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Münchner Kindl

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Deutschland braucht mehr Nachwuchs. Seit einiger Zeit wird der Eindruck verbreitet, dass die Geburt eines Kindes vor allem eine politische Frage sei. Wie ist es aber tatsächlich, mit einem kleinen Sohn in München zu leben? In einer neuen jetzt.muenchen-Serie gibt die 24-jährige Studentin und alleinerziehende Mutter Julia Staudinger darauf eine Antwort.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Foto: Maria Dorner Darf ich mich vorstellen? Ich bin euer schlimmster Alptraum! Zumindest glaube ich manchmal, dass ihr das denkt. Ich unterwandere euch. Ihr merkt gar nicht, dass ich da bin. Ihr merkt nicht, wenn der Feind mitlauscht. Ich kann jederzeit hinter euch stehen. Oder es kann euch passieren, dass ihr so werdet wie ich: Ich bin die Mutter eines kleinen Sohnes. Kolja heißt er. Na, schon vor Schreck umgefallen? Ihr könnt wieder unter den Decken, unter denen ihr euch gerade versteckt habt, hervorkriechen. Ich tue euch nichts. Ich bin nämlich eigentlich ganz nett. Das müsst ihr mir einfach mal glauben. Auch wenn ich mich ziemlich gut tarne (wenn ich Kolja gerade nicht dabei habe, dann könnte ich fast als eine von euch durchgehen), hab’ ich eigentlich nichts zu verbergen. Mit 22 ein Kind zu bekommen während man im Studium ist, deutet auch nicht zwangsläufig auf mangelnde Intelligenz hin. Wie ich glaubhaft versichern kann, bin ich des Lesens und Schreibens mächtig, und unterhalte mich hin und wieder über ganz geistreiche Sachen wie Kunst und Literatur. Trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, dass da was zwischen euch und mir nicht stimmt. Wir werden nicht so richtig warm miteinander. Dabei kann ich euch eigentlich gut verstehen. Ich war ja mal eine von euch. Das ist noch gar nicht so lange her. Eigentlich fühle ich mich auch immer noch so, als würde ich zu euch gehören. Ich habe noch keine Affinität zu Golden Retrievern entwickelt und plane auch nicht, ein Häuschen im Grünen zu kaufen. Ich studiere Amerikanistik, was wohl zur Gattung der Orchideenstudiengänge zählt, aber sehr spannend ist. Das heißt im Klartext, dass, wenn mich jemand fragt, was ich mal beruflich machen will, ich immer pauschal sage: Taxifahrerin. Ihr seht, ich unterscheide mich gar nicht so wahnsinnig von euch, außer, dass ich eben Mutter bin. Es sind wahrscheinlich die kleinen Dinge in meinem Alltag, die euch so befremden. Zum Beispiel, wenn ich mit meinem Sohn streite - Kolja kann noch nicht so gut argumentieren, er wird im April zwei, das bedeutet, wenn wir streiten, dann schmeißt er sich meistens auf den Boden und brüllt wie am Spieß. Dann sage ich schon mal Sachen wie: „Ich bestimme, wohin wir gehen, weil ich hier nämlich die Erwachsene bin!“ Als ich das das erste Mal gesagt habe, bin ich auch erschrocken. Nicht nur, weil ich plötzlich gemerkt habe, dass ich dadurch wohl tatsächlich als erwachsen gelte, sondern vor allem wegen der Autorität, mit der ich meinem Sohn abverlange, wogegen ich mich bis vor kurzem noch selber versucht habe, durchzusetzen (eigentlich tue ich das immer noch). Nämlich dagegen, dass meine Eltern glauben, alles besser zu wissen, weil sie eben meine Eltern sind. Ich weiß natürlich leider nicht genau, was ihr glaubt, was der große Unterschied zwischen uns ist. Ich gehe gerne auf Partys, trinke gerne Bier. Ich bin nicht von einem Tag auf den anderen besonders ordnungsliebend geworden. Und das Organisationstalent lässt auch noch zu wünschen übrig. Sicher werden mir jetzt einige vorwerfen, dass ich zu sehr polarisiere, zwischen euch und mir, aber es ist auch schwer, denn ich habe das Gefühl, jeder von euch hat eine Einstellung zu mir oder meiner Situation, also habe ich einfach eine Einstellung ‚Euch' gegenüber entwickelt . . . eigentlich mag ich euch aber ganz gerne! Dieser Text ist Teil der jetzt.muenchen-Seite, die jeden Dienstag im Lokalteil der Süddeutschen Zeitung erscheint

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