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Münchens internationalste Feier

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Die Kellertreppe ist steil und voller Menschen, aber das liegt nicht daran, dass alle gerne auf der Treppe stehen wollen, sondern daran, dass es unten noch viel voller ist. Der hässliche Kellergang ist gesäumt von hübschen Gesichtern und aufgehängten dicken Winterjacken. „Galvanize“ von den Chemical Brothers wird mit jedem Schritt lauter und die Luft mit jedem Moment dünner, aber es ist gar nicht möglich stehenzubleiben, denn von hinten drücken schon die nächsten nach. „Hey! Ciao!“ gellt es durch die Mischung aus Zigarettenrauch, Schweiß und Abenteuerlust und zwei Jungen in engen weißen T-Shirts fallen sich in die Arme und direkt neben ihnen redet ein Trainingsjackenjunge auf ein Spaghettiträgermädchen ein – die Sprache ist englisch, der Akzent osteuropäisch. „Nein, nein! Das hast du falsch verstanden“, ruft er entsetzt. „Ich hatte eine Freundin. Hatte, verstehst du? Das war früher.“ Sein Arm macht eine Ausholbewegung nach hinten, die sowohl die Vergangenheit der Beziehung als auch seine derzeitige Verfügbarkeit verdeutlichen soll, und während ein neuer Schwung an Partybesuchern an ihnen vorbeigeschwemmt wird, sucht die Hand an dem Arm den Weg zu ihrer Hüfte und lässt sich dort nieder. Hinter der Bar türmen sich Augustinerkästen und Weinkartons vom Discounter und vor der Bar türmen sich durstige Erasmus-Studenten. Das Barpersonal schenkt so schnell es kann die kleinen Plastikbecher voll, öffnet Bierflaschen, nimmt Pfandmarken entgegen und bedient zwischendurch immer noch das Notebook, das auf zwei Getränkekisten steht und dessen MP3-Sammlung mit dem DJ im Hauptraum konkurriert, der gerade zum ersten Mal an diesem Abend „Hung Up“ von Madonna spielt. Vom Pyjama in die Party „In den Münchner Clubs sind die Getränke so teuer“, schreit Zakaria aus Algerien, nachdem er sich rückwärts durch die wartende Menge von der Bar weggekämpft hat. „Das kann sich doch kein Mensch leisten. Hier sind die Preise okay, da feiern alle sofort ganz anders .“ Die zwei Gin Tonic, die er sich gerade zur Hälfte über die Hand gegossen hat, haben zusammen sechs Euro gekostet, und es ist ihm völlig egal, dass sie mit Aldi-Gin angerührt sind, denn an jedem anderen Ort in der Stadt hätte er für nur einen solchen Drink mehr bezahlt. Julian aus Spanien sieht sich um und sagt, dass er natürlich wegen der Mädchen hier sei und sein Kumpel Mario grinst: „Am Anfang des Semesters ist es hier immer am besten. Weil die Leute neu in der Stadt sind. Die haben noch keine Ahnung, wohin sie sonst gehen sollen. Aber dann kommen jede Woche mehr Deutsche dazu.“ Er schaut einen Jungen an, der vorbeigeht, ein Weißbier trägt und dazu ein T-Shirt, auf dem „Munich Space Design Group“ steht. Auf Marios Brust steht „I Love Party Girls“. Vor fünf Jahren saßen im trist gefließten Keller der Evangelischen Stundentengemeinde (ESG) in der Schwabinger Friedrichstraße eine Handvoll Leute mit Wandergitarre und Kassettenrecorder zwischen rot gestrichenen Brandschutztüren und Heizungsrohren. Heute ist die dort wöchentlich stattfindende Internationale Studentenparty die erfolgreichste Veranstaltung der ESG und das volle Haus ist eine tanzende Daseinsberechtigung, auch wenn die Party keine kirchliche Veranstaltung ist. DJs und Thekenpersonal kommen aus dem ESG-Studentenwohnheim, dreimal pro Semester haben sie Dienst, dafür ist die Miete günstig. „Ich war eigentlich schon im Schlafanzug“, sagt Janina, die im Wohnheim wohnt, heute aber nicht hinterm Tresen stehen muss. „Aber dann hatte ich doch noch Lust, kurz zu schauen, was hier unten so los ist.“ Sie hebt ihre Bierflasche über den Kopf, und verschwindet Richtung Tanzfläche. Dort hat die Keuschheit Pause, Jungs und Mädchen schwitzen eng ineinander verschlungen und füttern sich mit Getränken. Martina Rogler, die Pfarrerin der ESG, steht trotzdem hinter der Party, auch wenn es Anwohnerbeschwerden gibt (häufiger) oder sie um vier Uhr nachts nach einer Schlägerei den Türsteher vom Polizeirevier abholen muss (seltener). Die Spanier sind schneller

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Emily sitzt mit ihrer Freundin Christy an einem der Tische neben der Tanzfläche. Beide kommen eigentlich aus den USA, aber heute Abend kommen sie aus Feldafing. „Das ist Scheiße, weil die letzte S-Bahn um halb eins fährt und die erste erst um halb sechs.“ Meistens nehmen sie trotzdem die erste. Die Leute sind freundlicher als anderswo im Nachtleben, sagen sie und es sind zum Glück nicht viele Amerikaner da, die Europäer tanzen irgendwie besser und natürlich wird viel geflirtet, das gehört ja dazu. Einzig die Musik ist manchmal ein bisschen zu alt, neulich haben sie sogar Beatles gespielt. Im Moment spielt der DJ aber den 80er-Hit „Voyage, Voyage,“ alle Franzosen kreischen auf und wer von ihnen vorher noch nicht auf der Tanzfläche war, der ist es jetzt. Philippe aus Belgien steht am Rand. Er trinkt ein Glas Wein und erzählt von seinem Praktikum beim belgischen Honorarkonsulat, das die bislang letzte Station einer großen Europarundreise mit diversen Studienprogrammen und Auslandsjobs ist. Er ist eine Art Erasmus-Experte und war im letzten Jahr nur ein einziges Mal nicht auf der ESG-Party. Philippe spricht von einem „ungeheuren Feierpotential“, fast alle Anwesenden nähmen das Studium locker und bekämen Stipendien von ihren Heimatländern. Klar werde viel geflirtet, aber nur wenig „verwirklicht“. Es werden Nummern getauscht aber keine Küsse. „Die Deutschen wollen meistens den Zauber ihres eigenen Erasmus-Jahres noch einmal erleben“, doziert er. „Viele deutsche Jungs kommen auch, um ausländische Studentinnen kennen zu lernen. Aber sie sind zu schüchtern, die Spanier sind immer schneller.“ Das Gegenteil von cool Auf dem Dancefloor tragen zwei Jungs ein Mädchen auf ihren Schultern. Neben der DJ-Kanzel wird Wodka aus der Flasche in aufgerissene Ahoibrausetüten geschüttet. Aus den Boxen kommt jetzt der Pulp-Fiction-Soundtrack und sofort hält ein halbes Dutzend Tänzer die Finger V-förmig vor die Augen. „Diese Party ist das Gegenteil von cool – aber das ist das Tolle“, analysiert eine deutsche Studentin, die nur gelegentlich hierher kommt, „Jeder kann so sein, wie er will. Ohne Dresscode, ohne Regeln, ohne Szene.“ Ihr Begleiter, ein Stammgast, glaubt nicht an die These, dass hier nur unschuldig Telefonnummern getauscht werden und erzählt von Gerüchten, in denen die Kapelle der ESG eine besondere Rolle spielt. „Aber das sind vielleicht auch nur Gerüchte. Ich habe hier noch niemanden abgeschleppt“. Später hat sich die Treppe geleert, der größte Andrang ist vorbei, die Verbliebenen sammeln sich auf der Tanzfläche oder reiten letzte Flirtattacken an der Bar. Oben im Treppenhaus werden SMS geschrieben, Mailboxen abgehört, die Freunde angerufen, die man in der neuen Stadt schon gefunden hat. „Come over, it's so crazy“, ruft ein Mädchen mit französischem Akzent auf englisch in ihr glänzendes Schiebehandy. Eine Gruppe Partygäste schleppt sich die Treppe hinauf. Der Türsteher entlässt sie ins Freie, draußen pfeift ein kalter Wind. Er macht sich gar nicht mehr die Mühe, sich für eine Nationalität zu entscheiden: „Amigos“, sagt er „draußen bitte ruhig sein – please“. Die Partys des International Student Clubs finden während des Semesters jeden Donnerstag in der ESG, Friedrichstraße 25 statt, weitere Infos unter: www.isc-party.de. Fotos: Patrick Ohligschläger Dieser Text stammt von der jetzt.muenchen-Seite aus dem Münchner Lokalteil der Süddeutschen Zeitung.

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