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Meine Entscheidung: Ich habe abgetrieben

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"Was war dein erster Gedanke?", fragte mein Freund. "Ich möchte es bekommen," sagte ich. Dann weinte ich, denn ich hatte Angst davor, dass ihm dieser erste Gedanke nicht gefallen könnte. Als ich der Ärztin gegenüber saß, waren sie wieder da, die Tränen, und sie wurden nicht weniger, als sie mir auf dem Bildschirm dieses kleine Pünktchen zeigte. Vierte Woche, hörte ich. Täglich war mir schlecht, ich rauchte, nur Bier vertrug ich nicht mehr, und ich befürchtete, es könnte auffallen, dass ich nur noch Apfelsaft trank. Ich vereinbarte den obligatorischen Termin bei Pro Familia, um für eine eventuelle Entscheidung gegen das Kind den Schein in der Tasche zu haben. Und ich wollte die Frau erwürgen, die mich fragte, ob es denn überhaupt einen schlechten Zeitpunkt gäbe, ein Kind zu bekommen. Niemand sollte sich einmischen, den ich nicht gefragt hatte. Ich wollte mir mit dieser Entscheidung Zeit lassen, nicht spontan ja oder nein sagen, doch die Zeit rannte mir davon. Je länger ich wartete, desto weniger konnte ich mir vorstellen, das Kind nicht zu bekommen. Aber je länger ich wartete, desto größer wurden auch die Zweifel, ob ich das alles schaffen würde. Es war ein Teufelskreis, und es gab niemanden, der mir da raus helfen konnte.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die nächsten zwei Wochen verbrachte ich damit, in Cafés zu sitzen und Mütter mit Kindern zu beobachten. Wie alt waren sie, sahen sie glücklich aus, hatten die überhaupt noch Spaß und Zeit, sich die Haare zu machen. Plötzlich sah ich überall nur noch Schwangere, Mütter, Babys. Meine beste Freundin bot sich als Patentante an. Eine Zeit lang versuchte ich, das Thema lockerer anzugehen und mit Humor zu nehmen und sah mich in der Umstandsmoden-Abteilung bei H&M um - bis der nächste Termin anstand und meine Ärztin mir zeigte, dass das Herz bereits schlug. Was dann folgte, war ein Termin bei der Krankenkasse, wo ein staubiger Mitarbeiter mich Formulare ausfüllen ließ, um die Kostenübernahme für einen Abbruch sicherzustellen. Dass er mich dabei böse anguckte, bildete ich mir sicher nur ein. Mit allerlei Zetteln ging ich nach Hause, setzte mich aufs Bett und wartete darauf, dass etwas passierte. Am Tag darauf hatte ich meine Entscheidung getroffen. Das "Klick" in meinem Kopf kam plötzlich, leise, aber deutlich. Und es stand wohl für die Summe aller Dinge, die mir wochenlang durch den Kopf gegangen waren. Als ich abends mit meinem Freund im Wartezimmer saß, wusste ich: Meine Entscheidung dagegen war irgendwie auch eine Entscheidung für mich. Sandra Stein (Protokoll: jetzt-Redaktion) Foto: dpa

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