lassen. Es war jedenfalls nie langweilig. Habt ihr euch als Eltern nicht Sorgen gemacht, ob das gut für Juno ist? Thomas: Natürlich. Wir sollten schon auf Tour fahren, als Juno noch gestillt wurde. Im Vertrag stand deshalb, dass es an jedem Ort einen Babysitter geben muss. Das hört sich jetzt nach Rock’n’Roll-Kommune an – so war es aber nicht. Wir haben Juno immer geschont. Sie war gut abgeschottet von den Gestank- und Lärmzonen. Eine große Sorge war aber auch, dass sie so was wie Steuerberater werden will, wenn sie groß ist – weil wir ihr eine Dosis zu viel von diesen schrägen Typen und Umständen verpasst haben. Frei nach dem Motto aus der Werbung: „Papa, wenn ich groß bin, möchte ich auch mal Spießer werden.“ Thomas: Davon liest man ja. Deshalb ist es für mich ein totales Wunder, dass sie zehn Jahre später wieder Fan all’ dieser Bands ist und zu den Konzerten von Musikern geht, mit denen die Eltern befreundet sind. Zu den Sternen zum Beispiel. Die hat sie später neu für sich erobert. Gab es eine Phase, wo du versucht hast, die Eltern mit deiner Musik zu schocken? Juno: Ich habe eine zeitlang schon so was wie Blümchen gehört oder Caught In The Act. Damit wollte ich vielleicht etwas provozieren. Mein Vater kam natürlich jedes Mal in mein Zimmer und hat gesagt: „Was hörst denn du da für Schrott?“ (Thomas protestiert) Doch, du hast mich liebevoll verarscht damit. Mit 13 oder 14 habe ich aber schon wieder Bands wie Notwist für mich entdeckt. Thomas: Als du deine N’Sync-Platte nicht mehr wolltest, habe ich die aber von dir geerbt. Ich mag ja Mainstream gerne, wenn etwas richtig gut klingt. Insofern hat der dufte Alte nie gesagt, Musik muss progressiv oder subversiv sein. Die Unterscheidung in kommerziell und nicht-kommerziell – die man bei Typen wie mir, der in einer extrem nicht-kommerziellen Band spielt, hätte erwarten können – gab es nicht. Ich weiß noch, dass ich mir wegen des tollen Neptunes-Mix auf der B-Seite eine Britney Spears-Maxi gekauft habe, als du sie schon doof fandst.


Es kommt vor, dass sich die ganze Familie beim Ausgehen trifft. Wie ist das, wenn dir deine Mutter das Bier kauft? Juno: Früher war mir das peinlich. Nicht, weil mir meine Eltern peinlich sind, sondern weil ich selbstständig sein wollte. Da will man sich sein Bier selbst kaufen. Heute sehe ich, dass es cool ist, wenn man eine Mutter hat, die dir das Bier in die Hand drückt. Es stört mich auch nicht mehr, mit ihnen gesehen zu werden. Aber ohne meine Eltern bin ich sicher wilder. Thomas: Wir stehen meist an anderen Ecken des Lokals. Es gibt aber Situationen, in denen ich denke: Jetzt geh’ ich besser. Ich will nicht, dass es so wirkt, als wolle ich meine Tochter kontrollieren.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Hast du manchmal Angst, der ewig coole Papa zu sein, der den jungen Leuten damit auf den Geist geht? Thomas: Klar, die Angst, als zu dufte zu erscheinen, ist da. John Peel, der große Radio-DJ der BBC, der bis kurz vor seinem Tod mit 65 noch in Clubs ging, hat mir mal erzählt, dass ihn viele für einen „dirty old man“ auf der Suche nach Frischfleisch hielten. Ich bin da eher reingerutscht, dass ich mit Juno und ihren Freunden Platten höre. Viele in meinem Alter haben gar kein Interesse mehr daran, während ich noch heute ständig in den Plattenladen renne. Außerdem gibt es vieles, was Junos Freunde nicht kennen, worauf sich aber Bands wie The Rapture heute beziehen. Gemeinsam betreten wir die Verweishölle, aus der Pop besteht, und hören alte Platten durch. Man hat als der Ältere aber nie das Recht zu sagen, das war schon mal da. Juno: Meine Freunde lieben das, mein Exfreund kommt auch sehr oft zum Musikhören vorbei. Dein Vater hört mit deinem Ex-Freund Platten an? Juno: Wir sind noch sehr gute Freunde, deshalb ist es okay. Thomas, hast du denn gegen deine Eltern rebelliert? Thomas: Meine Eltern waren moderne BRDler, die haben sich auch noch mit 40 die neuste Beatles-Single gekauft. Aber natürlich gab es Spannungen, wenn ich ihnen beim Abendbrot erklärt habe, Anarchie sei machbar, öffnet die Gefängnistüren, schafft die Polizei ab. Meine Eltern gehörten der Generation an, die nach dem Krieg kein Geld hatte, sich alles selbst erarbeitet hat und ein positives Verhältnis zu dieser Bundesrepublik besaß. Da gab es politische Differenzen, die auch als solche thematisiert wurden. Mir wurde meine Meinung aber nie verboten. Ist Protest gegen die Eltern überhaupt notwendig? In der neuen Shell-Jugendstudie heißt es, es sei beunruhigend, wenn 70 Prozent der Jugendlichen ihre Kinder genauso erziehen wollten, wie sie selbst erzogen wurden. Thomas: Das hat sicher ein Alt-68er geschrieben. Die haben schon Mitte der Siebziger gesagt, alles nach ihnen sei angepasst. Dieser ganze Generationenkonflikt ist eine Frucht der 68er-Zeit. Da gab es wirkliche Spannungen: eine Hippie-fizierte Jugend trat gegen die Nazieltern an. Mit dem Abtreten der 68er hat sich das aber, glaube ich zumindest, erledigt. Juno: Ich habe nie das Bedürfnis gehabt, mich gegen meine Eltern abzugrenzen. Das ist für ältere Leute sicher schwer zu verstehen, deren Eltern noch so anders waren als sie selbst. Ich sehe das heute noch bei vielen meiner Freunde. Die haben Eltern, die nichts von ihren Kindern wissen. Die wollen gar nicht provozieren, sondern wünschen sich nur ein offenes Ohr für die Musik, die sie hören oder für ihre Zukunftsträume. Da ist es doch besser, man kann sich austauschen. Thomas: Bei mir ist es immer die eigene Generation, die schon mit 30 komplett angepasst war, gegen die ich mich abgrenzen will. Das ist für mich ein wichtiger Antrieb, mich weiter zu entwickeln.


Dein Vater schreibt Bücher, deine Mutter hat den berühmtesten deutschen Hörspielpreis gewonnen. Du fängst gerade an, mit deinem Schreiben an die Öffentlichkeit zu gehen. Ist das ein Ballast? Juno: Wenn wir in der Schule einen Aufsatz schreiben mussten, saß ich von mittags bis abends da und war glücklich. Es gibt mir ein gutes Gefühl, wenn ich schreibe. Auch wenn es nicht ganz einfach ist, weil mein Vater einen gewissen Bekanntheitsgrad hat. Es gibt viele Promikinder, die in die Fußstapfen ihrer Eltern treten, weil sie denken, dass sie davon profitieren können. Ich will aber auf keinen Fall, dass die Leute denken, ich werde von meinem Vater dazu angefeuert. Ich mache das ganz selbstständig. Thomas: Ich halte mich da komplett im Hintergrund. Juno ist da auf einem ganz eigenen Trip.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Was ist das für ein Trip? Thomas: Bei Juno ist immer alles super beobachtet. Das kann ich gar nicht, da fehlt mir total die Geduld. Du hast auch etwas, das mir immer völlig abgesprochen wird: Du erzählst Geschichten. Juno: Das einzige, was wir beim Schreiben gemeinsam haben, ist unsere Liebe zu langen Sätzen. Was war denn die letzte Platte, die ihr euch gekauft habt? Juno: Schwer zu sagen. Ich hole mir meistens von Thomas Musik. Gerade habe ich mir alle CDs von Cat Power geben lassen. Ich mag aber auch die Strokes oder Belle & Sebastian und viele deutsche Bands wie die Sterne. Aber auch die neuen wie Tomte, die Thomas nicht so mag. Thomas: Da könnte es einen kleinen Generationenkonflikt geben. Ich finde das neue Rapture-Album ziemlich klasse und Hot Chip. Juno: Die finde ich auch super. Fotos: Patrick Ohligschläger

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