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Mode gegen den Mainstream

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Zunächst war ich fasziniert von dem Look meiner Freundin. Ich mochte ihre coolen Outfits. Lässig getragene Jeans, zu einer Zeit, als ich mich selbst noch in „Skinny“ zwängte. Sie trägt gerne Hemden, nicht allzu tailliert, deren Ärmel sie hochkrempelt und dazu Chucks – bequeme, flache Turnschuhe, als ich nur in High Heels und Ankle Boots herumlief. Und ich liebte ihre Haare, so eine ganz spezielle Kurzhaar-Frisur, wie sie eben nur Lesben tragen. Ich dagegen hatte einen blonden Bob, der mich in seiner Eintönigkeit und Einfallslosigkeit langweilte. Ich war der personifizierte Heterolook. Die Veränderung kam schleichend. Zuerst schnitt ich mir die Haare kurz. Keine tiefen Ausschnitte, keine engen Minikleider und Röcke mehr, die mit typischen Weiblichkeitsbildern in Einklang gebracht werden konnten. Ich wollte Unabhängigkeit in allen Bereichen und allen voran in dem sichtbarsten, nämlich dem meiner Kleidung und Frisur. An die Stelle der feminisierten Kurzhaarfrisur trat ein radikaler Irokesenschnitt. Die Seiten auf drei Millimeter rasiert, das Oberhaar lang und meistens zu einer Tolle gestylt. Die Diskrepanz zwischen meinen Haaren und dem Inhalt meines Kleiderschranks war anfangs verheerend. Mittlerweile trage ich vorwiegend lässige Jeans, Straight, Baggy oder Boyfriend; G-Star avancierte zu meiner Lieblings- marke. Meine Handtaschen habe ich ge- gen Lederarmbänder eingetauscht, High Heels gegen Chucks, in verschiedensten Ausführungen und Farben. Kurzum, jetzt erkennt man meine sexuelle Identität auch an meinem Äuße- ren. Mir ist es sehr wichtig, sowohl von den Heteros als auch von den Lesben als Lesbe erkannt zu werden. Gleichzeitig lege ich viel Wert auf Individualität. In meinem heterosexuellen Umfeld ist das freilich kein Problem, da ich mich durch meinen neuen Look von anderen Frauen vollkommen unterscheide. Aber auch in der lesbischen Community schaffe ich es immer noch, mich trotz Anpassung in einigen Punkten bzusetzen. Mir gefällt der androgyne Look einfach mehr als alles, was ich vorher ausprobiert hatte. Ich habe das Gefühl, mich gefunden zu haben. Der englische Romancier Quentin Crisp sagte einmal: „Stil heißt, genau zu wissen, wer man ist und dazu zu stehen.“ Auf meinen stilistischen Wandel erlebe ich seitens meines heterosexuellen Umfelds zwei extreme Reaktionen. Entweder vollkommene Bewunderung oder aber Diskriminierung. Vollkommene Bewunderung klingt zunächst gar nicht schlecht. Nur leider kommt diese Bewunderung für meinen Stil, wenn sie denn von Männern ausgeht, oft in Verbindung mit penetranten Annäherungsversuchen. Und wehe, wenn ich den Satz „Ich bin lesbisch“ ausspreche. In diesem Moment brennt im männlichen Gehirn die Sicherung durch. Sie verdoppeln – ach was – vervierfachen ihre Anstrengungen und ich kann nur noch die Flucht ergreifen. Dieses schamlose und lächerliche Verhalten hat mehrere Gründe. Erstens geht es um den Reiz des Unerreichbaren. Zweitens entsteht offenbar der Wunsch, mich umzupolen und damit, drittens, die Bedrohung unschädlich zu machen. Denn viele Männer sind immer noch davon überzeugt, das Recht, eine Frau zu begehren, für sich gepachtet zu haben. Außerdem verstehen sie nicht, wie man sie verschmähen und eine Frau vorziehen kann. Das zweite Extrem, Diskriminierung, ist mir erst mit dem neuen Kurzhaarschnitt begegnet. „Ist das ein Mann oder eine Frau“, hörte ich vor kurzem eine männliche Stimme in spöttischem Ton hinter mir herrufen. Ein kurzes Lächeln huschte mir übers Gesicht und der Gedanke „Wow, jetzt bin ich im Homo-Club“ schoss mir durch den Kopf. Einen kleinen Stich versetzt es mir trotzdem. Denn bei allem Zugehörigkeitsgefühl zur lesbischen Gemeinschaft bedeutet dieser Satz doch in erster Linie Ausgrenzung. Manuela Kay, Chefredakteurin des einzigen deutschen Lesbenmagazins L-MAG, sagt: „Lesbisches Selbstbewusstsein äußert sich darin, noch immer ganz offensichtlich lesbisch auszusehen und es auszuhalten, von anderen – gerne auch von Lesben und Schwulen – voller Verachtung als Kampflesbe beschimpft zu werden.“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert
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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Unsere Autorin Annemarie Gassen - fotografiert von Maria Dorner. Wollte ich den Diskriminierungen entgehen, müsste ich meine Individualität aufgeben und mich den Aussehensvorstellungen der heterosexuellen Masse anpassen. Laut Manuela Kay ist dies der Grund, warum viele Homosexuelle heute nicht mehr als solche zu erkennen sind. „Anpassung statt Ausgrenzung. Deshalb geht der Trend klar zum ,Heterolook‘, eine Tendenz, die auch in der schwulen Welt zu sehen ist“, so die Chefredakteurin. Lesben werden auch heute noch oft nur dann als Lesben erkannt, wenn sie eher maskulin, also als sogenannte „Butch“ auftreten. Der Grund, warum sich manche Lesben männlich kleiden, hat sich über die Jahrhunderte verändert: Angefangen von einer schlichten Notwendigkeit, um unentdeckt und ungestraft mit einer anderen, feminin gekleideten Frau zusammenleben zu können, passten sich lesbische Paare später, in Ermangelung anderer Modelle, dem heterosexuellen Paar an. In ihrer Erscheinungsweise als männlicher und weiblicher Part, als klassisches Butch/Femme-Paar. Im Feminismus hingegen ging es um das Ausbrechen aus der traditionellen Frauenrolle. Und heute geht es darum, Geschlechtergrenzen bewusst aufzubrechen, mit dem maskulinen Stil zu spielen. Oder wie Manuela Kay sagt: „Vieles, was mit männlich verbunden wird, ist lediglich frei, cool, verspricht mehr Bewegungsfreiheit und passt eben zu Aktivitäten, die ebenfalls als männlich gelten, zum Beispiel Motorradfahren oder Sport.“ Feminine Lesben hingegen werden aufgrund ihres Äußeren oft für heterosexuelle Frauen gehalten. Das führt wiederum dazu, dass der maskuline Stil als lesbischer Stil schlechthin gilt, was nicht den Tatsachen entspricht, denn es gibt und gab schon immer eine Vielzahl lesbischer Erscheinungsformen. Individualität wird auch in lesbischen Social Communitys großgeschrieben. Wenn ich mir zum Beispiel ein Profil bei Lesarion oder in der L-Community (Social Community der L-MAG) anlege, kann ich zwischen Butch, Femme, Tomboy (Wildfang), Girlie, KV (Kesser Vater), Lipstick Lesbe oder Kampflesbe wählen. Und nochmal mindestens genauso viele Adjektive ankreuzen: klassisch, stylisch, modisch/im Trend, sportlich, lässig, alternativ, feminin, maskulin, androgyn. Wer sich gar nicht festlegen möchte, kann auch „individuell“ eingeben. Trotzdem gilt in der breiten Öffentlichkeit, wie auch innerhalb der schwul-lesbischen Community nach wie vor, Lesben seien Modemuffel und liefen immer im maskulinen Einheitslook rum. „An jedem Klischee ist ein Stückchen Wahrheit“, sagt Manuela Kay. „In erster Linie liegt es aber daran, dass Lesben sich im Gegensatz zu Schwulen noch weniger outen. Wären mehr Top-Models, Mode-Designerinnen, und Schauspielerinnen offen statt versteckt lesbisch, würde die Welt staunen, wie mode-affin manche Lesben sind.“ Sucht man nach modischen Vorbildern, gibt es nur wenige, auf die man zurückgreifen kann. Die US-amerikanische DJane Samantha Ronson gehört dazu. Den seit kurzem auch wieder in der Hetero-Mode gefeierten Boyfriend-Look trägt sie schon seit Jahren, gemischt mit ihrer ganz eigenen grungigen Note. Ihre Blazer von Dior Homme zeigen, dass Lesben gern mal in der Männerabteilung einkaufen gehen, um ihren modischen Ansprüchen gerecht zu werden. Sängerin Pink, wenn auch nur bi, ist mit ihrem Look auch ein beliebtes Lesbenvorbild. Jenny Shimizu hat es trotz oder gerade wegen ihres lesbischen Looks in die Liga der Topmodels geschafft. Privat trägt sie hauptsächlich Feinripp- Unterhemden. Sängerin Beth Ditto, die sich selbst als „modeaffine Femme“ bezeichnet, ziert mittlerweile sogar die Cover von Modezeitschriften. Aber auch nicht prominente Lesben legen Wert auf Mode und Marken. Dabei bedienen sie sich vieler Subkulturen, sei es Punk, Bikers, Rockers, Rockabillies, Greasers und natürlich oft aus der Männerabteilung, weil viele nach wie vor gegen das traditionell Weibliche in der Mode rebellieren und sich nicht damit identifizieren – so auch ich. Mode und Identität gehören für mich genauso zusammen wie Mode und Individualität. Der Soziologe Georg Simmel erklärt in seinem Werk „Philosophie der Mode“ von 1905, dass Mode im Spannungsbogen von Sozialisation und Individuation, Abgrenzung und Anpassung entsteht. Lesben vorzuwerfen, sie seien Modemuffel, ist genauso lächerlich, wie zu behaupten, heterosexuelle Frauen seien immer topgestylt. Außerdem sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass eine der bekanntesten und gefeiertsten Stylistinnen unserer Zeit eine Lesbe ist. Die Modedesignerin Patricia Field kleidet seit Jahren die modische Kultfigur Carrie Bradshaw ein und zeichnet für den gesamten Look von Sex and the City verantwortlich. Wenn Field einen Film ausstattet, ist vom Kampflesben-Look nichts zu sehen. Im Gegenteil, sie spielt bei den vier Powerfrauen von „SATC“ mit allen Klischees heterosexueller Weiblichkeit und kreiert einen unverwechselbar individuellen Look. Sie ist die Königin des Cross-Dressing, mixt die unterschiedlichsten Stile, zitiert Modejahrzehnte, übersetzt sie in die heutige Zeit und mischt Subkultur mit Mainstream. Keine Spur vom maskulin-lesbischen Einheitslook. In der Berichterstattung über den Christopher Street Day wird für Interviews dennoch weiterhin nach den schrillen, schwulen Paradiesvögeln als Vorzeige-Homos verlangt, wie Rita Braaz, Pressesprecherin des Münchner CSD, jedes Jahr wieder bedauert. Das Klischee, Schwule seien die ultimativen Trendsetter, wird von den Medien seit jeher popularisiert. Und prominente Schwule stimmen gerne in den Kanon ein, wie Modedesigner Michael Michalsky in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin Spiegel. Auch er attestiert Schwulen ein überproportional hohes Trendbewusstsein und propagiert gleich noch seine Vorurteile zum Thema Lesben und Mode. Er fühle sich mit Lesben nicht verbunden, sähe sich nicht an ihrer Seite. Außer dem würden sich Schwule über Lesben wundern, die sich ja gern wie Bauarbeiter, Holzfäller und Heizungsmonteure kleideten. Wie falsch er liegt, habe ich kürzlich wieder bestätigt bekommen, als ich den heterosexuellen Modeblogger Scott Schuman traf. Er war der erste Street-Style Blogger der Welt und sein Blog „The Sartorialist“ ist international bekannt. Aus einer Gruppe von etwa 60 heterosexuellen Studentinnen zog er mich heraus. „Nice Haircut“, sagte er und machte ein Foto von mir für seinen Blog. Dieses Erlebnis lässt mich hoffen, dass die modische Existenz von Lesben langsam anerkannt wird. Jetzt müssen nur noch die Designer wachgerüttelt werden und für Lesben entwerfen. Dann muss keine von uns mehr schlecht sitzende Klamotten in der Männerabteilung kaufen oder Anzüge umschneidern lassen.

Text: annemarie-gassen - Fotos: Maria Dorner

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