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Mord und Marketing

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Dschihadismus, heißt es, entwickelt sich immer mehr zur Protestbewegung unter westlichen Jugendlichen. Zur Möglichkeit also, sich abzugrenzen von Normen und Werten der Gesellschaft. Zum Anderssein. Beim Anwerben von Unterstützern und neuen Kämpfern ist derzeit vor allem die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) erfolgreich. Warum funktioniert deren Propaganda bei uns so gut, viel besser beispielsweise als die Versuche von al-Qaida? Weil der IS die bessere PR-Maschine hat?

Stephan Rebbe ist Beratungsgeschäftsführer bei Kolle Rebbe, einer der erfolgreichsten Kommunikationsagenturen Deutschlands. In einem Artikel über die Kommunikationsstrategie des IS schrieb Rebbe, die Dschihadisten hätten in den relevanten Communities ein Angebot für frustrierte junge Männer formuliert, demgegenüber das Angebot des Wettbewerbers (also der freiheitlichen Demokratie) „ein dünnes Süppchen“ sei.

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jetzt.de: Herr Rebbe, ist es zynisch zu fragen, ob der Islamische Staat die derzeit beste PR-Agentur hat?
Stephan Rebbe: In dieser Formulierung wohl schon. Aber das heißt leider nicht, dass es nicht wahr ist. Seitdem ich diese schwarz-gewandeten Leute mit den kurzen Messern zum ersten Mal gesehen habe, wie sie Europäern und Amerikanern die Köpfe abschneiden, denke ich: Das ist ein Wahnsinn, wie das als Kommunikationsstrategie funktioniert. Was das global auslöst.

Sie erkennen beim IS also tatsächlich eine PR-Strategie?
Ja. Und zwar eine inzwischen hochprofessionelle, die sich gezielt an junge Menschen richtet.

Wie?
Auf mehreren Ebenen. Eine davon ist die Art, wie Gewalt in Szene gesetzt wird. Die reale Gewalt, die wir da sehen, ist in ihrer Inszenierung extrem nah bei dem, was wir unter anderem aus Videospielen kennen: abgeschnittene Köpfe, Blutströme aus irgendwelchen Körperteilen. Das ist ultra-brutal, aber eben in der Lebensrealität vieler Jugendlicher – auf einer abstrakten Ebene wie in Filmen oder Videospielen natürlich – ganz normal.

Moment. Die schiere Brutalität funktioniert als Agitation?
Nein. Ihre Inszenierung. Derjenige, der die Gewalt am besten in Szene setzt, wird das größte Identifikationspotenzial erzeugen.

Was heißt „am besten“?
Eben möglichst nah an dem, was wir kennen. Das muss nicht bloße Brutalität sein. Ich habe ein Video gesehen, in dem Jungs mit ihrem Toyota Hilux durch Aleppo fahren. Wie bei uns die Klischee-Gangster in ihrem 3er-BMW sitzen diese Kerle da drinnen – Ellenbogen aus dem Fenster, grimmiges Gesicht – und sprechen irgendwelche Leute an: „Hey Bruder, alles klar?!“ oder „Du da hinten, pass mal auf, dass du dein Kopftuch richtig runterziehst.“ Da fehlt nur noch, dass sie auch noch hupen und laute Musik aus dem Auto dröhnt. Das hat was von „GTA“ und amerikanischen Serien. Und natürlich symbolisiert es Macht.

Kann PR eine Jugendbewegung gezielt entstehen lassen?
Nein. Das muss von unten kommen. Wie in der Pop-Kultur: Die Hippies wurden abgelöst vom Punk. Dann kam eine breite Disco-Bewegung, die wieder nach Harmonie und Glamour gesucht hat, dann kam der Rap und so weiter. Jede neue Entwicklung ist immer getrieben von Menschen, die mit dem Bestehenden abgeschlossen haben, die gegen Veraltetes rebellieren. Das ist das normale Spiel zwischen These und Antithese. Und wenn die Antithese stark ist, schließen sich ihr mehr und mehr Leute an. Das lässt sich von oben nicht auslösen oder planen.

Man braucht also eine Strömung, die als radikal anders und darin sehr authentisch wahrgenommen wird – und mit der lässt sich dann arbeiten?
Und man braucht Gesichter. Menschen, die als Symbol und Projektionsfläche funktionieren. Beispiel Punk-Kultur: Da waren die Radikalsten auch Projektionsfläche und Sehnsuchtstypen, weil sie für die totale Abkehr von der Gesellschaft standen. Sid Vicious zum Beispiel, der auf einem Sex-Pistols-Konzert Menschen aus dem Publikum mit Blut bespuckt – und sich in letzter Konsequenz eben auch totgespritzt hat.

Für den IS wäre das dann wohl der ehemalige Gangsta-Rapper Deso Dogg, der sich dem Dschihad verschrieben hat?
Genau. Auch seine Wirkung basiert darauf, dass er besonders laut und besonders radikal ist und sich damit besonders mächtig über alles hinwegsetzt, was in der westlichen Welt in Form von Gesetzen oder Vereinbarungen existiert.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Stephan Rebbe

Angeblich ist er auch einer der Köpfe hinter der IS-Medienkampagne.
Wundern würde mich das jedenfalls nicht. Man merkt, dass da Menschen am Werk sind, die das alles sehr intuitiv machen. Die haben offensichtlich von klein auf die Zusammenhänge in der westlichen Medienkultur begriffen und beherrschen diese Klaviatur perfekt.

Was gehört da, abgesehen von den Videos, noch dazu?
Eine einfache, möglichst klare und gerne auch radikale Symbolik. Was in der Punk-Kultur Ketten, Sicherheitsnadeln, Springerstiefel und das Anarchy-Symbol waren, sind jetzt die schwarzen Kutten, die Fahne, der erhobene Zeigefinger. Das hat, um es im Marketing-Sprech zu sagen, einen hohen „visual impact“. Das ist schon sehr konsequent. Als Jugendlicher in der Selbstfindung bietet einem das sehr viele Anknüpfungspunkte.

Vor allem die Fahne könnte in ihrer Schlichtheit fast von Apple stammen.
Finde ich auch. Ich mag die richtig! Ich finde die cool (hält kurz inne, überlegt). Wirklich schlimm: Ich finde die cool! Ich muss nicht mal wissen, was da draufsteht. Die hat eine Einfachheit und damit eine ungeheure Kraft. Rein abstrakt gesprochen: Was das Branding angeht, machen die einfach sehr viel richtig.

Man kann beim IS also tatsächlich von Markenbildung sprechen?
Klar. Allein die Tatsache, dass wir IS so locker in den Mund nehmen, ist verrückt! Man muss sich mal vor Augen halten, was das für ein Konzept ist, sich selbst einen Namen zu geben, der ein Staatsgebilde unterstellt. Und die ganze Welt übernimmt das. Das ist reine Markenbildung.

Was geben uns Marken?
Genau das, worüber wir hier reden: Abgrenzung und Anziehungskraft als Gegenspieler – und damit Orientierung. Und natürlich einen Wertekanon, den jede Marke repräsentiert: Nivea ist „caring“, Coca Cola ist „Freude“, Volvo ist „Sicherheit“. Beim IS können wir da vermutlich ein paar Zettel vollschreiben. Aber da wird immer etwas auftauchen wie Brutalität, Aggressivität, Angst. Zunächst Negatives also. Aber bereits auf der nächsten Werteebene kommt da etwas wie Autorität, Macht, Klarheit. Das will der IS ausstrahlen. Und das sind Werte, die gerade für orientierungslose Menschen sehr attraktiv sind. Egal, ob sie aus Aleppo kommen oder aus Bochum.


Text: jakob-biazza - Illustration: Daniela Rudolf; Foto: oH

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