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"Oft kritzeln wir auf eine Kekspackung"

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Die Setlist als Kunstwerk und Bastelbogen: Unsere Fotos zeigen Listen mit Songs der Berliner Indieband Bonaparte. Sie stammen aus dem Bildband "Three years in the heart of Bonaparte".

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Kool Savas

  „Ich bin ein ziemlicher Setlist-Nazi. Schon zu Beginn meiner Karriere habe ich mir tagelang den Kopf darüber zermartert, mit welcher Song-Reihenfolge ich meine Konzerte spielen soll. Die Ansprüche an die Setlist sind situationsabhängig: Wie groß ist das Repertoire? Wie viele Hits hat man? Welche Art Crowd erwartet einen? Wie lange geht die Show?

  Mit zunehmender Erfahrung entwickelt man aber ein Gespür dafür, wie die perfekte Setlist auszusehen hat. Und es gibt bestimmte Regeln. Bevor wir auf Tour gehen, schreibe ich beispielsweise alle live-tauglichen Songs auf Post-its und hänge sie in den Proberaum. Die richtigen Live-Banger, also die Songs, die bei einem Konzert in der Regel gut ankommen, hebe ich noch einmal mit andersfarbigen Post-its ab. Dann baue ich mir Blöcke aus zwei bis vier Songs zusammen – je nachdem, wie viele raptechnische Abfahrten ich mir zumuten kann. Jede Show proben wir bis zu 20 Mal, dabei fallen uns immer wieder Schwächen in der Setlist auf, die wir dann korrigieren. Aber auch während der Tour stellen wir die Setlist manchmal noch um.

  Wichtig ist ein Intro, das zum Motto des aktuellen Albums und der Tour passt. Und natürlich der erste Song, der im Optimalfall einen richtigen Knalleffekt erzeugt. Tracks, die zu alt sind und nicht mehr funktionieren, weil die Konzertbesucher sie nicht mehr kennen, lasse ich unberücksichtigt – es sei denn, sie sind mir persönlich wichtig.

  Man darf nicht vergessen: Eine miese Setlist kann selbst einen guten Künstler in ein schlechtes Licht rücken. Ich war zum Beispiel mal bei einem Jamiroquai-Konzert, auf dem er vorwiegend neue Songs gespielt hat, die niemand kannte. Seine großen Hits hingegen liefen, wenn überhaupt, als Remixes. Technisch war das zwar alles gut, aber es hat niemanden wirklich gecatcht.

  Am wichtigsten bei einem Konzert ist ein funktionierender Spannungsbogen. Ich beginne gerne ruhig, ganz kurz, und dann: Boom! Dann muss ein Song kommen, der ganz viel Energie hat; Energie, die ich dann für zirka zehn Minuten zu halten versuche. Zwischendurch braucht man aber immer auch ein paar ruhige Songs, um das Publikum durchatmen zu lassen. Am Ende mündet ein Konzert dann in drei bis fünf Songs, die in der Regel jeder kennt – also Hit-Singles und Klassiker. Letztlich ähnelt ein gutes Konzert vom Aufbau her einem guten Film. Richtig oder falsch gibt es dabei nicht – solange die Besucher am Ende glücklich nach Hause gehen.

  Am schwierigsten sind Konzerte vor „fremdem“ Publikum – also Shows, bei denen die Besucher nicht allein wegen dir gekommen sind, wie bei einem Festival. Wenn man dann nicht eine Wahnsinns-Performance hinlegt, kann das schon mal in die Hose gehen. Aber manchmal muss man bloß die richtigen Dinge sagen, um das Publikum auf seine Seite zu ziehen.“
 

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Bosse

„Nach so vielen Konzerten geht es meiner Band und mir immer öfter darum, uns selbst zu überraschen. Das bedeutet, dass wir zwischen unseren gesetzten Liedern, neue, sehr alte oder überarbeitete einbauen. Dazu gehört es auch, im Konzert Sachen umzuschmeißen. Das hält die Gehirne wach.

  Nach der ersten Tour zu unserem neuesten Album „Kraniche“, bei der wir immer dasselbe Set gespielt hatten, hätte man mich nachts aufwecken können und ich hätte die Reihenfolge der Songs ohne nachzudenken runtergebetet. Das muss man kaputt machen. Man findet sich sonst selbst langweilig und das fühlt sich schon im Ansatz schlimm an.

  Trotzdem gibt es, wenn ich drüber nachdenke, seit Jahren eine wiederkehrende Struktur bei unseren Setlisten. Die Kurve verläuft in etwa so: Hallosagen, antanzen, sehr dolle tanzen, runterfahren – hier und da akustisch –, zuhören, hart tanzen, Abschied in Ruhe. So haben wir das intuitiv oft gemacht und das ist, mit all diesen Höhen und Tiefen, auch für den Körper fair und super. Für den des Zuschauers und für den eigenen: Mit 23 konnten wir noch zwei Stunden ballern. Heute ist das für mich unvorstellbar.

  Im besten Falle sollte die Setlist also einen unterhaltsamen Konzertabend abstecken, der dich fängt, anpackt, durchschüttelt, froh und traurig gleichzeitig macht und dich irgendwann mit all dem nach Hause schickt. So versuche ich sie also Abend für Abend neu zu schreiben.“

Auf der nächsten Seite: Einer der ersten deutschen Rapper erklärt, warum er seine Setlist schon Wochen im Vorhinein schreiben muss.


 

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Smudo

„Die beiden ersten Fragen sind immer: In welchem Rahmen spielen wir? Und: Wie lang soll die Show sein? Auf unserer Tour spielen wir rund zwei Stunden vor Fanta-4-Fans, die natürlich ganz anders über unser Repertoire informiert sind als Festivalbesucher. Doch auch bei denen gibt’s feine Unterschiede: Rock am Ring bietet ein breit ausgelegtes Rock-Pop-Programm, beim Sonne-Mond-Sterne-Festival darf’s gerne elektronisch sein und beim Open Flair auch ein wenig bekifft. Dass wir traditionell immer schon aus allen Genres entlehnte Musik machen, ist da ein klarer Vorteil.

Als wir Ende der Neunziger als Support von U2s „PopMart“-Tour engagiert wurden, war klar, dass wir das am Nachmittag noch beim Grillwurst-Essen befindliche U2-Publikum, das bestenfalls unsere Singles kennt, nicht mit einem „Peng! Hallo, da sind wir“-Entrée verscheuchen dürfen. Also haben wir Thomas Ds Live-Kracher „Krieger“, der normalerweise immer als eine Art Abkühlung zwischen zwei Abgeh-Blöcken platziert wird, gleich als Intro benutzt. Sprich: Langsames Rangeschleiche – und der U2-Kunstinteressierte wurde neugierig. Hat gut funktioniert.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



  Eine Setlist wird nach einer Reihe verschiedener Grundregeln erstellt. Wichtig ist, die aktuellste Single möglichst rasch zu spielen. Mich nervt’s immer ungemein, wenn eine Band ihren aktuellen Kracher in die zweite Zugabe verdrängt. Das ist übrigens auch eine Regel: Niemals einen zweiten Zugabenblock! Das langweilt die meisten und man läuft Gefahr, einen Gutteil des Publikums mit dem ziellosen Gefühl zurückzulassen, dass es vor zehn Minuten noch geil war, nun aber Müdigkeit und Kondition an der eigenen Unterhaltungsfähigkeit nagen. Zu viele Zugaben sind die pure Eitelkeit.

  Ein gutes Set sieht für uns folgendermaßen aus: Ein toller Opener zum Reinkommen, die aktuelle Single zum Warmwerden und dann ein bis drei okaye Sachen für die verschiedensten Geschmäcker. Dann der erste Abgeh-Rumspring-Part, gefolgt von etwas Besinnlichem, Musikalischem oder eventuell Kuriosem für die Bandbreite. Der daran anschließende Abgeh-Part zieht in jedem Fall wieder hoch, bevor dann ein solider Runterkomm-Song vor der Zugabe kommt. Die wird dann mit Abgehen aufgerissen, darauf folgen ein bis zwei klassische Hits zum Verschmelzen mit dem Publikum; dann eventuell noch ein geheimnisvoller schräger Song, und dann wird das Publikum mit großem Hurra-Party-Mitgrölspaß entlassen. Bewährte Abgehklassiker sind bei uns zum Beispiel „Was Geht“ und „Populär“, Mitgröl-Hymnen beispielsweise „Troy“ und „Es könnte alles so einfach sein“.

  Manchmal, auf großen Festivals mit vielen Bands oder bei TV-Ausstrahlungen, muss man minutengenau aufhören. Dann kann es sein, dass wir einen Song extra ins Set aufnehmen und dann auf kurzen Zuruf wieder rausnehmen müssen, vorzugsweise in der Zugabe – das wird dann noch schnell besprochen. In all den Jahren hat sich eine gute Faustformel ergeben: Liederanzahl multipliziert mit 4,5 ergibt die Länge des Sets in Minuten, inklusive Moderationen.

  Manchmal entstehen gut funktionierende Kombinationen, die wir zum Teil jahrelang spielen – zum Beispiel der Übergang von „Yeah Yeah Yeah“ zu „MfG“, den wir 2010 zur damaligen Tour gebastelt haben und der heute noch ein Highlight in unserem Festival-Set ist. Es kommt auch vor, dass wir uns in der Wirkung eines Liedes verschätzen, und manchmal werden aus unscheinbaren Füllern doch Live-Kracher, die dann eine dementsprechende Position im Set erhalten. Genauso gut kann es aber auch sein, dass ein Track auf Tour tot gespielt wird und nie wieder in ein Set gelangt.

  Jede Setlist wird in den Laptop getippt und für alle Gewerke des Abends ausgedruckt – also für Front-of-House-Mischer, Monitor, den Mitarbeiter auf der Bühne, Lichtregie und gegebenenfalls anwesende Filmcrews. Manchmal müssen Setlisten schon Wochen vor dem tatsächlichen Abend fertig sein, weil natürlich nur die dafür entsprechende Hardware in die Trucks geladen wird. Gerade bei Festivals sind die Bühnenpläne sowie Licht- und Videohardware-Listen stark von den Songs abhängig.“
 

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

I Heart Sharks

  „Wir würden nie dieselbe Show noch mal spielen. Täten wir das, wären wir in eine gefährliche Routine geraten. Die gilt es unbedingt zu vermeiden. Die Setlist ist eine dieser Sachen, die leben und sich ständig verändern sollen. Schon direkt nach einem Konzert und kurz vor der ersten Zugabe rufen wir uns hinter der Bühne zu, was wir beim nächsten Mal bei der Reihenfolge anders machen sollten, weil es vielleicht besser funktioniert.

  Jede Setlist muss eine Maßanfertigung sein. Sie muss perfekt zum Kontext passen, in dem wir stattfinden. Das heißt nicht, dass wir uns beim Erstellen der Setlist nur noch nach anderen richten. Aber wir müssen uns natürlich anders präsentieren, wenn wir in einem Fernsehstudio sind und für Leute spielen, die zu Hause auf den Sofas sitzen, als wenn wir um Mitternacht irgendwo vor einer Horde betrunkener Teenager spielen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



  Frank Zappa hat mal gesagt, dass das Wichtigste an Kunst der Rahmen sei. Wenn der nicht gut gewählt sei, würden sich die Leute fragen: „What’s that shit hanging on the wall?“ Wir sind zwar keine großen Zappa-Fans, aber damit hat er es auf den Punkt gebracht.

  Manchmal planen wir unsere Setlist schon Tage vor dem Konzert, und es passiert, dass wir Minuten vor der Show noch mal alles umschmeißen und die neue Setlist schnell auf eine leere Kekspackung kritzeln, bevor wir damit vor ein paar tausend Leute treten. Klar, wir können nicht erwarten, dass jeder, der zu unseren Shows kommt, all unsere Songs kennt – vor allem dann nicht, wenn wir auf einem Festival auftreten. Dort ist es wichtig, die Leute zu überraschen und etwas mit ihnen zusammen zu machen. Sie sollen eingebunden werden, auch wenn sie schon seit sieben Uhr morgens saufen und sich von der Sonne verbrennen lassen.

  Einzig unseren Song spielen wir immer, und immer am Ende. Weil den einfach die meisten schon mal gehört haben und sogar mitsingen können – und das, obwohl der Refrain in ganz miesem Deutsch gehalten ist."

Text: erik-brandt-hoege - und Daniel Schieferdecker; Fotos: T. Jundt, oh, dpa

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